Mächtiger als es die Russen je sein konnten

Mächtiger als es die Russen je sein konnten

Hat sich das ZDF in der Causa Strepp ähnlich verhalten wie die Bild-Zeitung bei Wulffs Anruf? Hat der zurückgetretene CSU-Sprecher den Öffentlich-Rechtlichen den denkbar größten Gefallen getan? Macht etwas zu behaupten nur dann Spaß, wenn man wirklich etwas zu behaupten hat? Außerdem geht es heute um Hans-Ulrich Jörges, Volker Weidermann, Reinhold Beckmann und Gerhart Baum.

„Vergesst Parteitage und die Vorstellung des neuen iPhones. Solche Massenveranstaltungen bringen abseits von Verlautbarung keinen Effekt.“ So lautete einer von „acht mehr oder minder kategorischen Imperativen“ bzw. Journalismusverbesserungsvorschlägen, die Hans Hoff vor rund drei Wochen für das Medienmagazin journalist aufgeschrieben hat.

Zurückgetreten ist nun bekanntlich jener CSU-Kommunikator, der am Sonntag einem Redakteur der Sendung „heute“ nahelegte, einen ganz bestimmten Parteitag zu vergessen, nämlich einen der Konkurrenz. Vielerorts erscheinen zum Abgang Hans Michael Strepps jeweils eine Handvoll Artikel, die FAZ beispielsweise berichtet auf den ersten beiden Seiten, auf Seite 10 kommentiert Herausgeber Berthold Kohler, und auf der Medienseite ist natürlich Michael Hanfeld zur Stelle. Die SZ, die die ganze Causa in Gang bringen durfte (siehe Altpapier), kommentiert online gleich zweifach - hier und hier -, und in der Print-Ausgabe ist der Rücktritt natürlich das Thema des Tages auf Seite 2. Dort macht Detlef Esslinger das Ausmaß der Einflussnahme klar:

„Der Pressesprecher der Christsozialen hat nicht nur einmal, sondern viermal versucht, Einfluss auf die Berichterstattung von ARD und ZDF zu nehmen.“

Konkret: Schon vor dem Anruf bei „heute“ gingen zwei SMS raus, eine davon an den stellvertretenden ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen. Auch ein ARD-Mann bekam eine Kurznachricht. Der Wortlaut der SMS-Nachrichten ist bisher noch nicht bekannt, aber die Investigativjournalisten der Republik dürften diesbezüglich bereits schwer am Schuften sein.

Große Sache also, und der Journalistik-Professor Stephan Weichert versucht bei meedia.de sogar einen Bezug zum 50. Jahrestag der Spiegel-Affäre herzustellen, die „in dieser ereignisreichen Woche“ nun „zur Nullnummer mutiert“ sei. Weichert nimmt die Causa Strepp auch zum Anlass, allgemein über das Verhältnis von Politikern und Journalisten zu sinnieren:

„Der großspurige Berliner Medienbetrieb, der immer mal wieder viel heiße Luft produziert, leidet (...) auf dem Politiker-Laufsteg in Mitte auch unter seiner Gastronomiedichte“

Hm, der Betrieb leidet auf dem Laufsteg unter seiner Gastronomiedichte? Aber apropos Gastronomie:

„Das Klönen auf Stehempfängen und die sprichwörtliche ‚Duzkumpelsaufnähe‘, wie sie inzwischen auch von vielen Hauptstadtkorrespondenten geschmäht wird, hat längst Methode und Kalkül.“

Die klönen da also mit „Kalkül“ in Berlin? Ich bin schockiert.

Mike Szymanski, einer der beiden für süddeutsche.de kommentierenden Kollegen, analysiert:

„Die CSU ist unter ihrem Vorsitzenden Horst Seehofer eine einzige große Inszenierung. (...) Der Parteichef kann es nicht ertragen, bloß auf seiner Couch in Ingolstadt zu sitzen und Zuschauer zu sein. Er braucht den großen Auftritt. Notfalls ist Seehofer sich selbst sein liebster Entertainer. (...) Die Affäre um Parteisprecher Hans Michael Strepp gibt jetzt den Blick auf eine ganz andere Partei frei: auf eine sehr alte CSU und auf eine offenbar furchtbar ängstliche CSU.“

Im Tagesspiegel-Interview mit ZDF-Intendant Thomas Bellut geht es unter anderem darum, dass Seehofer Mitglied im ZDF-Verwaltungsrat ist. Womit wir bei der Normalität der politischen Einflussnahme wären. Auf die kommt, natürlich, Michael Hanfeld zu sprechen, der sich offenbar in den Schinken gebissen hat angesichts Strepps „plumpen“ Vorgehens:

„Was für eine Vorlage, was für eine Gelegenheit, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in puncto ‚politische Einflussnahme‘ in ein milderes Licht zu rücken, als es angebracht ist.

