Enkelchen und Teufelchen

Enkelchen und Teufelchen

Axel Springer jr. jr. hat ein Buch geschrieben, das seinem Großvater nicht gefiele. "Die Welt" verwechselt den Koran irgendwie mit der "Bild". Ein ARD-Film handelt von letzterer. "Gottschalk live" kriegt die nächste Keule ab. Und das ZDF tut, was die Verleger wollen – aber nicht, weil es die Verleger wollen

Bild will bekanntlich anlässlich irgendeines Jubiläums demnächst die Briefkästen deutscher Haushalte mit Gratisausgaben beglücken. Was tun?

Man kann, wie auch an dieser Stelle schon gewürdigt, etwa im Rahmen der Aktion alle-gegen-bild.de (über Campact), die besagte Post explizit abbestellen. "In den ersten 24 Stunden haben das gleich mal 55000 Menschen getan", berichtet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, mittlerweile sollen es laut Campact knapp 94000 sein. Bitte sehr. Der beste Text, den man zur Bild-Aktion lesen konnte, stand dieser Tage allerdings in der Schwesterzeitung der Bild, in der Welt, und handelte von der Koranverteilung durch eine "obskure Salafistensekte".

Man muss darin nur "Koran" durch "Bild" ersetzen und "Abou Nagi", den Kopf der Aktion, durch "Axel Springer":

"Wo will man denn anfangen und wo aufhören mit dem Verteilverbot von Gratisschrifttum? Die Fußgängerzonen der Republik stehen schließlich voll mit Sektenmitgliedern, die erbauliche Heftchen hochhalten, die wahlweise die Apokalypse oder die Weltrettung verkünden. Sollen sie doch. Das Publikum reagiert darauf eher belustigt als betroffen. Und auch Abou Nagie und seine Jünger laufen Gefahr, dass ihre Mission gründlich misslingt. Denn wer weiß, was die Beschenkten mit dem Koran so alles machen. Endet er als Bierdeckel? Dient er zum Fischeinwickeln? Oder gar als Heizmaterial für den Kaminofen?"

Zu beiden Umsonstkultur-Verteilaktionen gibt es auch sonst den einen oder anderen Beitrag. Zentral sind dabei die zunächst von der Welt dargelegten Bedrohungen von Reportern, die kritisch berichteten, worüber schließlich auch u.v.a. die FAZ am Samstag schrieb.

Wolfgang Michal verbittet sich in einer Glosse bei Carta allerdings den Vergleich von Koran- und Bild-Verteilungsaktion: "Axel Cäsar Springer ist so einmalig wie der Prophet Mohammed, Bild ist so einzigartig wie der Koran, und die Geschenkaktion der Salafisten ist so originell wie die der anderen Strenggläubigen."

[+++] Dass der Axel-Springer-Verlag kurz vor dem 100. Geburtstag seines Namensspenders von einem anderen Beitrag an etwas empfindlicherer Stelle getroffen wird als durch das Preaching for the converted gegen seine Cash-Cow, ist denkbar: Axel Sven "Aggi" Springer, Teufelchen Enkelchen des geliebten Gründers, hat ein Buch geschrieben, vielleicht wegen der besagten Strenggäubigkeit "Das Neue Testament" geheißen; ein Buch, "das vermutlich dem Großvater nicht besonders gefallen hätte", wie Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung (S. 16) schreibt. Wobei Leyendecker das ganz große Mitgefühl mit Axel jr. jr. – wie nennt man eigentlich einen Axel der dritten Generation? – ein wenig abzugehen scheint, aber da kann man sich natürlich auch täuschen:

"Der ewig junge Mann, der nun auch schon 46 Jahre alt ist und dem 2,6 Prozent des Springer-Konzerns gehören, was nach heutigem Aktienkurs rund hundert Millionen Euro wert wäre, fühlt sich um einen großen Teil seines Erbes betrogen. Er lässt die Welt an diesem Jammer teilhaben und findet, es sei Zeit, 'einer breiten Öffentlichkeit zu erklären', warum er wegen des Erbes sieben Jahre lang (vergeblich) gegen die Haupterbin Friede Springer prozessiert habe."

Worum es im Erbstreit ging, stand seinerzeit, 2008, etwa im Manager-Magazin.

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Wenn Jr.jr.s Buch allerdings nur annähernd so sehr auf K.o. aus ist wie das Interview, das er dem Spiegel gegeben hat (Zusammenfassung bei Spiegel Online), dann kann Hauptaktionärin und Axel jr. jr.s Stiefgroßmutter Friede Springer beim Warmanziehen die Thermounterwäsche erstmal noch weglassen.

Stiefgroßmutter – so nennt sie Der Spiegel, aber "das klingt ja böse, fast schlimm", sagt Axel jr.jr. zunächst. Seine eigene Axt klingt anders: "Ich hoffe, dass sich in ruhigen Momenten auch Friede mal überlegen wird, dass das nicht so toll gelaufen ist." Keine bösen Schimpfwörter, stattdessen der Appell an die Macht der Vernunft plus Empathie. Da steht die Menschlichkeit also dann doch mal wieder an erster Stelle.

