Die Banalität, zu der die Rücktrittsforderung geworden ist: zwei Medienkritiken. Brenders Schröder-Moment und Schröders "Jungle World"-Interview: zwei Erinnerungen. Unvermeidlich: Ernst Elitz
Auf den Medienseiten von heute (FAZ, Berliner) erinnern noch die gedruckten Frühkritiken an diese völlig abgedrehte "Günther Jauch"-Sendung (Altpapier von gestern) zum Thema Wulff-Schuld am Sonntagabend. Da wäre man doch gern, wie es früher hieß, Mäuschen gewesen in der senderinternen Sendungskritik.
Um zu erfahren, ob es also irgendwas an Selbsterkenntnissen über das übliche Gelobe – "Thumbs up, Günni" – "Dafür haben wir dich geholt" – "Dieser widerliche Herles kommt uns aber nicht mehr in die Tüte" – "Hamm-Brücher mit den Kopfhörern, ging doch ganz gut und kam bei den jungen Leuten suuper an" – hinaus gegeben hat.
Die von sich selbst berauschte Hybris der Medien, wie sie in dieser Jauch-Sendung oder auch in solchen Ringrichter-Kommentaren spürbar wird, ist dabei ein Resultat veränderter Kommunikationsbedingungen. Folgert Wolfgang Michal in seinem Blog:
"Der sichtbare Trend zum moralischen Rigorismus könnte aber auch ganz anders interpretiert werden: Nicht die Blogger und Twitterer haben sich den Leitmedien angepasst, sondern die Leitmedien den Bloggern und Twitterern. Herausgefordert durch deren kräftige (oft populistische) Sprache, greifen nun auch etablierte Medien immer häufiger zu drastischen Begriffen und Vergleichen, fordern eilends Rücktritte und rigorose Konsequenzen, und zelebrieren die unfreiwilligen Abgänge aus dem öffentlichen Leben als reinigende Buß- und Sühneopfer fürs Volk....Sie werfen nicht mehr nur ihre Stöckchen – sie rennen auch gleich laut kläffend hinterher."
Im Freitag (Disclosure: für den ich arbeite) kritisiert Tom Strohschneider ebenfalls die Banalität, zu der die Rücktrittsforderung heute geworden ist. Zu den medialen Implikationen heißt es da:
"An der fortschreitenden Privatisierung der Res publica durch Marktmacht und Parteienstaat wird die Auswechslung eines Spielers nichts ändern. Man kann sie sogar dort beobachten, wo das Gegenteil versprochen wird – nämlich Aufklärung über diese Privatisierung. Wo endet im Fall Wulff das hehre journalistische Interesse an der Aufdeckung des kritikwürdigen Gebarens eines Politikers – und wo ist es schon überlagert von der Ökonomie der Neuigkeitenproduktion oder gar eigenen politischen Interessen? In den Fall ist der beständige Kampf um Öffentlichkeit, für die der Spiegel erst Gerichte bemühen musste, genauso eingeschrieben wie das Kampagnentum der Bild-Zeitung, der das politische Versagen Wulffs wohl nur so lange interessant erscheint, wie das Privatleben der Präsidentinnengattin nicht die verkaufsträchtigere Schlagzeile verspricht."
Was die Wulff-Media-Chose etwas in den Hintergrund gedrängt hat: die Haushaltsabgabe kommt ab 1. Januar 2013, der Landtag von Schleswig-Holstein hat auch zugestimmt.
Thank god, haben wir Ernst Elitz. Der große Generalist unter den Kommentatoren begrüßt im Tagesspiegel die Entscheidung. Mit seiner, wie es früher hieß, flotten Schreibe holt Elitz den Leser da ab, wo er steht: bei den Sorgen. Und garniert komplexe Sachverhalte mit witzigen Bemerkungen:
"Vorbei die kleinliche Auseinanderrechnerei von Dampfradio (5,76 Euro monatlich) und Flimmerkiste (solo oder mit Radio 17, 98 Euro), wo doch bis auf eine kleine Sekte von Ikonoklastikern kein Bürger auf die Mattscheibe verzichtet. Arte bildet: Ikonoklastiker sind Menschen mit Bildallergie. Diesen fanatischen Nur-Radio-Hörern sei gesagt: Die volle Dosis von drei Deutschlandradio-Programmen ist für sich 17,98 Euro im Monat wert. Für dieses Geld wird man im Fernsehen nicht so schnell schlau."
Höchstens auf Arte. Denn Arte bildet. Würde der Elitz sagen. Wenn's ihm in den Kram passte. Aber passt hier halt nicht. Genauso wie die Hyperbel, die Dradio-Programme seien 17,98 Euro wert. Mögen sie sein, aber leider entfallen von den 17,98 Euro noch nicht mal 50 Cent aufs Deutschlandradio. Aber egal, Hauptsache, der Elitz schreibt.
