Günther Jauchs Premiere kommt gut an bei den Kritikern aus dem Springer-Verlag, nicht so gut bei @mmeckel und bei stern.de. Facebook wird zur Unterhaltungsplattform. Und der Frage nach der Staatsferne bei der Intendantenwahl des MDR geht epd nach
So, wir beruhigen uns. Es ist Zeit, herunterzukommen nach dem Megaknaller, mit dem der gestrige Sonntagabend endete: Günther Jauch moderiert jetzt in der ARD eine Talkshow – für Medientotalverweigerer kommt das völlig überraschend.
Für die Verweigerer zunächst die jüngsten Geschehnisse in der Rückschau – ohne Anspruch auf auch nur annähernde Vollständigkeit: Günther Jauch hatte Talkpremiere in der ARD. AnneWill, die nicht schlechtere Sabine Christiansen, wurde im Zuge dessen Frank Plasberg, Plasberg wurde terminlich Reinhold Beckmann, Beckmann wurde Donnerstag und blieb ein Beckmann, nur Sandra Maischberger blieb standhaft. Wir haben nun also skandalöse fünf statt unproblematische vier ARD-Abendtalkshows. (Detailinformationen erhalten Sie, wenn Sie die 82 zufällig ausgewählten neueren Talkshowartikel lesen, die in diesem Absatz verlinkt sind.)
Teil des Spiels ist, dass nun alle Fernsehkritiker versuchen, den eigenen Senf möglichst schnell dazuzugeben. Und wie stellt man das an, so eine Highspeed-Einordnung? Online. Also, wie war "Günther Jauch" mit Günther Jauch?
Tendenziell Mordsgemecker erstmal bei den Kollegen vom Twitternetz, Abteilung #jauch, siehe hier, da, dort, drüben und drunten.
Besonders erwähnenswert bleibt freilich der jetzt schon legendäre Tweet von der möglicherweise nicht ganz unvoreingenommenen @mmeckel (Screenshot links): "da freuen wir uns doch ab sofort darüber, dass es stern tv jetzt auch in der ARD gibt."
Jawoll, rufen wir da bekräftigend, nachdem wir uns alle Talkshows mit Chips und Sahne reingepfiffen haben. "Stern TV" gibt es jetzt wirklich in der ARD – und läuft immer mittwochs.
Im Großen und Ganzen weniger verständnislos geht es bei den Onlinepublikationen zu: Den wohl eher nicht so nett gemeinten Vergleich mit "Stern TV" zieht zwar auch Ulrike Simon für fr-online.de: "Jauchs mit Spannung erwartete Frage" – gemeint ist sicher die erste – "hätte unspektakulärer nicht sein können: 'Wie geht es Ihnen heute?' Wäre nicht das Logo des Ersten rechts oben auf dem Bildschirm zu sehen gewesen: Das hätte es (sic!) genauso gut 'Stern TV' sein können."
Ansonsten schreibt Simon dezidiert keine Schmähkritik:
"Ein präzise vorbereiteter Moderator, mehrere Gäste und mindestens so viele Einspielfilme, die gerade anlaufende Gespräche stoppen und zum nächsten Aspekt führen. Die Sendung wirkte, als liefe sie seit Jahren."
Ausgerechnet, wie der Fußballfreund sagt, Stern.de fand den Ex-"Stern-TV"-Moderator im Gegensatz dazu unroutiniert und "beeindruckend hölzern": "(N)ächstes Mal muss Fragen-Onkel Jauch sich ganz dringend etwas entspannen und gleichzeitig mehr trauen. Aber er hat ja auch drei Jahre Zeit."
"Hölzern", das Wort findet auch sueddeutsche.de zur Beschreibung von Jauchs Performance: "War es der Wechsel von der stets charmant lächelnden Anne Will, die den Moderationsstil von Günther Jauch im direkten Vergleich hölzern und geradezu unbeholfen wirken lässt?"
