Die journalistenrabattierte Bahncard50 wird abgeschafft. Andere Privilegien wie Leistungsschutzrecht und Werbemonopol sollen bleiben beziehungsweise kommen. Und das Beispiel Dagmar Wöhrl zeigt: Elend und Fluch von "Transparenz"
Steht eine Revolution bevor?
"Selbstkritik hat noch nie geschadet."
Schreibt Hajo Schumacher in der Berliner Morgenpost. Zur Einsicht verholfen hat die Deutsche Bahn, die das Ende ihres Journalistenrabatts (Bahncard50 zum halben Preis) für Mitte April angekündigt hat. Die Lebensleistung von Christian Wulff nimmt allmählich Konturen an:
"Das neue Jahr hat die Deutsche Bahn zum Anlass genommen, diese Regelung intern auf den Prüfstand zu stellen. Nach eingehender Prüfung ist die Deutsche Bahn zu der Überzeugung gelangt, dass dieser Journalistenrabatt nicht mehr zeitgemäß ist: Nicht nur die Medienwelt hat sich grundlegend verändert, auch die gesellschaftliche Sicht der Dinge wandelt sich, ebenso die Diskussionen innerhalb des journalistischen Berufsstandes."
Heißt es im Schreiben der Bahn an journalistenrabattierte Bahncard50-Besitzer, zitiert nach dem Blog von Marc Burger, wobei der Tenor von dessen Antwort unklar bleibt.
Manuel Bewarder stellt via Twitter eine nicht uninteressante Frage:
"Wer jetzt noch schnell zuschlaegt?"
Die Zurückhaltung in der Berichterstattung ließe darauf schließen: eher nicht so viele. Schumacher jedenfalls zeigt sich einsichtig.
"Es wird genauer hingeguckt, in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Daher ist es konsequent, eine Vorzugsbehandlung abzuschaffen, über die viele Kollegen, auch der Autor dieser Zeilen, nicht viel nachgedacht haben, sondern sie als selbstverständlich hingenommen haben."
Das bislang fehlende Nachdenken erklärt womöglich auch Sätze wie diese:
"Noch vor ein, zwei Jahren hätte sich kaum ein Unternehmen getraut, ausgerechnet den vermeintlich mächtigen Medienvertretern einfach ein Privileg zu streichen."
Ob das so richtig dargestellt ist: dass die Bahn quasi aus Angst vor den "vermeintlich mächtigen Medienvertretern", die ohne das Heer von machtlosen Nassauern nicht zu denken sind, ihnen dieses "Privileg" gewährt hat?
Steffen Grimberg, der in der TAZ sich freut ("wie schön"), nimmt das mit der Selbstkritik ernster, insofern er allein aus der Berufswahl eben kein Privileg ableiten kann:
"Wobei der Bahn kein Vorwurf zu machen ist: Dass sie wegen ihrer Großzügigkeit der Journaille gegenüber von kritischer Berichterstattung verschont geblieben sei, wird wohl niemand behaupten. Die entscheidende Frage lautet vielmehr: Wieso gibt es überhaupt Presserabatte, von AirBerlin bis zur Yachtcharter-Connection Michaela Kube?"
Grimberg hat den Vorteil, frei von der Leber weg zu argumentieren, weil er das Bewusstsein über die Merkwürdigkeit von Vergünstigungen für Journalisten schon vor dem Bahn-Brief praktizierte ("Der Autor hat seine Bahncard 50 immer voll bezahlt").
Schumacher muss sein Weltbild dagegen noch neu sortieren:
"Obgleich viele Medien privatwirtschaftlich organisiert sind, erfüllen sie eine öffentliche Aufgabe: Zeitungen, Fernsehen, Radio und Internet stellen rund um die Uhr den Marktplatz Öffentlichkeit her, wo Themen verhandelt, Missstände thematisiert, Verfehlungen aufgedeckt werden."
Denn diesen Satz könnte man auch andersherum argumentieren, was irgendwie besser zu den Maßgaben des aktuellen Wirtschaftssystems passen würde: Die "öffentliche Aufgabe" ist das Feld, auf dem viele Medien aus privatwirtschaftlich organisierten Profitinteresse am Start sind.