Wo es gerade um subjektivste Vorlieben geht: Christopher Keil hat in der SZ einen sehr schönen Text geschrieben. Eigentlich geht es darum, dass Nikolaus Brender, der ehemalige ZDF-Chefredakteur und gleichnamige Fall, ab Februar eine von Friedrich Küppersbuschs Probono produzierte Talkshow ("Bei Brender") auf n-tv bekommt.
Vor allem aber geht es dann, und auch nicht nur lobhudelnd, um die legendäre Elefantenrunde mit dem endkrassen Auftritt von Gerhard Schröder nach der verlorenen Wahl 2005, der Brender viel von seinem Fame in der Szene verdankt.
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Wulff-Schuld: Extremer Rigorismus (Wolfgangmichal.de)##Wulff-Schuld: Ökonomie der Investigation (Freitag)##Brenders großer Moment (SZ)##Schröders "Jungle World"-Interview (TAZ)##]]
"Einundzwanzig, zweiundzwanzig - würde es sich um eine Film handeln, hätte Brender in diesem Augenblick genial gespielt. Zwei Sekunden, nachdem Schröder auch wenn Sie dagegen arbeiten erwähnt hatte, drang dieser Satz in seiner Absicht zu Brender durch. Er war bereits auf dem Wege zur nächsten Formulierung, als er sich jäh unterbrach und plötzlich sehr kühl fragte: 'Ob wir dagegen arbeiten?' Der Rest ist Berliner Legende."
Um Kristina Schröder dreht sich der Text von Deniz Yücel in der TAZ. Die Familienministerin hatte ja nicht nur das "Neue Deutschland", sondern auch die "Jungle World" des Linksextremismus geziehen. Yücel erinnert sich aus diesem Anlass eines Scoops: eines Schröder-Interviews, das er mit Stefan Wirner für dei Zeitung geführt hatte.
"Am Anfang stand eine Bundestagsdebatte zum Thema Integration, die ich mit meinem damaligen Kollegen Stefan Wirner im Fernsehen verfolgte. Genauer: Wir schauten ab und zu hin, wie die immergleichen Leute die immergleichen Reden hielten. Und dann kam sie. Wow! Die Rede: in ihrem aufgeklärten Konservatismus relativ ernst zu nehmen. Die Rednerin: in ihrer juvenilen Biederkeit absolut hinreißend. Wir mussten sie interviewen!"
Zu einer Neuauflage kam es aber nicht mehr:
"Gerne hätte ich nun Frau Köhlerschröder über dieses Interview interviewt. Sie wollte nicht."
Altpapierkorb
+++ Apropos Brender: Im Tagesspiegel sieht Joachim Huber das n-tv-Engagement leise skeptisch. +++ Halb gemocht wird ebenda das dritte Krause-Spin off "Krauses Braut" (RBB) zum 70. Geburtstags des gleichnamigen Schauspielers Horst. +++ In der FAZ (Seite 33) entpuppt sich Jochen Hieber als heißer Rolling-Stones-Fan, der Scorseses Film "Shine a Light" (Arte, 20.15 Uhr) nur wegen der Musik mag (groß ist auch der Auftritt der kürzlich verstorbenen Mutter von Hillary Clinton). +++ Außerdem wird auf das Youtube-Video verwiesen, dass aus dem Furtwängler-Tatort vor zwei Wochen einen sechsminütigen Werbefilm für VW extrahiert hat. +++
+++ Zum Tatort, der letzte des Jahres ist durch, gibt es ein Resümee auf evangelisch.de. +++ Zu Youtube eine Geschichte in der Berliner: Die Plattenfirmen löschen selbst im Redaktionssystem. +++
+++ Ins Ausland: Über das Zeitungsmachen in Weißrussland schreibt Diana Laarz der Berliner: "Oft kommen die Mitarbeiter des Witebskij Kurier nicht in die Redaktion. 'Es ist nicht ratsam, sich hier oft blicken zu lassen', sagt der 58 Jahre alte Chef. Das liegt daran, dass der Witebskij Kurier eine nicht-staatliche Zeitung ist, zudem noch illegal." +++ Über das Zeitungsmachen im Sudan berichtet Benno Müchler in der SZ (Seite 15): "Chefredakteur Nhial Bol ist nicht da, er hat anderes zu tun: Das Druckpapier droht auszugehen. Es kommt normalerweise aus Uganda, in Südsudan gibt es kein Zeitungspapier. Doch der Lieferant liefert nicht, mit der Folge, dass zwei Tage zuvor die Druckauflage von 6000 auf 2000 Stück verringert werden musste." +++ Über die gewünschte zukünftige Rolle von Bradley Manning als Kronzeuge gegen Julian Assange orientiert die TAZ. +++ Über die Bilder der Trauer in Nordkorea macht sich Tom Strohschneider auf Freitag.de Gedanken – etwa um Nachrichtensprecherinnen, die beim Verlesen einer Todesnachricht mit den Tränen kämpfen. +++
Neues Altpapier gibt's morgen wieder gegen 9 Uhr.