Die Interviewfloskel "(lacht) Im Ernst" ist mal wieder zu Gast in der Zeitung. Dann ist heute Tag der kritischen Beschäftigung mit Google, Stichwort Verzerrung, Stichwort Leistung. Helge Schneiders WDR-Talkshow wird besprochen. Und es ist nachzumelden, dass Bertelsmann Gruner+Jahr nicht komplett übernimmt
Hurra, da ist sie wieder, eine der beliebtesten Printinterviewfloskeln überhaupt: die Antwortpassage "(lacht) Im Ernst". Heute lacht-im-ernstet im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (S. 37) Robert Thomson, der Chefredakteur des Wall Street Journals:
1.) SZ: "Sie haben die Ausrichtung des 'Wall Street Journal' um 180 Grad gedreht . . ."
Thomson: "In Wirklichkeit haben wir die Zeitung um 360 Grad gedreht, einmal ganz herum (lacht). Im Ernst: Wir sind nicht mehr nur eine Wirtschaftszeitung, wir sind heute sehr viel mehr als das."2.) SZ: "Wie viele zahlende Abonnenten für Ihr Internetangebot" – gemeint ist die deutsche Webseite des 'Wall Street Journal' – "haben Sie schon: Hunderte, Tausende?"
Thomson: "Viele Millionen (lacht)! Im Ernst: Das Wall Street Journal Deutschland wird gut angenommen, konkrete Zahlen gibt es aber noch nicht."
Sehr hübsch (lacht)! Im Ernst: Vor Interviewantworten, in denen "(lacht) Im Ernst" steht, muss man sich hüten. Es handelt sich dabei so gut wie nie um Antworten. Wie das ganze Interview mit Robert "Ich mag alle deutschen Mitbewerber" Thomson vor keinen Antworten nur so strotzt. Allerdings ist Thomson ein Mann, der in für Printmedien eher schlechten Zeiten halbwegs gute Zeiten erlebt: "Die Gesamtauflage stieg zuletzt leicht auf knapp 2,2 Millionen, das Wall Street Journal ist damit die größte Zeitung der USA" (SZ). Angesichts der neuen IVW-Zahlen, in Zeiten, in denen die Newsweek-Printausgabe eingestellt wird (siehe Altpapier) und der Guardian dementieren muss, dass er seine Printausgabe einstelle, weil man es sonst am Ende glauben würde, ist allein das ja schon ein Statement. Ein Zeichen, ein Lichtlein, ein bisschen Hope (lacht)!
+++ Im Ernst: Wer sich besonders für Medienwirtschaft interessiert, kommt halbwegs auf seine Kosten. Bertelsmann, zum Beispiel, hat am Freitagvormittag mitgeteilt, dass sich nichts ändere – das war aber durchaus eine Nachricht:
"Die Anteilsverhältnisse an der Gruner + Jahr AG & Co KG bleiben unverändert",
hieß es in der entsprechenden Pressemitteilung, die am Samstag aufgearbeitet wurde; für die längere Nachricht siehe etwa den Tagesspiegel. SZ und FAZ berichteten auf ihren Wirtschafts- bzw. Unternehmensseiten. Jenseits der Frage, was die Geschichte für Bertelsmann und Vorstandschef Thomas Rabe bedeutet ("ein herber Rückschlag", FAZ; der Vorgang lasse Rabe schlecht aussehen, SZ; "eine fette Niederlage" für Bertelsmann, taz), geht es am Rande auch um Gruner+Jahrs Kerngeschäft, also um das, was in der Bertelsmann-Pressemitteilung als "Qualitätsjournalismus" bezeichnet wird. Die FAZ schreibt, zuletzt
"fürchteten viele Gruner-Mitarbeiter, dass Bertelsmann nach einer vollständigen Übernahme des Verlags in Hamburg durchgreifen und Personal abbauen würde. Entsprechend erleichtert ist man nun in der Firmenzentrale am Baumwall."
Wo die Lage laut taz gleichwohl "angespannt" bleibe. Angespannte Erleichterung – Gruner+Jahr. Wäre eine schöne Selbstbeschreibung für die "ehrlichen Kontaktanzeigen" in Gruner+Jahrs Neon. Passend zur Zeit fehlt jedenfalls auch in der G+J-Berichterstattung der Hinweis nicht, dass das Business gerade ein kompliziertes sei. Warum? Anzeigenrückgänge (taz). Printauflagenrückgänge (Wirtschaftswoche).