[+++] Kann es im Übrigen sein, dass Axel jr. jr., der Kaufmann und Absolvent der hauseigenen Journalistenschule ist, was eigentlich eine ideale Mischung ist, um bei Bild Karriere zu machen, im äußeren Habitus (Foto oben: tricky Foto des Spiegel-Fotos) ein wenig Kai Diekmann ähnelt, dem Bild-Chefredakteur?

Diekmann selbst kommt heute Abend noch zu Wort, in einer ARD-Dokumentation (22.45 Uhr), die den Titel "Bild. Macht. Politik" trägt, und den die taz schon aus einem einfachen Grund lobt:

"Kai Diekmann kommt nicht umhin, vor laufender Kamera zu lügen, wenn man ihm die richtigen Fragen stellt."

Auch der Tagesspiegel und die FAZ (S. 31) besprechen den Film, in dem allerlei Politiker zu Wort kommen, die Michael Hanfeld in der FAZ zitiert. Der erkennt nur einen Haken:

"Um all diese Einlassungen, die Christiane Meier und Sascha Adamek in stetigem Wechsel mit Äußerungen des „Bild“-Chefredakteurs Diekmann montieren, richtig einordnen zu können, muss man die jeweiligen Hintergründe kennen."

Der Tagesspiegel findet den Film "angenehm sachlich", zitiert Diekmann, "'Bild' wolle provozieren und polarisieren", und schließt dann mit dem in der Medienbranche bekannten sog. Penisstreit, den Diekmann mit der taz austrug.

Was uns noch zu einem weiteren Beitrag führt, bevor es im Altpapierkorb mit ziemlich viel Stoff zu Urheberrecht, "Gottschalk Live" und WDR-Digitalradio weitergeht: Nicht nur Axel Springer sen. sen. wird 100, die taz-Genossenschaft wurde auch 20. Arno Widmann, Mitgründer der taz und vorübergehend Chefredakteur, erinnert daran in der Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau. Unter anderem auch an die wegweisende Funktion des heutigen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz.

Ebenfalls wegweisend seinerzeit: Christian Ströbele. Was wiederum auf dem tazlab, dem taz-Kongress in Berlin, Thema gewesen zu sein scheint: Von einem #labstreit berichtet bei Twitter jedenfalls Redakteur Christian Füller: "Geno-Struktur von Politikern erfunden (Ströbele, Scholz)" – bedeutet das Modell also ökonomische Freiheit, aber nicht politische? An anderer Stelle, bei der tazlab-Veranstaltung "Leser beschimpfen taz-Redakteure, und die schimpfen zurück" beantwortete Füller die Frage nach der Bedeutung der Genossenschaft für die Redaktion aber selbst – und völlig anders, wie im taz-Hausblog nachzulesen ist:

"Andere Verlagshäuser haben nur einen Verleger. Der kann einen anschnauzen oder feuern. Hier haben wir 10.000 Verleger, die alle meinen, uns anschnauzen zu können."


Altpapierkorb

+++ Und nun also zu etwas völlig anderem: Urheberrecht. Man muss sagen, dass die von Sven Regener angestoßene neuerliche Urheberrechtsgroßdebatte mittlerweile Positionen hervorbringt, die man als regelrecht nachvollziehbar bezeichnen muss. Johnny Häuslers Text bei Spreeblick ist so einer, und seine Medienkritik ist hiermit notiert: "(S)elten war ich so erschüttert von der Qualität angeblicher Journalismus-Profis, wie in diesen Zeiten der Debatten ums Urheberrecht" +++

+++ Zum Thema gibt es selbstverständlich weitere Einlassungen, etwa von Dirk von Gehlen im SZ-Feuilleton, der dort das Konzept der Kulturflatrate gegen seine Kritiker verteidigt: "Wem an einem funktionieren Urheberrecht liegt, der muss sich mit pauschalen Vergütungsmodellen befassen – oder fairerweise auch die Gema und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Frage stellen" +++ Dann gibt es einen Text von Oliver Nagel bei Carta: "Als Fernsehautor wiederum leuchtet es mir absolut kein bisschen ein, warum etwa 'Tatort'-Autoren überhaupt einen offenen Brief zum Thema bösböse Gratiskultur schreiben sollten. Werden Fernsehautoren für ihre Bücher nicht schon bei Abnahme bzw. Ausstrahlung bezahlt? Ich jedenfalls schon. Mit ist es persönlich eher schnurz, ob sich jemand das runterlädt, was ich geschrieben habe — mein Geld habe ich dann schon bekommen. Und zwar nachdem ich einen Total-Buyout-Vertrag unterschrieben habe, der mir sämtliche Verwertungsrechte abgenommen hat." +++ Desweiteren hat die Piratenpartei aufgeschrieben, welche Urheberrechtspositionen sie tatsächlich ungefähr vertritt – für die weitere Debatte zum Nachschlagen vielleicht nicht ganz verkehrt +++

