Die mädchenhafte Frau Professor

Die mädchenhafte Frau Professor

Wer wird die deutsche Arianna Huffington? Wie wirkt die neue MDR-Intendantin? Außerdem: der Tweetizismus digitaler Quallen.

"Vordigitale Leute, das seien Dinosaurier, die digitalen dagegen Wiesel und Iltisse, neue Säuger. Aber wie leben digitale Populisten? Sie schwimmen in einer Art Meer, dem der Daten, nehmen Information auf wie im Wasser schwebende Winzignahrung und sind, da das Zeitalter der Privatsphäre aufgrund sozialer Netzwerke wie abscheulich gesteigerter Überwachungsmöglichkeiten angeblich ohnehin vorbei ist, völlig durchsichtig. Solche Wesen gibt es auch in der Natur. Sie heißen Quallen."

Große, gewohnt gelehrte Antrittsvorlesung zum Themenfeld Digitales Denken/ Digitalbiologie von Dietmar Dath heute in der FAZ (S. 31), die Digitaleuphorikern gekonnt Saures gibt ("Über leere Teilhabegesten" - z.B. den im Satz zuvor erwähnten "Tweetizismus" - "wird Gefolgschaft hergestellt, nicht Willensbildung, Entscheidungsvorlage oder ähnlich Demokratisches"). Überschrift: "Lauter Netznutzigkeiten". Frei online steht der Artikel noch nicht.

Was vordigitale Dinosaurier und digitale Wiesel immer noch ein wenig vereint: Contentkonsum. In dieser Hinsicht gibt es auch heute wieder viel Neues zum Sich-drauf-Freuen: eine neue Chefin im Intendantenstadel der ARD, die deutsche HuffPo.

Dass die Huffington Post, die inzwischen vom ehemaligen Internet-Giganten AOL besessene, berühmt-berüchtigte Onlinezeitung aus den USA außer in allerlei andere Länder auch nach Deutschland kommen möchte, hat Christian Meier für meedia.de mit den gewohnt vorsichtigen Formulierungen ("Es gibt in Deutschland Raum für Innovationen", "...interessanter Markt...", "...könnte funktionieren..." aus dem Munde des AOL Huffington Post Media-Chefs Jimmy Maymann von der Burda-Digitalkonferenz DLD aus Tel Aviv gehört und vermeldet.

Maymanns bedingte Zusage, die zuvor noch das Finden eines passenden deutschen Partners erfordert, liegt inzwischen als Tweet vor (und dass der sich zwar an Konrad Lischka von Spiegel Online richtet, aber doch für jeden klick- und lesbar ist und auch zitiert werden kann, das könnten vordigitalen Sauriern beim Verstehen sog. sozialer Medien helfen).

Von den Nachrichtenmedien wird der mutmaßliche neue Mitbewerber mit kräftigen Worten begrüßt:

"Trotz Bemühungen, die eigene Qualität unter anderem mit dem Anwerben bekannter Reporter oder der Förderung von 'Bürgerjournalisten' zu steigern, lebt die HuffPost seit Jahren mit Plagiatsvorwürfen und Klagen über die Ausbeutung unbezahlter Blogger",

schreibt Niklas Hofmann in der Süddeutschen, nicht ohne im letzten Satz darauf hinzuweisen, dass solche Vorwürfe dem Traffic keineswegs schaden. Zugleich schürt er Spannung, ob als Pendant zu Arianna Huffington (sowie womöglich der DSK-bekannten Anne Sinclair in Frankreich) denn "auch in Deutschland eine prominente Medienfrau als Repräsentantin für das Projekt engagiert wird".

"In Deutschland könnte es die 'Huffington Post' allerdings schwer haben, willige Blogger aufzutreiben, die das Nachrichtenangebot kostenlos unterfüttern. Im Vergleich zu den USA gibt es verhältnismäßig wenige Blogger - die sich in der Vergangenheit gegen die Vereinnahmung von professionellen, gewinnorientierten Projekten gewehrt haben",

schreibt bei SPON nicht Lischka, sondern Ole Reißmann und zählt dann so einige gescheiterte "reine Internet-Zeitungen" Deutschlands auf, darunter in einem Atemzug "'netzeitung.de' und 'dnews.de'" (also die beiden vormaligen Heimaten des Altpapiers).

