"Eh schon alles wurscht"

"Eh schon alles wurscht"

Nach dem ZDF-Ostseestrand ist jetzt "Waldis Club" mit Verrissenwerden an der Reihe. Wird ja auch Zeit. In NRW hat derweil das Medienforum begonnen, bei dem die Bühnenteilnehmer offensichtlich gerne alte Hüte tragen. Und die Uefa will keinen Jogi mehr reinschneiden

Ach, wissen Sie was? Fangen wir doch heute einfach mal mit Fußball an.

“'Waldis Club' ist auch dreifach ironisch gebrochen nicht zu ertragen“,

schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung soeben, und zu glauben, es handle sich hier um ein Zitat aus einem Text, wäre falsch. Das war der ganze Text. Ob man einen ganzen Text einfach so rüberabschreiben darf, ist eine Frage, die andere erörtern sollen. Ich sach einfach ma: Schöpfungshöhe beginnt zwei Sätze später.

Jedenfalls: Weiter geht's mit dem Gemecker über die Fußball-EM-Berichterstattung, und sollte sich jemand fragen, was soll der Mist, gibt's nichts Wichtigeres?, dann sei geantwortet: Jedes Spiel ist auch an dieser Stelle eine Frage der Tagesform. Aber zum enorm wichtigen Medienforum NRW kommen wir dann ja auch gleich noch.

Zunächst einmal: Warum "Waldis Club" bei der Medienkritik bisher etwas unterging, steht, zusammen mit der schönen, wenn auch leider nicht ganz ernst gemeinten These, dass die ZDF-Nebenschauplatz-Fußballberichterstattung gar nicht mal so blöd, sondern eigentlich postmodern sei, in epd Medien:

"Die Kritik am Anbiedern der Sportjournalisten an Sportler ist eine Spezialdisziplin von Medienjournalisten, und Waldemar Hartmann schien bisher die perfekte Personifikation dieses Anbiederjournalismus zu sein. Nach langen Jahren mit Berti, Erich und Rudi hat sich Waldi jetzt in seinen Club zurückgezogen. Doch das ZDF schafft es mittlerweile, Waldemar Hartmann zu übertreffen."

Deshalb also. In meiner Twitter-Timeline wurde gestern noch einmal an einen frühen Punkt der Usedom-Verrisse zurückgeschaltet; am 12. Juni schon stand in der Hamburger Morgenpost etwa eine besonders mächtige Kritik ("Müller-Hohenstein, die moderierende Costa Concordia"), im Zentrum mit der schönen Frage:

"Wo ist der Anstieg des Meeresspiegels, wenn man ihn braucht?"

"Waldis Club", eine Sendung, die genau wie "die Kneipe hieß, die Waldi während seines Volontariats betrieb", musste da, da Usedom ja neu und mit ein wenig Glück auch einmalig ist, bislang hinten anstehen. Heute aber bekommt Waldemar Hartmann endlich auch seinen zweispaltigen Share an Aufmerksamkeit – in der SZ (S. 17 und online), die es bisweilen ja versteht, öffentliche Personen so mit vergiftetem Lob einzudecken, dass man durch die Hintertür auch Bescheid weiß. In diesem Fall aber nimmt Christian Mayer einfach den Vordereingang:

"In anderen sportverrückten Ländern dürfen alternde Sportlegenden das Spiel anschließend in alle Einzelteile zerlegen, das hat eine gewisse Würde. Hier schwätzt ein ehemaliger Handballnationalspieler über seine Tattoos, und der unvermeidliche Matze Knop, Deutschlands führender Fußball-Komiker, greift die allerletzten Lacher mit einer fettigen Reiner-Calmund-Nummer ab, aber da ist schon eh alles wurscht."

Fazit: "Waldis Club" sei Sabotage, nicht Satire.

