4 m, 0 w

4 m, 0 w

Was so alles darstellbar ist: Gottschalk als richtiger Mann im falschen Format, Planüberfüllung bei der Frauenquote, fehlender Kampfesmut im ZDF, 20 Jahre Kabel 1.

Hmmmh. Jetzt überlegen wir schon eine halbe Stunde rum, wie in den heutigen Tag einzusteigen ist, nur um dann zu einem doch allenfalls dürftigen Ergebnis zu kommen.

Dabei ist es nicht so, dass es nicht Texte gäbe, von denen man lernen, die eine gewisse Vorbildfunktion haben könnten. Matthias Kalle etwa legt im Tagesspiegel zum Thema "Gottschalk live", Stichwort: kriselt, wie folgt los:

"Am Montagabend lieferte Thomas Gottschalk seine bisher beste Show in der ARD ab. Der Mann war klug, witzig, geistreich – er verblüffte, hörte zu und war während der gesamten Sendung präsent. Dummerweise hieß die Sendung nicht 'Gottschalk live', sondern 'Hart aber fair'."

Nannenpreisreif. Alles richtig gemacht, der Robert Kranjec unter den Gottschalk-Texten. Der Gegenwind ist heftig, weil alle über Gottschalk schimpfen (zahlreiche Altpapiere seit dem hier), aber gerade deshalb nimmt der überraschende Anfang ordentlich Fahrt auf ("beste Show", "klug, witzig, geistreich"), hebt am resümierenden Bindestrich sauber vom Schanzentisch ab ("verblüffte, hörte zu") und landet mit einem blitzsauberen Telemark auf der Pointe ("Hart, aber fair" statt "Gottschalk live").

Nur ewige Zweifler wie wir hier lesen jetzt nicht beglückt weiter, sondern fragen sich gerade ob dieses Einstiegs: Stimmt das denn? Tritt Thomas Gottschalk in Frank Plasbergs Sendung tatsächlich völlig anders auf, als er in seiner eigenen Sendung rumsitzt? Oder sind die positiven Attributierungen ("klug, witzig, geistreich") der Logik des Einstiegs geschuldet, die für ihren Gag eine gewisse Fallhöhe braucht und Gottschalk bei Plasberg deshalb in den höchsten Tönen lobt?

Fragen, die man sich auch nach der Lektüre von Christopher Keils SZ-Text zum Thema stellt, wo es heißt:

"Gottschalk ist nach wie vor der ewig blonde, schlagfertige Entertainer, wenn man seine Schlagfertigkeit bedient."

Ist Gottschalk wirklich schlagfertig oder war er das nicht vor 30 Jahren im Radio? Dass Schlagfertigkeit bedient werden muss, spricht jedenfalls nicht für sie; bislang war doch davon zu auszugehen, dass Schlagfertigkeit so eine Art Zauberschwert ist, mit dem man in jeder Situation den richtigen Move macht, ganz unabhängig von der Situation.

Aber eh wir nun tatsächlich alles hinterfragen, was das Schreiben von Artikeln an Geschichten produziert: Kalle und Keil kommen sich in ihren Gottschalk-Betrachtungen darin nah, dass die Misere von "Gottschalk live" zu beheben wäre, insofern der Moderator nicht völlig unfähig ist, sondern lediglich das Format falsch.

"Ein Erkenntnisgewinn aber bleibt, dafür muss man Frank Plasberg mal loben: Er hat bewiesen, dass Thomas Gottschalk es noch kann. Theoretisch. Wenn er will. Schade, dass er gerade eine Sendung moderiert, die er nicht will."

Heißt es im Tagesspiegel. Die SZ sieht das etwas nüchterner, wenn sie weiß, dass am Ende die Quote zählt. Immerhin konzediert sie dem neuen Gottschalk-Berater Markus Peichl einen "smarten Einstieg".

"In einer ersten öffentlichen Analyse sagte Gottschalks neuer Redaktionsleiter bei SpiegelOnline: 'Thomas ist wie ein Auto, das locker 300 PS schafft, im Moment aber nur 40 auf die Straße bringt. (...) Bis zur Sommerpause sitzt das Konzept, ab Herbst wird sich das auf die Quoten auswirken.'"

Die Peichl-Expertise auf Spiegel-Online geht in die gleiche Richtung wie Kalles Kritik:

"Das Problem ist: Es gibt kein klares Konzept. Mal führt er Gespräche, mal kommentiert er das Tagesgeschehen. Mal gibt es Einspielfilme, mal keine. Mal kommen Superpromis ins Studio, mal Unbekannte. Der Zuschauer muss wissen, was ihn erwartet."