Ansonsten besteht allerdings großteils Einigkeit darin, dass das alles schon irgendwie so passte. Bei Bild.de war angesichts der Beteiligung des werten Vorstandschefs als Talkgast ohnehin kein allzu vernichtendes Urteil zu erwarten. Besonders die Antworten auf die Bild.de-Frage "Wie waren die Gäste?" fallen in der Onlinekritik kenntnisreich aus: 154 Zeichen opfert man für die, wie man sie früher nannte, Betroffene Nummer 1. Dann 149 Zeichen für die Betroffene Nummer 2. Für Jürgen Klinsmann 116 Zeichen. 111 Zeichen für Elke Heidenreich. 143 Zeichen für Peter Struck. 194 Zeichen für Jürgen Todenhöfer. Und 300 Zeichen für Springer-Chef Mathias Döpfner.
Es sind bekanntlich die kleinen Dinge, die wahre Größe ausdrücken.
Welt Online aus demselben Hochhaus fand's ebenfalls gut, zumal Döpfner als "die liberale Stimme" dabei war: "Günther Jauch hat, wie man so sagt, alles richtig gemacht." Noch besser, wie man so sagt – Abendblatt.de: "Emotion pur. Aber Jauch bleibt entspannt, kein Betroffenheitsnachfragen, wo’s nicht not tut. Kein dickes Pathos."
Och jo, und so geht's halt weiter: "solide" (ksta.de), Jauch "machte seine Sache gut" (DWDL: "Erst in der kommenden Woche, wenn es darum geht, den Spitzenpolitikern nach den Abgeordnetenhaus-Wahlen in Berlin mehr als nur die üblichen Floskeln zu entlocken, wird der Polittalker Jauch gefragt sein"), Lob auch von Focus.de mit kleinem Verweis auf die Gebührenverschwendung, man gehört ja nicht umsonst zu Burda; und hier bei evangelisch.de heißt es: "Jauch hat die Gesprächsführung stets fest in der Hand, lässt die Zügel kaum locker".
Und schließlich, als letzter der bisher genannten online (erst um 8.17 Uhr – herrje!): faz.net mit der Meinung, Jauch "war zur Premiere an diesem Sonntag wie eine der besseren Ausgaben von 'Stern TV' oder auch – wie Anne Will an einem guten Tag".
Fehlen noch ca. drei: Die taz schläft erstmal schön aus, bei Spiegel Online lässt man sich auf Schwanzvergleiche à la "Wer war der Schnellste?" für gewöhnlich ja nicht ein. Und freitag.de wird noch heute – so viel darf vielleicht schon mal verraten werden – meinen: "War halt ne Talkshow."
[listbox:title=Artikel des Tages[Das Altpapier vom Montag mit den besten Meinungen zu Günther Jauch##Die Jauch-Kritik von evangelisch.de##Die von faz.net##Die Medienkritikkritik von Küppersbusch (taz)]]
So viel zur Medienbeobachtung, und damit zur Beobachtung der Medien, die Medien beobachten: Fernsehproduzent und -beobachter Friedrich Küppersbusch, der die Medien beobachtet, die die Medien beobachten, wie wir beobachten, hat die naheliegendsten Gedanken in der taz in recht kleidsame Worte gehüllt:
"Die ARD hat aus Versehen eine Talk-Bundesliga erfunden, bei der nun fleißig gezockt, favorisiert und vor allem gedisst wird. Sie könnte die Quoten und Noten der Talks in einem Börsenlaufband unten durchs Bild laufen lassen. Was das an Zeilen auf den Medien- und Feuilletonseiten gratis bringt, hätte in Anzeigen ne Gebührenerhöhung benötigt. Riesenrummel für im Grunde anachronistische Formate".