Der Christsoziale habe den Öffentlich-Rechtlichen „den denkbar größten Gefallen“ getan, schreibt Hanfeld auch, und da hat er Recht, denn die können jetzt mal wieder das Lied von ihrer parteipolitischen Unabhängigkeit singen und stehen auch noch als unerschütterliche Verteidiger der Pressefreiheit dar.

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Stellen wir jetzt aber endlich mal einen Zusammenhang her zwischen Hans Hoffs eingangs zitierter genereller und Strepps sehr spezieller Forderung: Das Problem sind doch nicht Pressesprecher, die - ob nun aus eigenem Antrieb oder im Auftrag eines möglicherweise zur Wadenbeißerei neigenden Hierarchie-Oberen - bei Sendern anrufen und programmliche Handlungsempfehlungen geben, sondern Nachrichtensendungen, die in ihrer Politikberichterstattung so parteienfixiert sind, dass Parteitagsberichterstattung dort zum Pflichtprogramm gehört. Man muss Parteitage ja gar nicht komplett vergessen, aber man kann es den Nachrichtenagenturen überlassen, dort aufzukreuzen. Ein paar Gedankensplitter zu dem Thema dazu gab es im Altpapier schon mal.

Innermedienbetrieblich interessant ist die Frage, die Jürn Kruse in der taz aufwirft. War es denn „nötig“, dass das ZDF „den Umweg“ über die SZ gegangen ist?

„Das ZDF hätte auch einfach in der ‚heute‘-Sendung den SPD-Beitrag mit einem Hinweis auf die versuchte Einflussnahme durch CSU-Sprecher Strepp anmoderieren können. Stattdessen wählten die Betroffenen den indirekten Weg: Wie einst die Bild in der Affäre um Christian Wulff den Anruf des damals noch amtierenden Bundespräsidenten auf der Mailbox von Chefredakteur Kai Diekmann Journalisten im Wortlaut vorbetete, aber in der eigenen Zeitung nicht druckte, steckte auch das ZDF den Anruf Strepps erst nur an Kollegen durch und machte den Inhalt des Telefonats aus der Sicht der ‚heute‘-Redakteurs erst am Donnerstag öffentlich.“

Auf eine nicht direkt, aber entfernt vergleichbare Weise spielte ja auch die FAZ beim einige Nummern kleineren „Prantlgate“ über Bande. Die FAZ hatte die Chance, dem direkten Konkurrenten, der SZ, eins auszuwischen, machte in einem Artikel aber lieber nur eine Anspielung für Insider, so dass dann zwei Tage später der Tagesspiegel die Causa ins Rollen bringen konnte (siehe Altpapier)

[+++] Der erwähnte Kollege Hoff hat für die erwähnte journalist-Ausgabe auch mit Leo Fischer, dem Chefredakteur der Titanic, gesprochen. Das dem Interviewten zugegangene Belegexemplar könnte ein Grund dafür sein, dass dem Medienmagazin in der November-Ausgabe von Fischers Blatt nun die Ehre zuteil wird, ebendort parodiert zu werden - vor allem optisch, aber nicht nur. „Traumberuf Journalist“ ist die sechsseitige Geschichte (ab Seite 36) überschrieben, in der Branchenprominente wie Hans-Ulrich Jörges veräppelt werden. Dem haben Fischer und seine Co-Autoren ein Statement in den Mund gelegt, das Jörges' realen Stil prima verdichtet:

„Journalisten sind heute mächtiger, als es die Russen je sein konnten. Ihr Ja und Amen entscheidet über das Wohl und Wehe von Kind und Kegel. Ein einziger Kommentar kann die Welt in die Luft sprengen. Glauben Sie mir, die Versuchung ist groß, aber ich kann mich noch zurückhalten.“

Die Titanic wartet im Übrigen wie Cicero mit einem „Mein Kampf“-Titel auf - womit die These, dass Hitler immer geht, wenigstens mal auf etwas variierte Art bestätigt wird.