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Dass Hartmann die "erfolgreichste Talkshow" der ARD macht, wie das RBB-Medienmagazin kürzlich errechnete, führt uns zur gestern im Altpapierkorb zusammengefassten ARD-internen Talkshowkritik. Petra Zellhuber-Vogel, Vorsitzende des ARD-Programmbeirats, hat sich für das Bekanntwerden der Talk-Kritik entschuldigt ("Ich bedauere sehr, dass unser internes und vertrauliches Beratungspapier durch eine Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangt ist", steht u.a. bei DWDL. Man wolle die Moderatoren nicht "demontieren oder jemanden aus der ARD treiben", steht zudem in der FAZ, S. 33, die das bissig kommentiert: "Das nennt man Angst vor der eigenen, couragierten Kritik"). Programmdirektor Volker Herres verteidigt derweil sicher nicht nur pflichtgemäß seine Pappenheimer auf Nachfrage der SZ (S. 17):

"Die Talking Heads des Ersten sind kompetent und populär. Das sind erstklassige Journalistinnen und Journalisten. Günther Jauch am Sonntag ist eine Bereicherung unseres Programms. Er ist Deutschlands populärster Moderator, und er ist ein Journalist, der die richtigen Fragen stellt und einen eigenen Stil prägt."

Auch ZDF-Intendant Thomas Bellut wird heute zur in diesem Fall externen Kritik zitiert, Stichwort Usedom, etwa in der "In medias res"-Glosse der FAZ, die sich ein Beispiel an der Hamburger Morgenpost nimmt ("Béla Réthy, die personifizierte Depression am Mikro"):

"Beim Publikum, sagte Bellut auf dem Medienforum NRW, sei diese Ablehnung (...) nicht 'messbar'. Wenn er sich da nicht täuscht, schließlich hat das Publikum keine andere Wahl, als jeden zweiten Tag das Zweite einzuschalten".

Bei DWDL steht zudem das Zitat: "Entscheidend ist die Frage, ob wir es beim nächsten Mal wieder so machen." Was man sicher als Bekenntnis zur Ergebnisoffenheit interpretieren sollte und nicht als "Wir finden es doch auch selbst unter aller Kanone".

[+++] Elend elegant wären wir damit beim zentralen Medien-Thema und -Nichtthema des Tages, beim Medienforum NRW, wo die Medienstrukturprominenz zu großer Form aufläuft, wie die FAZ schon in der Unterzeile ihres Textes zum Thema andeutet: "Hannelore Kraft ordnet die Medienpolitik nicht neu." Auch das Motto ist gewohnt originell: "Schöne Neue Medienwelt".

Wie unoriginell der Auftakt des dreitägigen Forums wirklich war, liegt freilich im Auge des Betrachters; bemerkenswert ist jedenfalls, dass sich die Zeitungen für ihre Berichte fast alle bei Agenturen bedienen. Anbei die wichtigsten Aussagen, wie sie in diversen Medien (frei online stehen etwa Tagesspiegel mit dpa, KSTA via dpa, Welt Online via dapd, taz via dapd) heute zusammengefasst werden:

- Kraft, NRW-Ministerpräsidentin, forderte, die öffentlich-rechtlichen Mediatheken von der Sieben-Tage-Regel zu entbinden, Inhalte also mehr als sieben Tage online zugänglich zu machen

- Öffentlich-rechtliche Internetangebote sollten eher ausgebaut werden

- Dennoch insgesamt nichts wirklich Zitierwürdiges zum Streit um die "Tagesschau"-App, auch wenn der Kölner Stadt-Anzeiger damit überschriftet

- Kraft: Die Rundfunkgebühr möge nicht steigen

- Für die Lokalzeitungen könne sie sich ein Stiftungsmodell, etwa zur Recherchefinanzierung, vorstellen


