59 ist das neue 49

59 ist das neue 49

Hochfeuilleton-Krimi, Werberelevanz-Verschiebung, Nationalmannschafts-Abschied: Wieder ganz ganz große Dramen aus den fabelhaften Welten der Journalisten und vergleichbarer Berufsmilieus.

Freunde des traditionsreichen Kunsthandwerks Journalismus dürfen sich auf das Frühjahr 2013 freuen. Denn dann soll die neue ARD-Fernsehserie ausgestrahlt werden, mit deren Dreharbeiten die Crazy Film gestern begann. Worum es geht, könnten fortgeschrittene Journalismus-Anhänger bereits am gewitzten Titel "Heiter bis tödlich - Zwischen den Zeilen" erkennen:

"Zwei Journalisten und zwei Welten prallen aufeinander: Maja Becker (Josephine Schmidt) glaubt an das Gute und kämpft für eine gerechte Welt. Dabei passieren ihr immer kleinere und größere Missgeschicke. ... . Paul Jakobs (Ole Puppe), ehemaliger Starjournalist, glaubt gar nichts mehr. Er ist zynisch und lässt sich schon mal für Jubelartikel von den örtlichen Unternehmern einkaufen. Den Großteil seiner Zeit verbringt er mit dem Mixen von Wodka-Martinis mit Kopfschmerztabletten",

schürt die ARD Spannung. Schließlich handelt es sich bei den eigentlich Plots um von den so interessant unterschiedlichen Journalisten gemeinsam aufzuklärende Kriminalfälle. Die Serie wird Teil jenes ARD-Werberahmenprogramms am Vorabend, das Unter-50-Jährige vorwiegend vom Weiterzappen kennen.

Und da sind wir (lesen Sie bitte die eingangs verlinkte Inhaltsangabe aber noch bis darin der "popkultursüchtige Poet" Rajesh auftaucht, "der Paul bewundert und zum Dank dafür auch dessen Arbeit erledigen muss" - endlich mal eine Nebenfigur, auf die man gespannt sein kann!) ... - und da waren wir schon mitten in der tagesaktuellen Diskussion, in der also auch heute wieder allerlei Welten aufeinanderprallen.

[+++] Breaking zumindest für die starke Fraktion der Einschaltquotenbeobachter: Ab 2013 will die RTL-Group die Einschaltquoten ihrer Sender nicht mehr für die von ihrem einstigen Chef Helmut Thoma nach seinen stets gern wiederholten Angaben freihändig ersonnene, inzwischen Medienbeobachtern längst als "werberelevant" eingebrannte Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen ausweisen, sondern für die neue der 20- bis 59-Jährigen.

Das berichtete die FTD gestern in einem nur frei ansatzweise frei online verfügbaren Artikel. Selbstverständlich fasst der Tagesspiegel die News sowohl zusammen, wie er sie auch einordnet und gegen die eigentlich auf älteres Publikum spezialisierten Öffentlich-Rechtlichen verwendet:

"... Dieter Bohlen, 54, befindet plötzlich wieder in der Komfortzone des RTL-Programmschaffens. Moderatorinnen wie Katja Burkard oder Frauke Ludowig dürfen - endlich - älter werden. Natürlich werden die RTL-Sender penibel darauf achten, dass sie sich von den öffentlich-rechtlichen Programmen erkennbar abheben werden. Die Schmalz-Brigaden, wie sie die ARD mit 'Rote Rosen' aufs Publikum loslässt, oder das ZDF mit den Schund-auf-den-Schären-Filmen werden das private Programm nicht prägen. Action, Schmerz und Schadenfreude schon eher",

räsoniert Joachim Huber. Ferner informiert er, ebenfalls aus FTD entnommen, dass der RTL-Konkurrent ProSiebenSat.1 nicht mitziehen möchte, sondern weiterhin 14- bis 49-Jährigen messen möchte.

"Die Quoten-Konfusion wird damit also noch größer, schauen doch ohnehin schon viele Sender - völlig zu recht - auf ganz andere Zielgruppen, wenn sie Erfolge verkünden", meint dazu de meedia.de-Quotenfuchs Jens Schröder. Und was schreiben die Quotenfüchse von dwdl.de, die in ihrer "Zahlenzentrale" ja schon jetzt die Betrachtungs-Optionen "ab 3 Jahren", "14-49 Jahre" und "20-59 Jahre" anbieten? Vorerst wenig.

[+++] Damit ein Katzensprung ins Hochfeuilleton, dessen führendste Protagonisten dank einer mutmaßlichen Enthüllung der Welt (siehe Altpapierkorb gestern) in eine solch mörderische Intrige verwickelt sein könnten, dass beinahe schon schade ist, dass bei der Degeto Hans-Wolfgang Jurgan nicht mehr amtiert. Der hätte ansonsten die ARD-Verfilmung natürlich schon angeschoben.