Konstruktiv wird's auch noch, konkret zweierlei vermisst Küppersbusch:
"Kein/e TalkerIn hat sich getraut, ein großes One-on-one zu machen, also den Menschen der Woche gründlich, zugewandt und hart zu erforschen, das ist ne Marktlücke. Und die sozialen Bewegungen 2010 von Stuttgart bis Castor warten auf Bürgerdiskursformate, die es trotz aller Talks nicht gibt."
Letzteres ist ein wenig steil, "Jetzt red' i" im Bayerischen Rundfunk mag vielleicht nicht ganz hot shit sein – ein Bürgerformat ist es schon seit vielen Jahren.
Natürlich gibt es aber noch mehr Themen als Talks: Der MDR – für die Bayern unter den Lesern: Der MDR ist so etwas wie der BR, nur volksmusiknäher – ist Thema des Aufmachers von epd Medien (derzeit nicht frei online). Der MDR hat sich ja nun zuletzt auf vielfältige Weise aus der Reihe der ARD-Sender hervorgetan. Fehlte aber noch, dass er auch das ZDF zu übertrumpfen sucht. Über die Intendantenwahl (von der die Funkkorrespondenz sagt, sie werde "immer mehr zur Farce") schreibt Diemut Roether:
"Wie die CDU hier mit aller Macht versucht, ihren Kandidaten Bernd Hilder durchzusetzen, verheißt für den MDR nichts Gutes und weckt Erinnerungen an die schwierige Intendantensuche im ZDF vor zehn Jahren."
Und nicht nur daran, sondern auch an diesen anderen Fall, in dem es um die unter anderem von Roland Koch (CDU) betriebene Umbesetzung der ZDF-Chefredaktion ging, die "Affäre Brender":
"Dass das Verfahren der Intendantenkür beim MDR wenig mit Staatsferne zu tun hat, zeigte sich schon zu Beginn, als im Juni die sächsische Staatskanzlei (die zu diesem Zeitpunkt noch die Aufsicht über den Sender hatte) ein Gutachten bei dem Medienrechtler Christoph Degenhart in Auftrag gab. Darin kam dieser – auftragsgemäß – zu dem Schluss, dass die Intendantenstelle nichtöffentlich ausgeschrieben werden muss."
Ein unverblümtes machtpolitisches Manöver nennt Roether, was zur Einigung auf Hilder führte, und ärgerlich daran sei, dass solche Manöver
"denjenigen Recht geben, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Staatsfunk denunzieren. Wie staatsfern wird ein Intendant agieren, der weiß, dass er seinen Posten vor allem einer bestimmten Staatskanzlei verdankt, deren Chef sich gern als medienpolitischer Vordenker seiner Partei geriert?"
Wäre mal ein Thema für Jauch. Wäre. Irrealis.
Altpapierkorb
+++ Facebook: Til Schweigers Film "Kokowäh" ist "seit gut drei Wochen (...) der erste deutsche Spielfilm, der als Video-on-Demand in voller Länge bei Facebook aufgerufen werden kann. Knapp 3,50 Euro kostet der Zugriff, für 48 Stunden ist der Film dann verfügbar", schreibt die SZ im Medienseitenaufmacher (S. 15), der vom Wandel Facebooks zur Unterhaltungsplattform handelt: "Für die Filmbranche erschließt sich bei Facebook nicht nur ein zahlendes Publikum, sondern auch Zugang zu Informationen, die in dieser Präzision von keinem Marktforschungsunternehmen zu erheben wären". Und auch sonst häuften sich, so die SZ, "Meldungen, die darauf hindeuten, dass Facebook in nahezu jedem Feld, das digitale Unterhaltungsinhalte liefern könnte, Kompetenz erschließt oder strategische Partnerschaften eingeht" +++ Mehr Schweiger, mehr Facebook – im Spiegel: "Es" "rauscht" im "Blätterwald" – Schweiger könnte "Tatort"-Kommissar in Hamburg werden. "Offiziell will der NDR sich nicht zu der