... weiß Google im Zweifel besser. Neues über die Nutzwerverwertung durch die großen Datenkraken der Welt. Aber auch von der EU-Kommission, vom Hitlertainment und von den Quoten-Losern des klassischen Fernsehens.
Das alte Wundertüten-Erfolgsrezept, für jeden etwas zu bieten (oder zumindest zu versprechen), heute setzt das Medienressort im aktuellen, breiten Sinn es geradezu archetypisch ein. Das klassische Fernsehen bietet News (siehe Altpapierkorb). Die sympathischen Datenkraken Google und Facebook einerseits, Politiker, die mit ihnen zurechtzukommen versuchen, andererseits verknüpfen sozusagen ihre Bemühungen, dem Datenschutz breite Aufmerksamkeit zu verschaffen. Und die ganz traditionelle Medienbranche hat auch etwas zu bieten:
[+++] Beginnen wir den Versuch, "uns so'n bisschen den Tag anzugucken" (Tommy Gottschalk), "am Kiosk", wie die Points of Sale der gedruckten Presse vereinfacht heißen. Dort sind heute, was gestern noch ungewiss war, keine Auszüge aus "Mein Kampf" zu erwerben. Zumindest keine leserlichen. Nach einer Entscheidung des Landgerichts München gestern ist der Originaltext zwar nicht geschwärzt (wie die TAZ vereinfacht vermeldet), aber "mit einer Art Nebel überzogen" (sueddeutsche.de, FTD/ DPA).
Das unvernebelte Supplement lässt sich auf der Zeitungszeugen-Webseite durchblättern und vielleicht von Menschen mit sehr sehr guten Augen auch lesen. Weiter oben auf derselben Seite erläutert der britische Herausgeber Peter McGee die "kurzfristigen Änderungen der Beilage 'Das unlesbare Buch'". Dort ist inzwischen auch das gestern erst unterbreitete Angebot, Einsendern eines "frankierten und adressierten Rückumschlags" das ganze Hitler-Heftchen zuzusenden, zurückgezogen. Weitere gerichtliche Schritte werden jedoch angekündigt.
Welches Blatt schon wieder (damit zum dritten Mal) die Sache am ausgreifendsten kommentiert, ist der Berliner Tagesspiegel:
"Die Ursache für die zweifellos vorhandene Nachfrage liegt jedoch im Reiz des Verbotenen: Hitler sells, und mit Verbotsdrohung nur noch besser",
schreibt Bernhard Schulz unter der Überschrift "Ein Krampf" (zwar noch in Unkenntnis des Umstands, dass der Frankierte-Rückumschlag-Trick nicht mehr angewendet wird, aber sonst) mit Recht.
Wer zum einstweiligen gerichtlichen Sieger dieser Auseinandersetzung, dem Bayerischen Staatsministerium der Finanzen, klickt, stößt auf der Startseite ein fesches Markus-Söder-Video, jedoch auf keinerlei Infos zum Hitler-Copyright. Wer etwa nach "Kampf" sucht, findet als neuesten Beitrag einen aus dem Juli zum "Kampf gegen die Internetkriminalität!", für den sich längst viele Politikressorts verantwortlich fühlen. Damit zur Netzpolitik.
[+++] Als hätten sie sich abgesprochen, bemühen sich die EU-Kommission, diese graue Supermacht der Politik, und zwei der drei kalifornischen digitalen Weltherrschafts-Aspiranten um den Datenschutz - mit jeweils gegensätzlichen Zielen. Einerseits hat EU-Kommissarin Viviane Reding (nicht die, die Freiherr KT zu Guttenberg als Berater für die Internetfreiheit anheuerte, das ist Neelie Kroos) gestern eine Online-Datenschutz-Initiative vorgestellt, zu deren zentralen Ambitionen ein "right to be forgotten" der Nutzer zählt (solcherlei EU-Dokumenten sind in insgesamt 22 Sprachen verfügbar, also auch auf deutsch).
In einer kleinen Übersicht über deutsche Politikerreaktionen zitiert tagesspiegel.de beinahe gleichlautende "Abwegig"/ "Veraltet"-Kritik von Vertretern der Piratenpartei und der derzeit noch kleineren FDP:
"Sebastian Nerz, Bundesvorsitzender der Piratenpartei kritisierte das von EU-Kommissarin Viviane Reding betonte 'Recht auf Vergessen' im Internet. Redinh hätte 'ein beinahe naives Verständnis von Technik', so Nerz. Die angestrebte europäische Novelle sei zwar im Prinzip zu begrüßen, aber in Teilen technisch nicht durchsetzbar und völlig abwegig. ... Auch die innenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion Gisela Piltz, kritisierte: 'Leider sind die Brüsseler Vorschläge an einigen Stellen bereits veraltet, bevor sie überhaupt Wirkung entfaltet haben'."
