Das Internet verschwand dann doch nicht

Das Internet verschwand dann doch nicht

Neue Bedrohungen: fürs Internet und seine Freiheit, für die Arabellion-Berichterstattung, für investigativen Radio-Journalismus. Außerdem: Ernst Elitz als Anti-Brender.

Die ITU, die in der korrekten deutschen Benennung sogar noch Internationale Fernmelde- statt Telekommunikationsunion heißt, lässt ihre Geschichte tief im 19. Jahrhundert beginnen. Wenn diese sozusagen alt-ehrwürdige Organisation im Dezember in Dubai tagt, um ihr Regelwerk aus den 1980er Jahren upzudaten - ist dann die Freiheit des Internet bedroht?

Diese Frage richtet die FAZ-Medienseite in einem ganzseitigen Interview an einen Teilnehmer der Konferenz und bezieht sich damit auf ein in der deutschen Wahrnehmung noch schlafendes oder nur selten angesprochenes Schreckgespenst (vgl. etwa netzpolitik.org aus dem Juni: "War das offene Internet noch nie so bedroht wie heute?").

Interviewpartner Wolfgang Kleinwächter lehnt sich so zurück, wie es einem "Beobachter der Zivilgesellschaft", der zwar weder Rede-, noch Stimmrecht hat, aber zumindest "vieles an die Öffentlichkeit bringen (kann), wenn Transparenz notwendig ist", angemessen ist. Und erklärt dann entspannt, wie die überwiegend damals noch gar nicht privatisierten Post- und Telekommunikationsunternehmen in ihrer Organisation dieses Internet bis in die 1990er "nicht ernst genommen" hatten und "davon aus(gingen), dass es bald wieder verschwindet", und dass deshalb das Internet zwar die Telekommunikationsinfrastruktur benutzt, Internet und Telekommunikation aber "trotzdem zwei verschiedene Paar Schuhe" sind.

Inzwischen weiß man natürlich überall, dass dieses Internet nicht mehr verschwinden wird. Deshalb wollen Regierungen eher wenig demokratischer Staaten - die FAZ nennt in ihrer Bildunterschrift China, Iran und Russland - jetzt gern doch noch "die völkerrechtlichen Regeln für Telekommunikation aufs Internet ausdehnen". Anlass also zu Sorgen? Erst einmal nein, meint Kleinwächter:

"Ich vermute, dass sich das Feuer, das jetzt rund um die Dubai-Konferenz lodert, am Schluss in Rauch auflöst. Keiner will ein Scheitern der Konferenz, und niemand will das funktionierende Telekommunikationssystem gefährden."

Mittelfristig aber doch, denn:

"Dennoch ist das Risiko groß, dass eine unheilige Allianz aus politischen und wirtschaftlichen Interessen die Freiheit, Offenheit und Grenzenlosigkeit des Internets schwer beschädigt. In Dubai wird es daher darauf ankommen, solche Formulierungen zu finden, die diesem rückwärtsgewandten Prozess nicht noch Wasser auf die Mühlen geben."

Es scheint zumindest eine sehr heterogene Community zu sein, die sich dort treffen wird. Immerhin verleiht die FAZ ihren Lesern, auch mithilfe einer Grafik, in der die Organisationen IAB, ICANN, IETF, IGF, IRTF, ISO 3166, ISOC, W3C und WGIG (sowie einige RIRs) aufttauchen, für einen Moment das Gefühl, die Dinge zu verstehen.

[+++] Ein konkreteres Beispiel für das, was sogenannte autokratische Regime (Kleinwächter: "Der arabische Frühling hat zwar einige autokratische Systeme beseitigt, andererseits hat er aber andere ...muntergemacht, die jetzt viel besser verstehen, welches politische Potential ein freies, offenes und grenzenloses Internet hat") in Mediendingen anstellen, hat der Tagesspiegel auf dem Feld des Fernsehens.

Aktham Suliman, als eloquenter deutscher Al Dschasira-Korespondent gern befragter Gesprächspartner (und hier im Altpapier durchaus häufig aufgetaucht), arbeitet gar nicht mehr für den arabischsprachigen Nachrichtensender. Weil er seinen Journalisten-Beruf "liebt, musste er ihn jetzt aufgeben", schreibt Sonja Pohlmann.

Daran schließt sich eine grundsätzliche Programmkritik des vom katarischen Scheich Hamad bin Chalifa Al Thani besessenen Senders an, der "nicht mehr journalistisch ausgewogen" berichte:

"Al Dschasira ist kein Gatekeeper mehr, sondern ein Gatemaker",

sagt Suliman, und:

"Ich habe aber keinen Vertrag als Straßenkämpfer unterschrieben, sondern als Journalist."