[+++] „Welt, Wirklichkeit, Wahrheit, Leben - die vier zentralen Begriffe im Oeuvre des Literaturkritikers Volker Weidermann“, lautet nicht der Titel einer Dissertation über den Belletristik-Experten der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Aber es nicht auszuschließen, dass so etwas noch erscheint in den kommenden Jahren, denn vielleicht gelingt es Weidermann ja, seine Wirkungsmacht noch auszubauen. Gereicht hat es immerhin schon zu einem dreiseitigen Artikel in der Monatszeitschrift konkret. David Schuh weist darin auf amüsante Weise nach, dass Weidermann auch nur mit Volvic kocht bzw. seine Literaturkritikerkarriere mit hauptsächlich vier Begriffen bestreitet, nämlich eben jenen oben genannten: Welt, Wahrheit, Wirklichkeit, Leben. Inclusive Variationen wie „Weltwunschprogramm“, „Frankfurt-Deutschland-Welt-Archäologie“, „Weltbeobachtungsvorbild“ oder „Weltwutautor“. 

Ob Weidermann, der so oft den Begriff „Leben“ in vielen Variationen verwendet, ein Buch oder einen Autor schon mal als „lebenswarm“ bezeichnet hat, erschließt sich nicht, zumindest ist es in Schuhs Artikel nicht erwähnt. „Lebenswarm“, so viel ist so gut wie sicher, ist aber Oliver Jahn, der Chefredakteur der Zeitschrift AD Architectural Digest. In einem dieser beliebten Fragebögen, die es neuerdings auch beim Branchendienst text intern gibt (Seite 14), bezeichnet er sich jedenfalls selbst so - und darüber hinaus als, auch nicht schlecht, „bildhungrig“. Möglicherweise sind ja sogar „die schönsten Häuser“ der Welt, die Jahns Blatt präsentiert, lebenswarm.

[+++] Zu den Lieblingsinstitutionen vieler Medienjournalisten gehören die Landesmedienanstalten, und eine ganz besondere unter ihnen ist die Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM). Zum Beispiel, weil rund um die Behörde ein Riesenreich von Gesellschaften, Vereinen und Stiftungen entstanden ist. Dieses Geflecht, das fast so Ehrfurcht erweckend ist wie das der öffentlich-rechtlichen Produktions- und Produktionsdienstleistertöchter, ist Gegenstand eines Gutachtens, das kürzlich ein Gegengutachten der BLM provoziert hat. Ich habe für die Funkkorrespondenz darüber geschrieben.

Zu den BLM-Firmen gehört auch die Medientage München GmbH, von deren Veranstaltung heute viel im Zusammenhang mit der aktuellen Causa CSU und Pressefreiheit (schließlich hat Horst Seehofer dort über jene Freiheit geredet) die Rede ist. Anderen dort verhandelten Themen widmen sich dwdl.de (Scripted Reality) und stern.de/dpa (Bezahlschranken)


ALTPAPIERKORB

+++ „Warum die Internetseite der New York Times in China nicht mehr erreichbar ist“, steht im Blog von Katrin Scheib.

+++ Über ihre Erfahrungen auf drei Reportagereisen, die sie seit 2012 nach Syrien unternommen hat, schreibt die Kriegsberichterstatterin Janine di Giovanni für den New-York-Times-Blog The Lede.

+++ Ganz anders als neulich im SZ-Magazin geschildert lief 1987 eine ins Nonverbale abgleitende Auseinandersetzung zwischen Peter Handke und dem FAZ-Kritiker Jochen Hieber ab, und zwar, wie letzterer heute in einer Glosse richtigstellt, folgendermaßen: Erst habe Handke „Da bist du ja schon wieder, du Schreiber-Bubi von der FAZ“ gerufen, dann sagte Hieber wohl was vermeintlich Beleidigendes. „Gleich darauf streifte mich sein Fausthieb, meine Brille ging zu Boden, zugleich bezog ich Abwehrstellung. Es gab ein paar recht wirkungslose Schläge hin und her, dann beendeten einige Mitarbeiter unseres Gastgebers, des Verlegers Hubert Burda, den Kampf abrupt, indem sie Handke erst umklammerten und dann wegzerrten.“