Personalie äußern." +++ Mehr Facebook: Das stinkt bekanntlich – findet jedenfalls Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner, die ja Facebook schon einmal durch ihre Abmeldung gezeigt hat, wo der Hammer hängt, und fordert ihre Regierungsbuddys zum Like-Button-Verzicht auf (Spiegel): "Nach eingehender rechtlicher Prüfung halte ich es für unabdingbar sicherzustellen, dass der Facebook-Button auf regierungsamtlichen Internetseiten in unserer jeweiligen Verantwortung nicht verwendet wird" +++
+++ Mehr von Datenkraken: in der taz. Es geht um die GEZ und ihre geplante Reform, die " an einem Nein in einigen Landtagen scheitern" könnte – konkret etwa in Schleswig-Holstein, im Epizentrum der Facebook-Ablehnung +++
+++ In Abwandlung von Jürgen Klinsmann bei Jauch: Der Australier an sich schaut immer nach vorne – und News International plant offenbar einen neuen Online- und Mobildienst (Guardian) +++
+++ Noch einmal Jauch: Der ViSdP-Aufmacher "Die Ära Jauch" wartet mit der prickelnden und talkshowtauglichen These auf: "Der Moderatorenwechsel ist ein Anzeichen für das Ende der Ära Merkel." Lassen wir einfach mal so stehen +++ Übrigens 11.9.: Wie die Zeitungen am 11.9. aufmachten, zeigt DWDL – und: Keine titelt mit Jauch +++
+++ Ums Netz herum: Noch eine Kritik der Zeitschrift Wired kommt von Michalis Pantelouris +++ Lücken bei Wikipedia benennt der Tagesspiegel +++
+++ Der Spiegel thematisiert Presseaufmacherfotos von Attentäter Breivik, die in Norwegen auf Kritik stoßen und schlägt den Bogen zur eigenen Winnenden-Berichterstattung: "Wie alle großen Meden berichtete auch der Spiegel über diese Verbrechen ausführlich. Die Redaktion ist davon überzeugt, dass die Öffentlichkeit Informationen über die Biografie solcher Täter braucht, um das kaum Begreifbare begreifen zu können. Doch bei Angehörigen der Opfer und Leser stieß die Titelgeschichte über Winnenden auf Kritik. Ihnen missfiel besonders, dass der Täter Tim K. auf dem Cover abgebildet war. Bei Anders Behring Breivik wählte der Spiegel für den Titel ein Konterfei aus, auf dem der Attentäter nur schemenhaft zu sehen war, was ebenfalls von Lesern kritisiert wurde." +++
+++ Im Fernsehen: Lob für "Ein mörderisches Geschäft" im Tagesspiegel und in der FAZ, Sonderlob für Darsteller Devid Striesow in der Samstags-SZ und in der Berliner Zeitung vom Montag, darin ohne allzu große Begeisterung für den "kruden" Film selbst +++ "Shahada" über Berliner Muslime bespricht die taz +++ Spiegel Online bespricht den ProSieben-"Glücksreport" +++ Die Berliner Zeitung blickt voraus auf den neuesten Überwachungsspaß aus einer Berliner WG +++ Und erzählt von Gaby Kösters Rückkehr in die Öffentlichkeit +++ Neue Folgen von Beavis and Butthead – bei US-MTV (SZ, S. 15) +++ Und "Entweder Broder" läuft in der zweiten Staffel (TSP) – es geht etwa um 9/11-Verschwörungstheorien – wozu noch das sonntaz-Interview mit taz-Mitarbeiter Mathias Bröckers zu erwähnen wäre, der davon die eine oder andere offensiv goutiert, aber im eigenen Haus damit nicht nur auf offene Ohren stößt. Auszug: "Du kannst doch nicht Behauptungen aufstellen und dann sagen, andere sollen nachprüfen, ob sie stimmen." Bröckers: "Ich war nie der rasende Reporter, der auf der Welt herumdüst und Leute interviewt." +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.