[+++] Dass dabei gewisse Gesetze, die in marktwirtschaftlich organisierten Zusammenhängen normalerweise Treiber von Innovation und Wohlstand für alle sein sollen, nicht gelten, darauf weist Stefan Niggemeier in seinem Blogeintrag zu einem Ergebnis aus dem gestrigen Koalitionsausschuss hin:
Das "versprochene Leistungsschutzrecht" soll kommen.
"Um die Absurdität diese Entscheidung deutlich zu machen, [genügt] ein einziger Satz aus dem Beschluss des Koalitionsausschusses: 'Gewerbliche Anbieter im Netz, wie Suchmaschinenbetreiber und News-Aggregatoren, sollen künftig für die Verbreitung von Presseerzeugnissen (wie Zeitungsartikel) im Internet ein Entgelt an die Verlage zahlen.'"
Niggemeier kommentiert:
"Das ist etwa, als müssten die Gelben Seiten den Unternehmen dafür zahlen, dass sie ihre Informationen aufnehmen dürfen. Als müsste der Busfahrer dem Kirmesbetreiber Geld dafür geben, dass er die Kunden zu ihm bringt. Dem Vorhaben fehlt jede innere Logik."
Dieser Gedanke kann einem auch kommen, wenn man Detlef Borchers' instruktiven Text mit Tipps zur Datensparsamkeit gegenüber Google aus der FAZ vom Samstag zu Ende liest:
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Ende des BC-Rabatts für Journalisten (TAZ)##Leistungsschutzrecht gesichert (Niggemeier)##Dagmar Wöhrl und die Transparenz (TAZ)##Tipps zum Datenschutz vor Google (FAZ)##]]
"An dieser Stelle könnte man noch ein kleines Zusatzprogramm für Browser, ein sogenanntes Plug-in, empfehlen, das Anzeigen blockiert. Aber seien wir ehrlich: Auch Zeitungsseiten im Netz bauen darauf, dass man die Online-Anzeigen wahrnimmt."
Das Leistungsschutzrecht ist im übrigen nicht das einzige Privileg von Medien, wie Niggemeier in einem zweiten Beitrag vom Wochenende darlegt. Die (gefühlte) Gesetzeslage liegt so, wie es etwa auch Meedia.de schreibt, dass der BDZV, der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, die Idee von ProSiebenSat.1, künftig regionale Werbung auszuspielen "rechtswidrig" nennen kann. Niggemeier notiert:
"Alles, was die Einnahmen von Zeitungsverlagen schmälert, ist aber zum Glück in Deutschland verboten — oder sollte es jedenfalls sein. Der BDZV räumt zwar ein, dass es im Rundfunkstaatsvertrag kein entsprechendes Verbot gibt. Das liege aber nur daran, weil man bisher nicht dachte, dass eine solche Regionalisierung technisch überhaupt möglich sei. Die Pläne von ProSiebenSat.1 seien dennoch 'rechtswidrig'."
Und schließt eine laienjuristische Lektüre des Bundesverfassungsgerichtsurteils von 1986 an, auf das der BDZV seine Aussage gründet:
"Anders als der BDVZ suggeriert, stellte das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht fest, dass eine solche oder ähnliche Regelung Pflicht oder Notwendigkeit sei."
Man wird sehen.