+++ Es gibt zudem diverse Google-Artikel. Und wie oft, wenn es um Google geht, bewegt sich das Geschehen an der Schnittstelle zur Politik. Weniger gilt das noch für den Text aus der FTD und andere Texte aus Wirtschaftsressorts (etwa in der Samstags-SZ), die von einer dieser investorenpanischen Börsenwahnsinnigkeiten wegen zu früh herausgegebener Quartalszahlen handeln; von einer dieser Geschichten also, die kein Mensch je wirklich wird nachvollziehen können, in dessen Kopf "Parkett" mit "Fußboden" verschaltet ist und nicht in erster Linie mit dem Ort, an dem Franz Zink, ZDF, seine Börsenpoesie loslässt.
Es gilt aber für den Spiegel-Titel, der mal wieder ein Internettitel ist: "Google. Die undurchsichtigen Methoden eines übermächtigen Konzerns". Eigentlich ist die Geschichte ein alter Hut, aber avantgardistische Hutmode ist ja bekanntlich nicht das einzige Titelkriterium. Für den Titel haben diverse Autoren zunächst einmal recherchiert, dass Google nicht neutral sei, und es geht relativ viel Platz drauf, darzulegen, was gar nicht anders sein kann: Natürlich ist Neutralität streng genommen schon von vornherein unmöglich, "wenn Programmierer Entscheidungen treffen, welche Faktoren wie stark zu gewichten seien".
Die Bevorzugung der eigenen Angebote, der eigenen Geschäftspartner und der eigenen Politik bei der Google-Suche – also eine nicht vorhandene Neutralität im engeren Sinn – ist aber der eigentliche Auslöser für die Diskussion über den Konzern, dessen "Ausnutzung seiner Marktmacht" (S. 89) kritisiert wird. Regulierungsmaßnahmen fordert etwa der US-Medienunternehmer John Malone, der über ein Unternehmen aber auch an Firmen beteiligt ist, die "Beschwerde gegen Googles Geschäftspraktiken im Reisemarkt eingelegt" haben.
Kritik kommt auch von der ProSiebenSat.1 Media AG, dessen Videoplattform myvideo.de – Konkurrenz zu Googles Youtube – auf der Google-Trefferliste "plötzlich rapide abgesackt" sei. Und auch der Spiegel-Verlag selbst, so legen die Autoren des Aufmachertextes in einer Fußnote offen, ist als Mitglied im Verband deutscher Zeitschriftenverleger zwar nicht direkt an einer VDZ-Beschwerde gegen Google in Brüssel beteiligt, aber eben doch VDZ-Mitglied. Google ist also nicht neutral. Neutrales Schreiben über Google ist aber auch nicht möglich.
####LINKS#### Dem Schreiben über die Zerrung beigestellt ist das Schreiben über die Leistung: Das FAZ-Feuilleton blickt nach Frankreich, wo im Zug der Diskussion über ein (anderes) mögliches Leistungsschutzrecht von einer "Kriegserklärung" Googles an Verlage die Rede ist, weil Google drohe, nicht mehr auf sie zu verlinken (Vorgeschichte aufgeschrieben von Jürg Jürgen Altwegg, FAZ). Es fasst die jüngste französische Google-Debatte zusammen (S. 25):
"Frankreich will Google nicht nur zum Zahlen gerechter Steuern bringen und an der Finanzierung der Inhalte beteiligen. Es geht immer mehr auch um einen ideologischen Kampf. 'Google ist in unseren Köpfen', klagte der 'Figaro' am Samstag: In Brasilien hätten die Verlage mit Google gebrochen. Der 'Nouvel Observateur' beschreibt, wie man als Individuum auf Google verzichten kann."
Auch hier aber bleibt zu konstatieren, dass Zeitungen – egal, wie sie heißen – nicht neutral sein können; die "Drohung, nicht mehr auf französische Zeitungen zu verweisen", macht sie zum Akteur in eigener Sache. Das Blog neunetz.com – eben gerade keine Zeitung – fühlt sich zur Kritik an der Kritik berufen. Aufgehängt ist sie an Altweggs Frankreich-Google-Text, aber auch an Betrachtungen französischer Zeitungen, und es zerlegt Formulierungen und "Milchmädchenrechnungen" – Schmierentheater, "mafiöse Argumentation", Arroganz, das sind hier die Keulen gegen die Anti-Google-Keulen. Neunetz:
"Es ist vollkommen egal, wie man zu Google steht, um dieses Schmierentheater als solches wahrzunehmen. (Ich stehe diesem Konzern, dessen beste Zeit meines Erachtens schon länger hinter ihm liegt, ausgesprochen kritisch gegenüber.)"