+++ „Deutsche Dokumentarfilmer sind das Prekariat des Fernsehens“ bzw. „Dokumentarfilmer sind das Prekariat im TV-Geschäft“ - die Formulierungen der FAZ und der SZ in den Vorspännen ihrer Medienseitenberichte über eine recht deprimierende und hier zum Download bereit stehende Studie lauten fast identisch. Marc Widmann (SZ) führt aus: Von der „einstigen Freiheit“ der Dokumentarfilmer sei „wenig geblieben, schon 45 Prozent aller Filme erstellen sie für eine Doku-Reihe, oft mit klaren Vorgaben der Sender. Der Trend zur einheitlichen Formatierung von Dokumentarfilmen ist auch ein Trend zur Einhegung ihrer künstlerischen Freiheit, so sehen es zumindest die Betroffenen.“

+++ Wikileaks lebt. Die Plattform hat „Anweisungen zum Umgang mit Häftlingen in den umstrittenen Militärgefängnissen im Irak und im Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba“ (Die Welt/AFP) publik gemacht. Siehe auch Reuters.

+++ Am Mittwoch hat der BVB-Trainer und Ex-ZDF-Experte Jürgen Klopp den aktuellen, mit „grantlerhaften Allgemeinplätzen“ aufwartenden ZDF-Experten Oliver Kahn „vorgeführt“, meint Sportsaal.

+++ Reinhold Beckmann sagt in der neuen 11-Freunde-Titelgeschichte über die ersten Redaktionssitzungen bei „ran“: „Die hörten gar nicht mehr auf, fast wie zu Studentenzeiten in der Wohngemeinschaft, als es um um den NATO-Doppelbeschluss ging.“ Das Thema der Titelstory lautet „20 Jahre moderner Fußball“, und dass der Fußball heute ist wie er ist, hat ein bisschen was mit der Sendung zu tun, die Beckmann einst präsentierte.

+++ Dass ein Springer-Objekt einen „Marxisten“ und „dialektischen Autor“ preist, kommt allzu oft vermutlich nicht vor. In diesem Fall kommt das Lob vom Rolling Stone, und es gilt dem FAZ-Redakteur und gerade auch als Vorwortschreiber für eine aktuelle Lenin-Ausgabe in Erscheinung getretenen Dietmar Dath bzw. der heute erscheinenden Platte, die er mit The Schwarzenbach aufgenommen hat (siehe auch Altpapier).

+++ Mehr Musikjournalismus: Im Freitag-Porträt der Übersetzerin Clara Drechsler geht es unter anderem die Anfänge der Musikzeitschrift Spex, die 1980 Drechsler mitgegründet hat. „So emanzipiert die Themen waren, die seinerzeit in Spex verhandelt wurden – am Anfang war Clara Drechsler dort die einzige Frau. ‚Alles hat sich damals in der Kneipe abgespielt. Und es gab nicht viele Frauen, die jede Nacht so lange mit den Jungs Bier tranken und Musik hörten.‘“ Nach 15 Jahren hat Drechsler dort aufgehört, weil es damals in „schöner Regelmäßigkeit“ hieß: „Wir müssen mal wieder etwas behaupten. Eine subtile, dreimal um die Ecke gedachte Behauptung, die uns von den anderen abhebt. Dabei fällt unter den Tisch, dass etwas zu behaupten nur dann Spaß macht, wenn man wirklich etwas zu behaupten hat. Irgendwann ist es sonst dasselbe, als wenn man in einer Werbeagentur arbeiten würde.“

+++ Gestern vor acht Jahren starb John Peel, der wichtigste europäische Musikradiomoderator der Nachkriegszeit. Deshalb war „Keeping it Peel“-Tag, und bei Louder Than War erschien eine ausführliche Würdigung.

+++ Thomas Gehringer kritisiert im Tagesspiegel ein Porträt, das der WDR zum 80. Geburtstag des früheren FDP-Innenminister Gerhart Baum sendet: „Baum ist immer für ein klares Wort gut, dennoch ist diese filmische Zeitreise gerade an den Bruchstellen seiner Karriere zu brav geraten. Versöhnlich sitzen Baum und Genscher vor der Kamera und verlieren kein Wort zur Wende 1982, als sie zu innerparteilichen Gegnern wurden. Genscher sagt nur etwas gönnerhaft, Baum gehöre trotz Differenzen zur liberalen Familie. Ach ja? Wie erging es einem wie ihm in der Möllemann-Westerwelle-Ära? Was hält ihn bis heute in dieser FDP? Fragen, die der Film nicht stellt.“

+++ Und einen neuen Kandidaten für den diesjährigen Hölle-Preis der Journalistenorganisation Freischreiber gibt es auch: das Handelsblatt.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

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