ALTPAPIERKORB

+++ Im Fernsehen: In der ARD läuft Klaus Sterns Dokumentation "Spielerberater" über genau diese, am Beispiel von Jörg Neblung (0.15 Uhr). Die SZ kritisiert: "interessant und nett anzusehen, doch bleibt die Doku immer dann außen vor, wenn es wirklich spannend würde: Über welche Details diskutieren Neblung und Schalke-Manager Horst Heldt, wenn sie eine Stunde lang über Hildebrands Vertrag verhandeln? Was bespricht Neblung mit den Verantwortlichen von Arminia Bielefeld, als Ortega seinen Stammplatz verliert? Wie bringt er seinen Schützling bei Hertha BSC unter? Wie es wirklich zugeht in diesem Geschäft, das erfährt man nicht." +++ Auch die FAZ meint: Sterns "Doku bietet ein Streiflicht, wo ein Scheinwerfer nötig wäre" +++ Die taz dagegen schreibt: "Eindrucksvoll und mit angemessen melancholischem Grundton erzählt Sterns Film von den Aufs und Abs im Profisport" +++ FAZ.net zudem über eine ARD-Piratenpartei-Doku +++

+++ Im Internet ändern sich Dinge: Die FAZ (S. 33) schreibt ausführlich über MyVideo. Kontextparagraph: "Vor sechs Jahren als deutsche Youtube-Konkurrenz gegründet, gehört MyVideo seit 2007 zu Pro Sieben Sat.1 und hat seitdem einen erstaunlichen Wandel durchgemacht. Aus der Clip-Plattform, bei der Nutzer ihre eigenen Videos hochladen können, ist eine Art Online-Fernsehen geworden, bei dem sich inzwischen auch mehr als 25 000 Stunden Serien, Filme und Musikvideos abrufen lassen, die mit Werbung finanziert werden" +++ In Frankreich wird der "Onlinedienst Minitel", der, Zitat, "als eine Art Internet-Vorläufer" gelten könne, eingestellt (Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau) +++ Bei Holtzbrinck derweil will man "sich zum 2. Juli neu aufstellen – weltumspannender, noch mehr auf digitale Kanäle konzentriert" (FAZ, S. 30): "Künftig wird ein international agierender Geschäftsbereich die Belletristik- und Sachbuchverlage, ein weiterer die Angebote in Wissenschaft und Bildung, ein dritter die Holtzbrinck Medien umfassen – in Letzterem sind unter Leitung von Stefan von Holtzbrinck Zeitungshäuser, Digital- und Fernsehunternehmen sowie die Wirtschaftsforschung Prognos AG zusammengefasst" +++

+++ Im Fernsehen ändern sich ebenfalls Dinge: Die Uefa schneide künftig keinen Vor-Anpfiff-Löw mehr in die 20. Minute, sacht der WDR mal +++ Die SZ schreibt über ZDF neo und Simone Emmelius, die den Spartenkanal als Nachfolgerin von Norbert Himmler, der als Programmdirektor zum großen ZDF ging, weiterbauen soll +++

+++ Geldfragen: Zum Thema Stiftungen: Der Tagesspiegel schreibt über Modelle in den USA +++ Print leidet unter Fernsehen, werbetechnisch (FTD) – vielleicht hilft ein Leistungsschutzrecht? +++ Ach ja: Maßnahmen im Rahmen des Leistungsschutzrechts empfehlen Mario Sixtus und der SPD-Internetortsverein D64 (Update 9.40 Uhr: der eine Blacklist der bösen Presseunternehmen erstellt hat, offensichtlich via Würfelspiel) +++ Bei der Computer-Bild drohen Massenentlassungen. Einen weiteren Brief an Springer-Vorstandschef Döpfner zitiert DWDL und bringt der DJV in Gänze+++

+++ Auch in Spanien wollen junge Leute was mit Medien machen, informiert die FAZ (Feuilletonaufmacher, S. 29): Cristina San Miguel Díaz schreibt in der losen Reihe der Gastfeuilletonaufmacher: "Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt und habe einen Traum. Ich will zum Fernsehen und Wetterfrau werden. Wenn nicht das, dann Meteorologin in den Medien. Wenn ich in manchen Zeitungen die Wetterkarte sehe, könnte ich davonlaufen". Wichtiger als der mediale Aspekt ist im Text allerdings der des Auswanderns in Krisenzeiten +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Mittwoch.

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