Es geht also um den Kriminalroman "Der Sturm", den Geheimnisse umwabern wie sonst nur die Herbstnebel schwedische Wälder ("voraussichtlich ab dem 23. August 2012 im Buchhandel/ Preisänderungen & Lieferfähigkeit vorbehalten"). Hinter dem inzwischen als Pseudonym entlarvten Autor Per Jonasson Johansson vermutet Welt-Redakteur Richard Kämmerlings u.a. deshalb den Süddeutsche-Feuilletonchef Thomas Steinfeld, weil das Mordopfer verdammt an einen verschlüsselten Frank Schirrmacher erinnert.

Die nicht unspannende Frage, ob sich Steinfeld oder die Süddeutsche dazu äußern, bleibt vertagt wegen des heutigen katholischen Feiertags Mariä Himmelfahrt. Dessentwegen erscheint die SZ heute gar nicht.

"Weder Steinfeld noch die Chefredakteure der 'Süddeutschen Zeitung' waren am Montag und Dienstag für eine Stellungnahme zu erreichen", informiert die Welt selbst in ihrem Nachklapp, der jedoch ein entlarvendes Eingeständnis des Fischer-Verlags ("Wir merken, dass in diesem Fall das Bemühen, ein Pseudonym zu schützen und einen Buchstart zu inszenieren, vielleicht etwas zu weit ging") sowie eine Aussage der womöglich verschlüsselten Persönlichkeit selbst enthält:

"'Ich lese keine schwedischen Krimis', sagte Schirrmacher der 'Welt' lakonisch."

Dieselbe Info ließ er aber auch meedia.de ausrichten, dessen gewohnte Nacherzählung wiederum den beträchtlichen Reiz besitzt, dass das fiktionale Mordopfer im Buch "Christian Meier" heißt - also so, wie der meedia.de-Mann, der natürlich auch das Aggregieren übernahm.

"Viel Feind, viel Ehr", merkt die bekanntlich nicht direkt Schirrmacher-gegnerische Bild-Zeitung - lakonisch - an. Und im Tagesspiegel-Feuilleton erklimmt der immer gut informierte Literaturredakteur Gerrit Bartels, nachdem er Kämmerlings zunächst gelobt, dann aber doch gefragt hat, ob es nicht auch "eine Nummer kleiner gegangen" wäre, eine oder sogar mehrere weitere, literaturkritische Metaebenen: Schon mit dem gestrigen Feuileton-Aufmacher der Autorin Kristina Maidt-Zinke, einem Artikel über Jonas Johansson Jonasson und dessen Bestseller "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand", könnte Steinfeld proaktiv auf die Enthüllung reagiert haben.

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Nur kurz zwischendurch: Der Tagesspiegel gehört zur Dieter von Holtzbrinck Medien GmbH, der Fischer-Verlag dagegen zur Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, also einer zumindest derzeit anderen Einheit. Eingangs zitiert Gerrit Bartels wiederum ein Kämmerlings-Lob durch seinen Welt-Kollegen Tilman Krause vor wenigen Tagen in der Welt (mit dem Krause Kämmerlings gar für eine eigene Literatur-TV-Show ins Spiel bringen möchte):

"Er besitze nicht nur eine philologische Ausbildung, so Krause, sondern zudem 'ein wichtiges außerliterarisches Referenzsystem': das des Pops im Allgemeinen und neuerer amerikanischer Fernsehserien im Speziellen, beide wiederum wichtig für die jüngere deutschsprachige Literatur".

Jetzt aber deshalb anzunehmen, dass es sich bei der in diesem Altpapier eingangs erwähnten Journalistenkrimiserie der ARD ebenfalls um ein Schlüssel-Werk handelt, und beim "popkultursüchtigen Poeten", der den zynischen ehemaligen Starjournalisten bewundert "und zum Dank dafür auch dessen Arbeit erledigen muss", gar um eine Verschlüsselung eines Welt-Redakteurs - das wäre vermutlich total crazy.

Bleiben Sie dran! Mehr ganz große Journalistendramen folgen im Altpapierkorb.
 


Altpapierkorb

+++ Wie es in Redaktionen so zugeht, "bis zu einem gewissen Punkt halt, bis zu der Diskussion, bei der es zum ultimativen Kampf kommt, bei der die Messer gewetzt werden, bei der es Tränen gibt, bei der Ultimaten gestellt werden - sei still, sei lieb, gib es zu - entweder so und auf keinen Fall anders...", das beschreibt Bülend Ürük auf newsroom.de dermaßen plastisch, als würde er um den Auftrag fürs Drehbuch zum nächsten Veronica Ferres-Drama im gerade angesagten Journalistenmilieu pitchen. Aktueller Anlass: Deutschlandfunk-Chefredakteurin Birgit Wentzien hat sich zur Trennung von Jens Weinreich geäußert: "Wir bedauern diese Trennung. Sie ist für uns eine endgültige Trennung". +++