Hingegen die sportive Wettbewerb-belebt-das-Geschäft-Haltung des deutschen Mittelstandes an den Tag legt zeit.de-Chefredakteur Wolfgang Blau, einer der führenden inländischen Tweetizisten:

"Eine deutsche Huffington Post würde mich freuen. Online-Only-Konkurrenten - ob HuffPo oder wsj.de - tun uns gut. Have no fear."

Unter Beachtung des vorhergehenden Blau-Tweets ("Die Huffington Post als bloßen Aggregator fremder Texte oder Provider von Katzen-Content zu beschreiben, ist bisschen naiv"), könnten interessierte Kreise glatt drauflos spekulieren, ob denn die nicht die auf vielen Onlinebaustellen engagierte Holtzbrinck-Gruppe ein geeigneter HuffPo-Partner sein könnte. Weitere Erklärungen des HuffPo-Geschäftsmodells gibt's heute in Tsp. und FTD.

Eine neue prominente Medienfrau haben wir bereits. Sie (vgl. unser Foto) sieht sogar fast wie Corinna Harfouch aus. Seit 1. November ist Karola Wille beim MDR im Amt und damit bereits die dritte Frau im ARD-Intendantenstadel. Nun beging sie erste Amtshandlungen: die Einweihung eines trimedialen Newsdesks (siehe meedia.de und direkt die elektronische Presse der trimediale Newsdesk des MDR: "Wille setzt auf Transparenz und Jugend") sowie ein Pressegespräch im 13. Stock des Leipziger MDR-Hochhauses.

[listbox:title=Artikel des Tages[SPON 'begrüßt' deutsche HuffPo##SZ 'begrüßt' deutsche HuffPo##BLZ interviewt neue MDR-Chefin##Tsp. über die junge neue MDR-Chefetage##Rechtslagen um Julian Assange (sueddeutsche.de)##FAZ über Anschlag auf frz. Magazin]]

Und schon entzündet sie die Imaginationen von Journalisten und deren Lesern. "Beim Mitteldeutschen Rundfunk sind Titel noch etwas wert: Mit 'Frau Professor' wurde die neue Intendantin des Senders bei ihrer ersten Pressekonferenz angeredet", leitet die FAZ (S. 37) ihren Bericht ein, so dass man zunächst eine zumindest graumelierte ältere Dame mit Brille vor Augen hat. "Unsicher im Umgang mit der Öffentlichkeit und mädchenhaft wirkt Karola Wille" dagegen auf Ulrike Simon von der Berliner Zeitung, die darauf gleich ein kämpferisches Interview ("Zu Vorgängen und Abläufen im Fall Foht nehme ich in Absprache mit der Staatsanwaltschaft grundsätzlich keine Stellung!") mit ihr führte.

Unsicher auf den für ihren Posten wichtigen Themenfeldern scheint Wille aber nicht zu sein, inhaltlich redet sie halt erwartungsgemäß von Skandalaufklärungen, die erfolgen sollen, vom "Generationenabriss", der verhindert werden soll, und distanziert sich vom Schunkel-Content, den es beim MDR aber auch kaum gäbe (dwdl.de).

"Nicht jeder, der jünger als sein Durchschnittspublikum ist, muss dementsprechend handeln", schreibt Joachim Huber (Tsp. mit äußerst unscharfem Wille-Foto) angesichts der neben der 52-jährigen Wille noch aus drei 46, 53 und 53 Jahre alten Herren bestehenden neuen MDR-Führungsriege aus. Er erwartet bloß "ein Revolutiönchen".