Was der EU-Initiative dennoch Schwung verleiht, ist das Vorpreschen der sympathischen Datenkraken Facebook und Google beim künftigen Verknüpfen und Verwerten der von ihnen gesammelten Nutzerdaten.
"Niemals zuvor hat es einen weiter reichenden Versuch gegeben, den gläsernen Menschen zu schaffen", schreibt Johannes Boie auf der ersten Seite der Süddeutschen (online bei jetzt.de) zur Facebook-Ankündigung, die sogenannte "Timeline" obligat zu machen. Was gemeint ist: Das Netzwerk wird "künftig jede Aktion von jedem Nutzer - zum Beispiel eine Nachricht an Freunde, eine veröffentlichte Reise oder ein ins Netz gestelltes Foto, in eine lebenslange Chronologie ein...ordnen".
"Facebook zwingt seinen Nutzern die 'Timeline' auf", formuliert es der österreichische Standard, "schockt seine Nutzer", würde Kurt Sagatz im Tsp. sagen. Facebooks Verhalten "ist ultradreist", ließ sich Michael Hanfeld (FAZ, S. 35) vom schleswig-holsteinischen Datenschutzbeauftragten Thilo Weichert sagen.
Was aber ebenfalls "furchteinflößend" (Christian Stöcker bei SPON) klingt: die neue Beglückung, die Google ebenfalls gestern ankündigte, und zwar im Originalwortlaut unter anderem mit diesen Worten:
"We can make search better - figuring out what you really mean when you type in Apple, Jaguar or Pink".
[listbox:title=Artikel des Tages[Facebook will den gläsernen Menschen (Süddt.)##Google aber auch furchteinflößend (SPON)##Googles, Facebooks, Apples Eco-Systeme (medienrauschen.de)##Auf Hitler machen nur Verbote scharf (Tsp.)##Carta ist wieder da]]
Um besser als seine Nutzer zu wissen, was diese beim Schreiben meinen, will Google "mit einer bislang eisernen Regel brechen: Alle Daten, die ein Nutzer bei Google-Diensten hinterlässt, sollen künftig miteinander kombiniert werden", formuliert das SPON. Und es sind bekanntlich viele unterschiedliche Dienste, die zu Google gehören, von Googlemail/Gmail über Google+ bis zu Picasa und Youtube, von Android-Handys ganz zu schweigen.
"Angesichts der Politik von Google und Facebook erhält der Begriff 'Vorratsdatenspeicherung' ganz neue Bedeutung", schließt FAZ-Redakteur Hanfeld seinen schon erwähnten Artikel ab. Vielleicht auf den griffigsten Nenner bringt medienrauschen.de die Entwicklung:
"Google propagiert den Schritt mit dem Erlebnisfaktor. Das Google-Netzwerk soll für Nutzer eine 'simpler, more intuitive Google experience' bieten. Mit dem Schritt schafft der Suchprimus ein endgültig zusammenhängendes Google Eco-System, dessen zentrale Verwaltung Google+ werden dürfte. Dass man Nutzer lieber und durchaus gut im eigenen Eco-System halten kann, zeigen aktuell vor allem Apple und Facebook."
[+++] Dass Google und Facebook in puncto Nutzerverwertung Apple nacheifern (und betriebswirtschaftlich gesehen, nacheifern müssen), macht aktuell die kress.de-Überschrift "Apple macht mehr Gewinn als Google Umsatz" deutlich. Und daran, dass Apple bei der künftigen Nutzerverwertung nicht nachlässt, sondern nun vor allem Schüler im Augen hat, erinnert die TAZ.
Ob allerdings die EU-Kommission etwas daran ändern kann, bezweifelte auf Twitter (dem vergleichsweise datenliberalsten Netzwerk) mit einem schönen, ebenfalls betriebswirtschaftlichen Sinnspruch, Mairi Njuwell:
"Die EU-Kommission für den Datenschutz einzuspannen ist ja schon so ein bisschen wie Bierkästen kaufen, um mit Pfandflaschen reich zu werden."