+++ Ganz ganz groß das Drama heute abend, wenn DFB-Pressesprecher Harald Stenger sich von der Nationalmannschaft verabschiedet. Im Interview mit dem Tagesspiegel bleibt Stenger, der vor dem Anpfiff die Nationalhymne zu singen "eine offizielle Verabschiedung durch den DFB vor dem Spiel" ablehnte, standhaft bei seiner "Linie, dass ich mich zu den Hintergründen der Entscheidung nicht äußern möchte". Doch das nutzt Interviewer Markus Ehrenberg, um allerhand Spannendes aus dem Familienleben der Nationalmannschaft und aus ihrer Sauna zu erfragen. Was macht Stenger, 61, künftig? "Es gab schon bald nach der Bekanntgabe der Trennung vom DFB einige lukrative Angebote. Ich fühle mich topfit." +++

+++ Der allerneueste Leistungsschutzrecht-Entwurf ist da. Stefan Niggemeier weiß mehr. +++

+++ Die FAZ berichtet von der "ersten Klage gegen den neuen Rundfunkbeitrag", die der Jurist Ermano Geuer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Universität Passau, eingereicht habe. Ob sie mit der "ersten Klage", von der kürzlich in Funkkorrespondenz (und Altpapier) die Rede war, weil "eine Privatperson aus Bayern" sie einreichte, identisch ist, ist vermutlich nicht so wichtig. +++

+++ Auch die FAZ hat jemanden zur schon gut beschriebenen "Supertalent"-Aufzeichnung (weitere Berichte: siehe Altpapier vom Montag, Punkt 2 im Korb) geschickt: die Schriftstellerin Sandra Kellein. "... Tote Babyhaie sind immer irgendwie rührend, wahrscheinlich wächst mir bald ein Huf. Ein Kamerateam verfolgt ein kleines Mädchen, das merkwürdige Bewegungen vollzieht. Es soll sicher Tanzen sein...", berichtet sie heute auf der Medienseite aus dem Berliner Tempodrom. +++

+++ Auch an ihrem 70. Geburtstag selbst, nicht nur am Vortag (siehe Altpapier) gibt es Friede-Springer-Würdigungen: in der TAZ eine eher ironische mit O-Tönen von Persönlichkeiten wie "Mathias Dö.", aber auch eine eher unironische unter dem hintersinnigen Titel "Eine Frau geht seinen Weg". +++ Den "Brief von Helmut Kohl an Friede Springer zum Großklicken" hat exklusiv die Bild-Zeitung. +++

+++ Die Berliner Zeitung ist dem RBB auch daher verbunden, weil der stellvertretende Chefredakteur Ralph Kotsch ja einst für die Anstalt sprach. Heute wird sowohl der "viel frische Wind" gelobt, den die neue Fernsehsendung "Berlin-Brandenburg-Check" ins RBB-Abendprogramm bringe, als auch die Geschichte des Radiosenders Radio eins erzählt. Der wird nämlich 15 Jahre alt. +++

+++ Der Grund, aus dem die FTD überwiegend hinter einer Bezahlschranke jubelt, dass Bezahlfernsehen, nachdem hiesige Branchengrößen wie Leo Kirch und Georg Kofler daran scheiterten, nun doch auch in Deutschland funktioniert ("Ein Amerikaner zeigt den Deutschen nun, wie es geht: Brian Sullivan hat den Premiere-Nachfolgesender Sky profitabel gemacht"), der Grund also ist die "kleine schwarze Zahl" (TAZ), die das deutsche Sky gerade vermeldete. +++

+++ Anhand eines sprechenden FAZ-Artikels arbeitet sich die TAZ-Kriegsreporterin weiterhin an der Voßkuhle-Sache ab. +++

+++ Fernsehdoku-Empfehlungen: "Braune Flecken" (23.30 Uhr, ARD), nennt Wolf Schmidt in der TAZ "ein eindrucksvolles Stück Fernsehen, das zeigt, wie nicht nur im Osten, sondern auch in der westdeutschen Provinz Rechtsextreme eine ganze Gegend tyrannisieren können". Konkret um Radevormwald geht es. +++ Die "Deutschland, Deine Künstler"-Folge über den Dirigenten Christian Thielemann (zuvor in der ARD: 22.45 Uhr) empfiehlt die FAZ so: "Der ehrlichste Moment des Films ist jedoch ein Gespräch mit Springer-Chef Mathias Döpfner, das [Regisseur Mathias] Siebert wie zufällig bei einem Besuch im Weltfluchtdomizil des Dirigenten in Masuren belauscht. 'Es gibt Momente', sagt Thielemann, 'da macht mir der Beruf keinen Spaß mehr: wenn ich das Gefühl habe, ich hab die Intensität nicht mehr.' Dann 'beginnt man den Musikbetrieb zu hassen, weil er dich dazu zwingt, schon wieder das Laufrad zu betätigen'". Falls jemand wissen möchte, was Döpfner in dem ehrlichen Moment entgegnet, muss er wohl zuschauen. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.
 



 

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