Ist auch eine Geschichte, die man erzählen kann. Christopher Keil, wir sind doch nicht allein, ist allerdings skeptisch gegenüber solchen Darstellungen:

"Berater isolieren Konflikte, stellen eine Prognose und definieren Zeiträume. Alles klingt plausibel, einfach und beherrschbar, was es gar nicht ist. ... Peichl weist das Abschneiden indirekt dem Produzenten zu, der Grundy Light Entertainment, die für RTL Deutschland sucht den Superstar fabriziert. Stiege Gottschalks Quote im Herbst tatsächlich, wird sich das Peichl anrechnen. Stiege die Quote nicht, wird das Grundy Light oder der ARD oder der Intendantin Monika Piel oder allen zusammen zugeschrieben."

Immerhin hat Peichl mit seiner Anamnese Zeit gewonnen. Denn die schlechten Quoten dürften den ARD-Verantwortlichen nicht völlig egal sein.

"Im Intendantenkreis hatte Monika Piel 'Gottschalk live' offenbar als werbefinanziert und damit kostenneutral bezeichnet. ... Inzwischen musste die ARD-Werbetochter ASS ihren Kunden Rabatte einräumen, denn die Sendung war auf einer höheren Quotenfestsetzung verkauft worden. Weil die für Gottschalk live verantwortliche WDR Media Group nun weniger einnimmt und mehr ausgeben muss, erhalten die Werbetöchter anderer Landesrundfunkanstalten weniger Geld."

Das ist die Realität. Die in der AG DOK versammelten Dokumentarfilmer haben, darauf verweist auch der SZ-Text, bereits einen Alternativvorschlag für den Vorabend eingebracht, der wiederholungsfähig wäre und sich besser rechnen würde:

"Für jede Sendung unter 5% Sehbeteiligung brauchen Sie nur 50 % der Herstellungskosten zu tragen - für jeden Marktanteil über 5 % zahlen Sie das gleiche wie für eine 'Gottschalk Live' Sendung.... Wir haben die Staffel bereits durchgeplant - sie wird den Titel 'Mein spannendstes Erlebnis' tragen, und sobald Sie dafür grünes Licht geben, legen wir los."

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Gottschalk: Form und Format (TSP)##Solidarität mit der Frauenquote (TAZ)##20 Jahre Kabel 1 (Berliner)##Die sichere ZDF-Rebellion (Carta)##Vorbereitungen für den Nachruf (TAZ)##]]

Heißt es in einem, natürlich, Offenen Brief an ARD-Programmdirektor Volker Herres. Dass der jetzt kalte Füße bekommt und seine Sekretärin die Nummer vom AG-DOK-Vorsitzenden Thomas Frickel raussuchen lässt, mmh, eher nicht so wahrscheinlich. Normalerweise sollte für einen ARD-Verantwortlichen aus so einer Aktion wohl nur die von Humor bemäntelte Frustration von Marginalisierten sprechen.

Aber wer weiß, wenn die Verzweiflung größer wird und Gottschalk nicht erfolgreicher, die ARD also nichts mehr zu verlieren hat, vielleicht, vielleicht wagt sie ja mal was. Man kann über die derzeit verbreitete Kultur Offener Briefe denken, was man will, und darin erstmal nicht das Machtinstrument sehen, das Senderchefs zum Zittern bringt. Aber Ideen kommen in die Welt.

[+++]Die TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester kann in ihrer wöchentlichen Kolumne von der Front der Begeisterung über den Offenen Brief (Altpapier vom Montag), mit dem Journalistinnen verschiedener Prominenz 30 Prozent Führungspositionenanteil einforderten, jedenfalls kaum mehr standhalten:

"Ich stehe hier inmitten eines furchtbaren Spektakels. Frauen. Überall Frauen. Organisierte, zusammengeschlossene Frauen. Sie sind entschieden, die Kampfeslust steht ihnen ins Gesicht geschrieben....Der Zulauf im Tahrir-Netz wird immer größer. Immer mehr Menschen erklären sich über das Internet, www.pro-quote.de, solidarisch. Darunter auch viele Männer."

Mittlerweile sind auf der pro-quoten.de-Seite erste Erklärungen von den angesprochenen Chef-Männern eingegangen. Sie klingen wie die legendären Ernteberichte in der Aktuellen Kamera – wo man auch hinschaut, der Plan ist schon übererfüllt. Christoph Amend vom Zeit-Magazin weiß einzuschätzen:

"Ich kann Ihre Forderung nach mehr weiblichen Führungskräften in den Medien nur unterstützen...Im ZEITmagazin sind 40 Prozent der Führungskräfte weiblich: Textchefin Christine Meffert und Art Directorin Katja Kollmann neben drei männlichen Führungskräften. Das sind der stellvertretende Chefredakteur Matthias Kalle, Creative Director Mirko Borsche und ich."