Altpapierkorb
+++ Damit in eine völlig andere "Todeszone": jene des öffentlich-rechtlichen Werberahmenprogramms am sogenannten Vorabend. Vorhersage-gemäß Joachim Huber (Tsp.) beschwört diesen Fachbegriff der Fernsehbeobachter angesichts der gestern morgen bekanntgegebenen Quoten der vorgestrigen, zweiten Gottschalk-Show neu: "Jetzt beginnt die Arbeit, der Kampf um die Zuschauer, um jeden Zuschauer." +++ Wie verlief dieser Kampf gestern? "230.000 weniger als am Tag zuvor. Der Wert bei den unter 50-Jährigen blieb mit 4,9% auf niedrigem Niveau stabil", weiß kress.de. +++ Und während die Dokumenteure von meedia.de dokumentieren, dass Harald Schmidt immerhin mit Tommy-Gottschalk-Scherzen zu längst vergessen geschienener Form aufläuft, unternimmt Anne Burgmer bei ksta.de eine große Analyse dieses anderen großen Quoten-Losers der Saison: Zwar wirke Schmidt "seit seiner Rückkehr zu Sat.1 gelöst, doch diese neue Motivation kommt möglicherweise zu spät. Unglücklich schien er zuletzt bei der ARD, lustlos und uninspiriert waren seine Auftritte. Und dass ihn die Zusammenarbeit mit Oliver Pocher nervte, war auch nicht zu übersehen. Einen schlechten Abend kann jeder mal haben, doch wer über Monate so auftritt, dem laufen die Zuschauer davon." +++
+++ Carta ist wieder da - gut vier Monate nach Robin Meyer-Luchts Tod. "Wir werden Carta in den kommenden Wochen sukzessive wieder hochfahren. Damit der Neustart gelingen kann, brauchen wir auf lange Sicht weitere Partner und Sponsoren. Für Vorschläge und Unterstützung sind wir dankbar", schreibt Tatjana Brode, die den Neustart mit Wolfgang Michal unternimmt. Willkommen zurück! +++
+++ Die Weltrangliste der Pressefreiheit (siehe Altpapier) hatte eine Sperrfrist bis gestern 0.59 Uhr. Daher gibt es eher wenige Presseberichte (z.B. taz.de). Vielleicht eine indirekte Folge: das FDP-Politiker-Interview des Tages, das die Süddeutsche (S. 15) mit Markus Löning, seines Zeichens Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, zum Song Contest-Finalland Aserbeidschan (Platz 162) führte: "Erwarten Sie von Unterhaltungskünstlern, dass sie sich für Menschenrechte einsetzen?" - "Ich erwarte von jedem, der aus einem freien Land kommt, dass er sich dieser Situation bewusst ist und sie im Rahmen seiner Möglichkeiten thematisiert. Ich habe an alle Sänger, die jetzt noch in der deutschen Vorauswahl sind, einen Brief geschrieben. Darin mache ich auf das Schicksal von Bachtjar Hadschijew aufmerksam, der im März 2011 auf Facebook zu einem friedlichen Protest aufgerufen hat. Seitdem sitzt er im Gefängnis." +++ Die Initiative "Einsitzendes Russland", die nicht nur online aufzeigt, "wie die Justiz Unschuldige verfolgt und hinter Gitter bringt", sondern auch Tipps gibt, "wie man die Zeit im Gefängnis überlebt", ist Hauptthema der FAZ-Medienseite. +++ "Wer gilt eigentlich als inhaftierter Journalist? Gehören dazu auch Reporter, die im Supermarkt geklaut haben?", fragt vocer.org die Reporter-ohne-Grenzen-Pressefrau Anja Viohl. +++
+++ England bleibt das gelobte Land deutscher Medienanstalten- und -debattenreformer. Wie "meilenweit voraus" die dortige Debatte über ein verschärftes Presserecht nach dem Phone Hacking-Skandalen der ehemaligen Murdoch-Presse der deutschen sei, deutet Steffen Grimberg in der TAZ an. +++
+++ Wohl eher etwas für Datenjournalisten als für Endverbraucher bzw. Leser: Neuer Stoff von der Springer-Pressestelle aus der Springer-Straße für die TAZ in der Dutschke-Straße. Doch auch "nach 35.000 Zeichen, 5000 Wörtern und etlichen Antworten bleiben zentrale Fragen ungeklärt" (taz.de). Immerhin gibt's eine Weiterdefinition des Fachbegriffs "Salamitaktik" ("Die Bild hat ihre Salamitaktik erweitert: Erst gibt sie nur scheibchenweise Auskunft, dann überschüttet sie den Fragesteller mit Informationen"). Immerhin geklärt: Auch TAZ-Chefredakteurin Ines Pohl klingelte Kai Diekmann an, um Christian Wulffs Mailbox-Nachricht "im Originalton hören zu dürfen, um sich ein ungefiltertes Bild von dem tatsächlichen Telefonat machen zu können. Doch das lehnte der Bild-Chef ab." +++
+++ "Gegen das jähe Auseinanderklaffen von Selbst- und Fremdbild im Camp bleibt auch die Medienkompetenz und Selbstreflexion machtlos, die von den Kandidaten inzwischen geballt demonstriert wird": Ein großes Dschungelcamp-Feuilleton von Andreas Bernard auf der Süddeutsche-Medienseite sorgt sich um Mitspieler der Show, denen "der gefährlichste Moment der gesamten Sendung" erst nach deren Ende bevorstehe. +++
+++ "Öffentliche Herabwürdigung von Mitarbeitern", menschliche Enttäuschung gibt's aber auch bei Nachrichtenagenturen, bzw. ist zumindest der DAPD-Auslandschef André Uzulis über seine früheren Kollegen von der DPA enttäuscht (meedia.de). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.