Bleiben als – hmm, neutrale? – Netztheoretiker wie Geert Lovink, dessen neues Buch "Das halbwegs Soziale. Eine Kritik der Vernetzungskultur" die FAZ bespricht und in dem laut Rezension vom "datenfettsüchtigen" und "zynischen Unternehmen" Google die Rede ist, das eine "Technologie der Ausbeutung" geschaffen habe (S. 26). Lovink beschäftige sich aber auch mit Kritik an Google und der Schwierigkeit, sie zu üben:
"Lovinks Kritik ist deutlich. Aber sie ist mit Bedacht formuliert. Denn Argumente gegen Google seien nur schwer zu finden, gesteht Lovink. Schließlich zwingt das Unternehmen seine Dienste niemandem auf, die Konkurrenz ist immer nur einen Klick entfernt. Für Kritik daran fehle heute auch das Handwerkszeug. Sie beschränkt sich auf 'journalistische Beobachtungen, Ideologiekritik und Diskursanalyse'."
(Lacht.) Im Ernst: An den gemischt ausfallenden Kritiken zu Helge Schneiders neuer WDR-Talkshow "Helge hat Zeit", (FAZ, sueddeutsche.de, Spiegel Online), die am Samstag debüttierte, ist aber nichts auszusetzen.
+++ Mögliche Wettbewerbsverzerrung wird auch in der SZ thematisiert, dort geht es allerdings um die Öffentlich-Rechtlichen (S. 37): "Seit Jahren beklagen sich freie Fernseh- und Filmproduzenten darüber, dass ARD und ZDF bei der Vergabe von Aufträgen immer mehr ihre eigenen Tochterfirmen bevorzugen und somit den Markt verzerren. Eine neue Studie des Formatt-Instituts in Dortmund unterfüttert diese Klage: Demnach wachsen die 'abhängigen Produktionsfirmen', also Unternehmen, bei denen ARD und ZDF mehr als 25 Prozent halten, viel schneller als die unabhängigen" +++ Das Thema wird auch bei DWDL diskutiert, in der Webtalkshow "Studio D", mit dem Fernsehproduzenten Gerhard Schmidt +++
+++ Die FAS hat ihren neuen Kolumnisten Thomas Gottschalk (siehe Altpapier) auf der Feuilletonaufmacherseite als neuen Kolumnisten vorgestellt, indem sie ihn zum Hausbesuch beim anderen Kolumnisten Marcel Reich-Ranicki begleitete. Die neue Kolumne fand derweil noch nicht statt +++
+++ Das "heute-journal" hat in einem Beitrag über u.a. eine Steinbrück-Rede Bilder von Jürgen Trittin gelegt, die seine Reaktionen auf eine Brüderle-Rede zeigen; "Autor und Redaktion bedauern die ungenaue und deshalb fehlerhafte Bildauswahl" (Focus) +++
+++ Markus "Ich schlafe leider nie" Lanz moderiert für das ZDF auch bei der "Nacht der Entscheidung", also am Tag der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl am 6. November (via Daniel Bouhs). Lanz melde sich "von er großen Wahlparty in Berlin". Damit das Wort "Party" endlich seine Berechtigung bekommt +++ In der Welt am Sonntag steht ein großes Interview mit Frank Elstner und Joko Winterscheidt; online ohne den Hinweis, dass Elstner für die Axel-Springer-Akademie arbeitet +++
+++ Im Tagesspiegel: ein Auszug aus der neuen Studie "Hohle Idole – was Bohlen, Klum und Katzenberger so erfolgreich macht" von Bernd Gäbler, erstellt im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung: "Weil doch angeblich heutzutage allenthalben solides Können, Eigensinn und die Fähigkeit zur Kooperation in heterogenen Gruppen besonders gefragt sind, wirkt das Lernprogramm der Castingshows seltsam antiquiert. Aber es zielt mitten hinein in eine große soziale Unsicherheit" +++ Zur Wiederkehr von Yps schreibt der ebenfalls Tagesspiegel +++
+++ Zum 50. Jubiläum der Spiegel-Affäre schrieb noch Christian Bommarius (Berliner Zeitung) +++ Zum Konflikt von Verlagen mit Google ist noch der brasilianische Aspekt hinzuzufügen +++ Die taz schreibt über den Gesetzesentwurf zur Pressefusionskontrolle: "Um der besonderen Bedeutung der Presse für ein demokratisches System Rechnung zu tragen, entschied hier das Kartellamt bereits ab einer 'Aufgreifschwelle' von 25 Millionen Euro Umsatz mit. Demnach könnte die taz nicht einmal die Junge Welt übernehmen. Wenn der Bundesrat der GWB-Neufassung zustimmt, müssen Übernahmen im Pressebereich erst ab 65 Millionen Euro Gesamtumsatz im Jahr beim Kartellamt angemeldet werden" +++
+++ Und Fernsehen: Der Tagesspiegel bespricht den ZDF-20.15-Uhrer "Herzversagen" +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.