Wer Sulimans Vorwürfe belegt, ist nicht nur sein Ex-Kollege Ali Hashem, der Al Dschasira schon im April im Guardian "biased coverage" und daher "journalistic suicide" vorwarf, sondern auch die Berliner Zeitung, die kürzlich den Newsroom des Senders in Doha besuchte und dabei den ägyptischen Chefredakteur Ibrahim Helal mit den Vorwürfen konfrontierte. Der wies sie natürlich zurück. Das gibt es auch nicht so oft - dass der Berliner Tagesspiegel so freimütig Berichte der Lokalrivalen zitiert.

[+++] Zu den Problemen mit den was-mit-Medien-Artikeln der DuMont-Presse gehört nicht nur, dass deren Zeitungen neuerdings keine eigenständige Medienseite mehr haben (siehe Altpapier), sondern auch, dass diejenigen Artikel, die ins Internet gelangen, zu beliebigen Zeiten oft etwas lieblos online gestellt werden (beim Al Dschasira-Bericht wurde am Montag, in der Frankfurter Edition ebenfalls, irgendwie der Autorenname vergessen).

Gestern in der Berlin-Frankfurter DuMont-Presse: großer Bericht des Bertelsmann-Experten Thomas Schuler über die Trennung, die der Bertelsmann-Konzern vom Chef seiner nur zu drei Vierteln besessenen Zeitschriftenverlags-Tochter Gruner+Jahr, Bernd Buchholz, vollzog. Sie geschah bekanntlich (Altpapier) über den Umweg eines im teilweise verlagseigenen manager-magazin veröffentlichten, ungewöhnlich Buchholz-kritischen Artikels. Dass sie tatsächlich so geschah wie überall vermutet (meedia.de), also mit Wissen höchster Bertelsmann-Chefs, das kann Schuler mit Hilfe eines "zweiseitiges Schreibens", das "im Büro von Liz Mohn ... am Mittwoch, 22. August, kurz nach 10 Uhr vormittags... aus dem Faxgerät" "kroch", belegen.

Was zumindest ein hübscher Beweis dafür ist, dass auch sehr tradtionelles Fernmeldewesen nicht vor Mitlesern schützt.

[+++] Damit zum Komplex der aufeinandertreffenden oder gar -prallenden Sphären von Staat und öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Einerseits erläutert heute der frühere Deutschlandradio-Intendant Ernst Elitz, ein Altpapier-Darling, im Tagesspiegel-Interview nicht nur, wie er seinerzeit anrufende Politiker (auch hochrangigste!) durch psychotherapeutisches Zuhören ruhigstellte, sondern positioniert sich auch als Anti-Brender (siehe Altpapier gestern). Er ist also gegen Nikolaus Brenders Forderung, Politiker aus den Runfunkräten zu verbannen:

"Das ist Quatsch! Ich möchte keinen Rundfunk, in dem nur die Vertreter von Kirchen, von Gewerkschaften, Unternehmer- und Vertriebenenverbänden und was es sonst noch so gibt, den Intendanten wählen."

Was ungefähr so sinnvoll ist wie leider obsolet. Falls gegen alle Wahrscheinlichkeit die Gremien-Besetzung der Rundfunkanstalten wirklich einmal einer Reform unterzogen werden würde, liegt jedenfalls schon mal der Vorschlag auf dem Tisch, aktive Politiker nicht nur durch Vertreter der mit ihnen sowieso verbandelten Verbände zu ersetzen.

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[+++] Interessanter andererseits ein umgekehrt verlaufender Vorgang in Thüringen, auf den Christian Rath in der TAZ Aufmerksamkeit lenkt. Dort versuchte nicht die staatliche Sphäre Einfluss auf Inhalte des Rundfunks zu nehmen, dort lag vielmehr ein geheimes Papier der Polizei zwei Radioreportern vor, die daraus öffentlich zitierten. Deshalb würden jetzt polizeilich "'Recherchewege und Methoden' der MDR-Journalisten Ludwig Kendzia und Axel Hemmerling ausgeforscht", beklagen die Chefredakteure der ARD-Hörfunkprogramme.

Inhaltlich geht's um eine undichte Stelle und den Papst, beziehungsweise um ein Sicherheitskonzept für den Papstbesuch im September 2011 (bei dem bekanntlich keine Sicherheitsprobleme auftraten). Doch hatte der MDR im Vorfeld des Besuchs aus dem geheimen Konzept zitiert. Deshalb ermittle die Polizei gegen einen ihrer Beamten, den sie verdächtigt, das Papier weitergegeben zu haben, und habe nicht nur dessen Telefonate mit Kendzia aufgelistet, sondern sich gar auch in dessen Facebook-Account eingeloggt.