Altpapierkorb
+++ Noch beliebter als Selbstkritik: Transparenz [der auch das Supersymbolfoto oben gewidmet ist, AP]. Die TAZ hat die CSU-Abgeordnete Dagmar Wöhrl über ihre Erfahrungen mit Twitter und Blog interviewt. Letzte Woche war Wöhrl in einem Spiegel-Artikel dargestellt wurde als desinteressierte Repräsentantin, die auf Dienstreisen lieber Shopping-Touren absolviert als Termine. Ihre Sicht der Dinge hat Wöhrl nun auf ihrer eigenen Homepage dargelegt. Und der TAZ erklärt sie: "Früher wäre für mich die einzige Möglichkeit gewesen, im Nachhinein eine Gegendarstellung zu verlangen. Aber kennen Sie jemanden, der jemals eine Richtigstellung gelesen hat? Jetzt habe ich die Möglichkeit, meinen eigenen Standpunkt zu publizieren. Also habe ich mich entschieden, Transparenz und Offenheit zu schaffen und alle Informationen und Dokumente in diesem Zusammenhang auf meiner Homepage zu veröffentlichen. So kann sich jeder einen Eindruck machen, welche Fragen mir gestellt wurden und was für ein Artikel dann daraus wurde." Das Echo, schaut man sich die Kommentare an, ist ausnehmend positiv. Dass in jedem Post das Wort "Transparenz" fällt als Lob gibt dagegen zu denken: Sicherlich ist der Schritt von Wöhrl, sich in dieser Form zu äußern, bemerkenswert, aber auch kein Wert an sich: Es muss nicht heißen muss, dass der Spiegel, der sich auf Facebook dazu geäußert hat, lauter Falschheiten verbreitet hat. Für so was wie die "Wahrheit" bekommt man aber gerade durch die direkte Auseinandersetzung allenfalls ein besseres Gefühl. +++ Jan Fleischhauer thematisiert in einem Spiegel-Text, der sich mit den notorischen Invektiven gegen "'68" erstaunlich zurückhält, die Frage der Transparenz als politische Praxis der Piraten. Er ist skeptisch: "Man mag gegen die 68er sagen, was man will: In der Theorieproduktion waren sie den Netz-Epigonen haushoch überlegen." Wie gesagt: Jan Fleischhauer. +++ Heißt im Grunde aber nichts anders, als schon Daniel Leisegang vor ein paar Tagen in seinem Essay über Parteiprogramm und Praxis der Piraten auf Carta bemerkt hatte – dass man Transparenz vielleicht nicht ganz so rigoros denken kann: "Die Piratenpartei steht also auch hier vor einem Dilemma. Entweder verteidigt sie das Postulat der Transparenz vehement gegen die Regeln des parlamentarischen Geschäfts. Dann aber stünden aus Sicht der anderen Parteien eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und damit die Regierungsfähigkeit der Partei in Frage. Oder aber die Piraten weichen von ihrem Prinzip des offenen Regierens ab, was allerdings an den Grundfesten der Partei rütteln und zum Verlust einer weiteren zentralen Forderung führen würde." +++ Ein sehr langer und etwas akademisch-gescheitelter Text, der von Netzpolitik (dem Verhältnis der Medienpolitik zu ihr) handelt und in dem das Substantiv "Transparenz" nicht vorkommt, steht in der Funkkorrespondenz. +++
+++ Personalien: Christine Strobl, erst seit kurzem SWR-Spielfilmchefin und dort seinerzeit als Schäuble-Tochter kritisiert, soll das Erbe des Degeto-Vorplaners Wolfgang Jurgan antreten, schreibt die SZ (Seite 15). +++ The two Herberts, Schmücke (Jaecki Schwarz) und Schneider (Wolfgang Winkler) hören nach 16 Jahren und 50 Folgen auf Senderwundsch beim Hallenser Polizeiruf auf. Abschlussfolge soll in einem Jahr ausgestrahlt werden. (TSP) +++ Jürgen von der Lippe likes Stefan Raab im Interview mit dem TSP. Beantwortet darin auch die Frage, der Gottschalk-Nachfolge ("Ich hätte es Michelle Hunziker machen lassen, mit wechselnden Kollegen. So hätte es funktionieren können") für Wetten, dass..?. +++ Für "Gottschalk live" ist noch nichts bekannt, der Spiegel hat nun von einer Klausel berichtet, die einen ARD-Ausstieg im April möglich machen würden, weil die Quote unten den geforderten 10 Prozent liegt (TSP). +++ In der Berliner schweift Klaudia Wick vom Gottschalk-Dilemma einmal durch die Geschichte der westdeutschen Fernsehunterhaltung und ihrer Protagonisten. +++
+++ In der SZ vom Samstag skizziert Simon Feldmer die schwierige Lage bei Spiegel TV. +++ Der TSP skizziert die schwierige Lage auf dem Computerzeitschriftenmarkt. +++ Eleonore Büning kommentierte in der Spalte auf Seite 1 des FAS-Feuilletons entschieden für das Anliegen der Radioretter. +++ Die SZ erkennt auch auf einen Stellvertreterkrieg: "Ein wenig scheint es so, als werde der Unmut über die allgemeine Verfasstheit des öffentlich-rechtlichen Systems auf dem Rücken von WDR3 abgeladen. Insofern muss Schmitz auch Misstrauen und Kritik aushalten, die eigentlich der Talkshowpolitik im Ersten oder der Verflachung des WDR-Dritten gelten." +++ Kein Unmut, nur Lob gab's für "Roche & Böhmermann" als Talkshow (TAZ, Berliner).
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.