GEO-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede, der Erst-Antworter, kann noch beeindruckendere Zahlen vorweisen:

"Chefredaktion und stellv. CR: 2 m, 0 w; Redaktionsleitung: 0 m, 1 w; Geschäftsführende Redakteure Text: 0 m,1 w; Chefs v. Dienst: 0 m, 2 w; Leitung Fotoredaktion: 0 m,1 w; Art Direction; 0 m, 2 w; Leitung Kartographie 0 m, 1 w. Macht zusammen: 2 m, 8 w. Also einen Frauenanteil in den Leitungspositionen von 80 Prozent."

Wenn das so weiter geht, kommt am Ende noch irgendjemand auf die Idee zu fragen, was die Frauen eigentlich wollen.

P.S. Das nicht angeschriebene Altpapier hätte in der Angelegenheit immerhin noch Luft nach oben: Es gibt zwar radikal flache Hierarchien, also keinen Chefposten, dafür steht es 4 m zu 0 w und stand selbst in allerseligsten Zeiten nur 3 m zu 1 w.


Altpapierkorb

+++ In welchen Fällen man das Schreiben von Protestbriefen lieber sein lassen sollte, zeigt ein Carta-Interview mit den anonymen ZDF-Rebellen, die vor einiger Zeit analog zum ORF "Freiheit für das Zweite" forderten. "Kritiker des Briefes bemängeln den dünnen Gehalt Ihres Protests. Können Sie inhaltlich nachlegen oder war’s das schon? – Gehen Sie mal davon aus, dass bei einer der nächsten Bundestagswahlen 'das Ende des Zweiten' oder dessen 'Stutzung' gefordert wird. Die BILD-Zeitung wird in den Chor einstimmen, und dann werden auf dem Lerchenberg nur noch diejenigen sitzen, die nie aufgemuckt haben. Und da sollen wir wie Jeanne d’Arc die Flagge der Medien-Revolution vor uns hertragen?" Nee. Aber so wird das auch nichts mit der Veränderung. +++ Zum Bild der wahren (wir wissen Ihren Kampf dennoch zu würdigen, liebe Silke Burmester) Kriegsreporterin trägt Carolin Emcke im Interview auf vocer.org Details bei: "95 Prozent meiner Aufenthalte sind wirklich harmlos. Und manchmal sitzt man herum und wartet, manchmal trinkt man stundenlang Tee. Das Bild, dass man da dauernd unter Beschuss läge und ununterbrochen Gefahr ausgesetzt wäre, das ist ein Klischee." +++

+++ Wie unterschiedlich man die Geschichte von 20 Jahren Kabel 1 beschreiben kann, zeigen die Texte von Alexander Frei auf dwdl.de und Peer Schader in der Berliner. Frei schreibt relativ lückenlos eine emphatische Chronik auf, die vor kurzem erst größte Erfolge feierte: "Einen neuen Senderrekord verzeichnete kabel eins zudem erst vor wenigen Tagen, als ein Europa-League-Spiel von Schalke 04 mehr als vier Millionen Zuschauer anlockte." +++ Schader sieht dagegen beim "Ersatzteillager" ProSiebenSat.1-Gruppe keinen Grund zum Feiern: "Spiele der Europa League, von denen sich Sat.1 kein ausreichend großes Publikumsinteresse verspricht, laufen kurzerhand bei Kabel eins, das sonst keinerlei Sportaffinität hat. Immerhin ging die Taktik zuletzt öfter mal nach hinten los – und Sat.1 zog mit seinem Alternativprogramm den Kürzeren." +++

+++ Jürg Altwegg annonciert in der FAZ (Seite 33) die neunte Ausgabe von "La Bougie du Sapeur", einer französischen Zeitschrift, die seit 1980 immer am 29. Februar erscheint. Die Mitteldeutsche Zeitung berichtet auch. +++ In der TAZ schreibt Martina Schwikowski über die, so merkwürdig das klingt, medialen Vorbereitungen auf den Tag, an dem Nelson Mandela sterben wird. +++ Die ARD streitet sich mit dem DFB um Anstoßzeiten für EM-Vorbereitungsspiele (20.30 Uhr vs. 18 Uhr), weiß der Tagesspiegel. +++ Die FAZ (Seite 33) hat mit Schleswig-Holsteins Datenschutzbeauftragem Thilo Weichert über die neuesten Geschäftsbedingungen von Google gesprochen. +++ Detlef Borchers informiert ebenda über das Verhältnis von Wikileaks zu schwedischen Journalisten. +++ Und Thomas Knüwer zitiert in seinem Blog kritisch den designierten Bundespräsidenten. +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder.
 

weitere Blogs

...oder wie man mit dem Licht beginnt.
Altar mit dekoriert in Regenbogen-Farben
Für diesen Blogbeitrag habe ich ein Interview mit Lol aus Mainz geführt. Lol ist christlich, gläubig und non-binär. Nicht für alle christlichen Kreise passt das gut zusammen.
Von Zeit zu Zeit die Welt beobachten. Heute: mein Glaube in diesem November