Immerhin könnte dieser konkrete Fall von Telekommunikations-Überwachung das Verhältnis von Staat und öffentlich-rechtlichem Rundfunk wieder ein wenig ins Lot oder hin zum Idealbild zu rücken: Der Rundfunk agiert im Grunde investigativ, der sich ärgernde Staat unternimmt im Nachhinein Schritte, über die sich streiten lässt.
 


Altpapierkorb

+++ "Ein leerer Parkplatz in der Nacht. Ein paar Laternen am Rand erhellen den Asphalt nur spärlich... Irgendwo am Horizont lässt sich eine rote Ampel erahnen, daneben die schummrige Beleuchtung eines Gebäudes... 'Wenn die örtlichen Verwaltungen wüssten, dass niemand vor Ort ist', sagt die weichgespülte Männerstimme aus dem Off, 'wäre es dann nicht eine schlaue Idee, Strom zu sparen?'" - die Telekommunikations-Überwachung der Zukunft malt ebenfalls die TAZ aus, und zwar mit der szenischen Beschreibung eines Telefonica/ O2-Werbefilms. Dieser Konzern will bekanntlich (tagesschau.de) Handynutzerdaten zu Geld machen. +++

+++ "Google als dominierender Akteur auf diesem Gebiet absorbiert den Werbemarkt der Medien, von denen er seine Inhalte bezieht": diese relativ smarte Formulierung stammt nicht von einem der deutschen Verlegerverbände, sondern vom französischen. Über die Lage beim dort geplanten Gesetzesvorhaben berichtet der Tagesspiegel. +++

+++ "'Heilige Kühe' des Journalismus in Griechenland..., über die niemand so gern redet", seien etwa "Pressevertreter ..., die parallel zu ihrem Journalistenjob in Pressebüros von Politikern und Interessenverbänden tätig sind (was angesichts ihres Niedrigstlohns auch kein Wunder ist)". Das schreibt Jannis Papadimitriou am Rande bzw. Ende seines TAZ-Berichts zum griechischen Journalistenstreik. +++

+++ Steffen Grimberg schmunzelte am Telefon, als er dwdl.de erzählte, dass sich nach dem Bekanntwerden seines Abschieds von der TAZ "zunächst eine 'Bild'-Kollegin aus Hamburg und Konstantin Neven DuMont, nicht gerade die üblichen Verdächtigen" bei ihm meldeten. +++ Ebenfalls bei dwdl.de: eine Zwischenbilanz zu drei Jahren ZDF-Neo. "Von der großen Euphorie ist längst nicht mehr so viel zu spüren wie in den Anfangstage", meint Alexander Krei. Beim Marktanteil sei der Digitalsender von dem einen Prozent, "die der heutige Intendant Thomas Bellut vor drei Jahren ins Visier nehmen wollte, ...nach wie vor ein gutes Stück entfernt". Und das, obwohl "besondere Programme, die man sich im Hauptprogramm nicht trauen würde, ...selbst bei ZDFneo oft nur zu teils unverschämten Sendezeiten" laufen. Dagegen laufen sehr übliche ZDF-Verdächtige wie "Inspector Barnaby" und "SOKO Leipzig" "inzwischen sehr häufig auf prominenten Sendeplätzen". +++

+++ Alexander Görlach, der theeuropean.de-Chefredakteur, kann "als ehemaliger ZDF-Mitarbeiter ... ein Lied davon singen", wie die Parteipolitik in den Sender hineinreichte, und singt es auch. Es enthält, am Rande, eine "Initiative: Es gilt das gesprochene Wort" gegen das Interview-Autorisieren, und ist in einer Sprache verfasst, die die Politik verstehen dürfte: "Was auf gar keinen Fall geht und sehr zeitnah für die Zukunft verunmöglicht werden muss, ist der Sachverhalt, der sich an den Rücktritt von Sprecher Strepp anschließt..." +++

+++ Der NDR ersetzt seine Sendereihe "Landlust TV", nachdem der Münsteraner Verlag, der die sensationall erfolgreiche Zeitschrift herausbringt, offenbar keine Lust mehr hatte (new-business.de), durch "Mein schönes Land TV" in "für beide Seiten fruchtbarer" Zusammenarbeit mit der gleichnamigen Me-too-Landlust des Burda-Verlags, der dem sog. Ersten ja auch immer die Bambi-Übertragung spendiert. +++

+++ Und ausgerechnet zum heutigen "Rommel"-Tag erscheinen gar keine Besprechungen mehr. Bloß die Süddeutsche, die wegen des katholischen Feiertags Allerheiligen heute nicht erschienen ist, stellt Willi Winklers Text online. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.
 

 

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