+++ Christoph Kappes macht sich Gedanken über sog. Total-Buyout-Verträge: Es "beschleicht mich bei Diskussionen häufig der Eindruck, dass die Beschwerden über Total Buyout eher auf die Unangemessenheit der Vergütung zielen – beziehungsweise darauf, dass Autoren nicht nach Zeit bezahlt werden, wie jeder andere auch, der in der modernen Dienstleistungsgesellschaft seine Arbeitsergebnisse in einer Organisation frei fließen lassen muss. Genau das ist nämlich seit Jahrzehnten die Praxis in Software-Unternehmen, wo ein Software-Entwickler im Normalfall sehr harte 'Buy-Out'-Klauseln unterzeichnen muss, dafür aber erstens nach Stunden und zweitens meistens auch besser bezahlt wird als ein Journalist" +++ Und Axel-Springer-Lobbyist Christoph Keese regt sich über ein Wahlplakat der Piraten auf, wobei er seine politischen Gegner letztlich für sein eigenes Argumentationsverhalten geißelt +++

[+++] Damit zum Verleger-ARD/ZDF-Konflikt: "ZDF macht aus vollkommen anderen Gründen genau das, was die Verleger wollen", schreibt Netzpolitik. Konkret, hat dapd von Eckart Gaddum vom ZDF erfahren, geht es um folgendes: "Spätestens von Anfang Mai an werde auf zdf.de und heute.de 'das bewegte Bild deutlich mehr Raum einnehmen als bisher'. Der ZDF-Manager erklärte, diese Entwicklung habe 'absolut nichts' mit dem anhaltenden Druck vieler Verlage zu tun. Diese fordern von den gebührenfinanzierten Sendern, dass sie sich bei Textangeboten im Netz stark zurücknehmen" +++

+++ Absolut nichts mit dem anhaltenden Druck vieler Verlage hat schätzungsweise auch eine Programmänderung in der ARD zu tun: Die "José Carreras Gala", die die ARD jährlich ausstrahlte, stehe vor dem Aus, berichtet das Hamburger Abendblatt. "Auch das Nachfolgeformat stehe bereits fest: Die vom Burda-Verlag wenige Tage vor der Bambi-Verleihung ausgerichtete Spenden-Party 'Tribute to Bambi', von der das Erste bisher immer nur längere Aufzeichnungen brachte, soll nun live ab 20.15 Uhr übertragen werden". UneEndlich kooperieren die miteinander +++

+++ Ob bald eine andere Programmänderung in der ARD ansteht, ist nicht ausgemacht, aber die Anzeichen verdichten sich dann allmählich ja doch. Der Spiegel berichtet, die ARD fürchte wegen "Gottschalk Live" um ihre "Gesamtquote" – Wetten auf kommende Programmveränderungen laufen, es wäre aber doch ganz schön, wenn nicht alle ihre Tippzettel vorlesen würden +++

+++ Auch in Sachen ProSiebenSat.1/Axel Springer gibt es Neues: Die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) will sich laut wiederum Spiegel gegen eine Gerichtsentscheidung wehren, wonach sie die für die Übernahme nötige Unbedenklichkeitserklärung nicht hätten verweigern dürfen +++

+++ Wer bekommt den Pay-TV-Zuschlag für die Bundesliga-Live-Rechte? Morgen wird entschieden, die taz dazu – auch im Kontext der Murdoch-Abhöraffäre +++

+++ Der Preis für die gestiftete Verwirrung des Wochenendes geht an den WDR, der in einer Pressemitteilung am Freitag desinformierte: "Der WDR verzichtet auf die geplante Ausstrahlung des ARD Sportradios auf dem Digitalkanal Event. Das Angebot 'Event. Das ARD Sportradio zur UEFA Euro 2012' war für das Digitalprogramm vorgesehen für die Zeit vom 19. Mai bis 8.Juli. Damit sieht der WDR die ins Kraut schießenden Spekulationen um angebliche Pläne für ein bundesweites Sportradio der ARD für beendet an." Hans Hoff liefert die Zusammenhänge in der SZ: "Dass die Kritik an dem Projekt trotzdem nicht nachlässt, liegt an den Dingen, die der WDR in seiner Mitteilung nicht thematisierte. Man will von dem Projekt nicht lassen – nur von der digitalen Ausstrahlung; alles andere wird wie geplant produziert" +++

+++ Der Preis für die gezielteste Leserverarschung des Tages geht an Meedia: Unter der Überschrift "Betrunkene Angela Merkel im Spiegel-Archiv" verhandelt der Branchendienst einen Sachverhalt, der kurz nach Scoop riecht, dann aber leider doch nichts mit einer auf Krawall geschalteten Kanzlerin im Spiegelgebäude zu tun hat, sondern mit einem gerade durch alle Netzwerke geisternden alten Spiegel-Interview, in dem sie, ob man sich zu weit aus dem Fenster lehnt, wenn man annimmt: stocknüchtern, von ihrer Jugend erzählte +++

+++ Und es gab am Wochenende noch zwei Artikel über gleich zwei "Ulysses"-Vertonungen der ARD, in der FAZ und der taz +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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