Altpapierkorb

+++ "Geht der Spuk jetzt wieder los?" Jürg Altwegg berichtet auf der FAZ-Medienseite vom Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo, die Mohammed-Karikaturen abzudrucken wagte, und erklärt, was das Blatt sonst so macht: "Der Skandal ist permanent programmiert, die Aufmerksamkeit garantiert. Die Katholiken wurden einst genauso mit geschmacklosem Spott und blasphemischem Hohn überschüttet, und für Papst Benedikt gibt es nach wie vor keinerlei Pardon". Allerdings hilft diese garantierte Aufmerksamkeit nicht ökonomisch, "die Provokationen und Selbstzerfleischung haben die satirische Presse generell geschwächt". +++ Vorn im Politikteil ergänzt die FAZ, dass die Auflage "seit mehreren Jahren kontinuierlich zurück" ginge und "bei knapp 48.000 Exemplaren" liegt. "Vor einem Jahr erhöhte die unter chronischer Unterfinanzierung leidende, jeweils am Mittwoch erscheinende Wochenzeitung den Stückpreis von zwei auf 2,50 Euro." +++ Der gehackte Internetauftritt charliehebdo.fr ist derzeit weiter nicht aufrufbar. +++ Siehe auch SPON, Süddeutsche, reporter-ohne-grenzen.de. +++

+++ Julian Assange wird wahrscheinlich aus England nach Schweden ausgeliefert werden, wo freilich "noch nicht einmal Anklage gegen ihn erhoben" wurde. Und noch weiter in die USA? Einen Überblick über mutmaßliche internationale Rechtslagen hat sueddeutsche.de zusammengetragen. +++ "Doch selbst wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass Assange im Lager von Guantanamo Bay landet, haben die USA schon taktische Muskeln gezeigt. Die Pleite von Wikileaks geht direkt auf den unlauteren Druck der USA auf Kreditkartenfirmen zurück. Mehr ist gar nicht nötig, um einen Gegner in die Knie zu zwingen. 'Mission accomplished': Letzte Woche hat Wikileaks seine Handlungsunfähigkeit bestätigt", kommentiert Andrian Kreye auf der SZ-Meinungsseite und in seinem Feuilletonisten-Blog. +++ "Dass Assanges Heldengeschichte auserzählt ist, bedeutet allerdings nicht das Ende von Wikileaks und dem dahinterstehenden Prinzip: den Mächtigen das ständige Gefühl zu geben, dass sie ertappt werden können... . Egal, wie ein Verfahren in Schweden ausgeht, egal, ob Assange schuldig ist oder nicht: Das Prinzip Wikileaks wird überleben", würde die TAZ sagen. Oder hoffen. +++ Am allerdetailliertesten (Assange gestern mit "navy blue suit, pale blue tie and a Remembrance Day poppy"...) wie immer der Guardian. +++ Infos aus Assanges Sicht bündelt swedenversusassange.com. +++

+++ Ganz in der Nähe des Berliner Humboldt-Universität und des wahrscheinlich demnächst neu errichteten Berliner Schlosses mit seinem Humboldt-Content liegt am am Gendarmenmarkt das noch weitgehend unbekannte "Humboldt Carré", das jedoch 2012 bekannter werden könnte, wenn Thomas Gottschalk von dort seine neue beinahe tägliche ARD-Werberahmenshow sendet. Das berichtet exklusiv der Tagesspiegel. +++ "Flash! Der größte Moment deines Lebens" heißt eine ab heute abend ausgetrahlte neue Pro Sieben-Show mit Detlef D! Soost, den Marc Felix Serrao deshalb bzw. wegen eines Süddeutsche-Porträts des Privatfernsehveteranen in "einer Art Luxusgehege mit Vollpension" an der türkischen Riviera aufsuchte. +++

+++ Alexander Lebedews Zeitungen The Independent und London Evening Standard "werden künftig deutlich enger zusammenarbeiten" (Süddeutsche). +++

+++ Endlich mal wieder eine neue Talkshow: "Meinungsmacher" im hessischen Fernsehen. Am Anfang mit Bascha Mika als Moderatorin "warfen die drei Gäste ihre Meinungen zu Protest im Allgemeinen und zu den Griechen an sich in die Runde", fast wie in anderen Talkshows, informiert die BLZ (die über ihre Frankfurter Lokalausgabe ja ein wenig am Main verankert ist). +++ Als "astreine Finanzkrisenkomödie" empfiehlt Michael Hanfeld in der FAZ den Film "Männer ticken, Frauen anders", den das ZDF heute gegen Teil 2 der ARD-"Laconia" sendet. Und die TAZ interviewt Regisseur Rolf Silber in einem Tonfall, als hätte er recht. +++ Die Herren Gangloff und Tittelbach finden's auch gut. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

 

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