Fußball ist das am schwersten zu knackende Menschheitsgeheimnis. Danach kommt die Entwicklung der Weltwirtschaft. Dann die Usernamen im Netz. Und erst dann kommt die Adresse von Facebook Deutschland
Während das FAZ-Feuilleton am Samstag mitteilte, dass der Mensch, Maschinen sei Dank, in 20 Jahren unsterblich sein könne (online nur ein Teaser), war im FAZ-Sport zu lesen:
"Nur eine Maschine, die Fußball spielen kann wie ein Mensch, gibt es nicht. Und wird es nicht geben. Dieses Spiel ist nicht programmierbar." (Foto: dpa)
Nicht ungeil die Vorstellung, dass die Unsterblichkeit im Vergleich zu Fußball ein Kinderspiel ist. Und sie erklärt auch, warum die Leute um den ersten Bundesliga-Spieltag so ein Gewese machen. Nochmal die FAZ, diesmal die vom Montag:
"Gerhard Delling moderiert die ARD-'Sportschau' zum ersten Spieltag der Bundesliga so unauffällig und uninspiriert wie stets. 4,88 Millionen Zuschauer sind trotzdem dabei."
Denn was stört schon der Gerhard, wenn es um das letzte große Geheimnis der Menschheit geht? Das heißt, das letzte große Geheimnis neben dem anderen letzten großen Geheimnis: Wer steckt wohl hinter dem Pseudonym simoenchen84 im Internet?
Eine größere Diskussion entzündet sich seit Sonntag an Innenminister Hans-Peter Friedrichs im Spiegel verbreiteter Schnapsidee, jetzt vielleicht doch mal was gegen diese schreckliche Anonymität im Internet zu tun. Friedrich:
"Die Grundsätze unserer Rechtsordnung müssen auch im Netz gelten. In der demokratischen Auseinandersetzung streiten wir mit offenem Visier auf Basis unserer verfassungsmäßigen Spielregeln. Warum sollte das im Internet anders sein? Ich weiß, dass mir das in der Netzgemeinde wüste Beschimpfungen einbringen wird, aber warum müssen Fjordman und andere anonyme Blogger ihre wahre Identität nicht offenbaren? Normalerweise stehen Menschen mit ihren Namen für etwas ein. Warum nicht auch ganz selbstverständlich im Internet?"
Verflixt aber auch: Warum können nicht alle so offen, eindeutig und ehrlich agieren wie zum Beispiel @martinagedeck? Die bei Spiegel Online übersetzte Social-Media-Forscherin danah boyd – "auch dies ein Pseudonym", wie die Süddeutsche (S. 13) schreibt – argumentiert (wie schon in der Originalfassung am Freitag im Altpapierkorb verlinkt):
"Man garantiert keine Sicherheit, indem man Menschen davon abhält, Pseudonyme zu benutzen. Aber man schränkt die Sicherheit von Menschen ein, wenn man es tut."
Die taz kritisiert u.a. den Kontrollzwang der CSU; Sueddeutsche.de-Chef Stefan Plöchinger aber hat da noch ein praktisches Problem:
"Wie soll das geforderte 'Ende der Anonymität' überhaupt funktionieren, über die existierende Impressumspflicht für Blogs hinaus? Im Internet darf nur noch kommentieren, wer sich bei einem neuen Bundesnetzschreiberzentralregister eingetragen hat – mit mindestens PostIdent-Verfahren und Lichtbildkontrolle? Kontrollphantasien, die nicht mal China hat."
Der Tagesspiegel benennt die technische Möglichkeit, die Anonymität zu beenden, zumindest (ohne sie zu fordern):
"Theoretisch wäre es denkbar, Internetanbieter gesetzlich zu verpflichten, die Identität ihrer Kunden zu kontrollieren – deutsche zumindest. So konkret wird das Ende der Anonymität im Netz allerdings noch nicht diskutiert."
Karriere macht im Windschatten der Diskussion, deren Anlass neben Oslo auch Google+ heißt, die Site My.nameis.me, die von SZ, danah boyd und Udo Vetter bei Hyperland verlinkt bzw. genannt wird.
[listbox:title=Artikel des Tages[20 Jahre MDR (SZ)##30 Jahre Home-PC (taz)##20 Jahre WWW (BLZ)##Großer Burstah 50/52 (FAS)##danah boyd gegen den Klarnamenzwang (SPON)]]
Das eigentlich große Thema des Tages ist freilich ein anderes – die Zeitungen usw. machen quasi geschlossen mit den Geschehnissen der nahen Zukunft auf: "Furcht vor dem Crash" (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung), "Geht die Welt bankrott?" (Spiegel), "USA verunsichern die Börsen" (Süddeutsche Zeitung), "Unsicherheit über die Zukunft der Weltwirtschaft" (Frankfurter Allgemeine Zeitung), "Wer hat Angst vorm schwarzen Montag?" (taz), "Die Welt in Angst vor dem Crash" (Tagesspiegel), "Amerika lässt Weltbörsen zittern" (Berliner Zeitung). Usw.
Weltwirtschaft! Dabei erscheint ja dieser Tage auch der neue Roman von Charlotte Roche!
Einen kleinen Vorgeschmack auf den bevorstehenden medialen Ausstoß immerhin gibt es heute bereits. Die frühesten – oder habe ich was übersehen? – journalistischen Wortmeldungen gehören, erstens, dem good ol' Trendtrüffelschwein namens FAZ-Feuilleton, das der Rezension von Roches Buch den Aufmacher widmet ("Charlotte Roche hat ein Buch geschrieben, das uns weit über die Lektüre hinaus bewegt und beschäftigt. Das lässt sich von manch einem literarischen Meisterwerk nicht sagen").
Und, zweitens, dem von der Verlags-PR sicher nicht mit dem allerhintersten Interviewslot ausgestatteten Spiegel, in dem ein dementsprechend siebenseitiges Gespräch mit Roche (Fotos inklusive) zu lesen ist. In dem verlängert sie, etwa wenn sie über ihren Vorgängerroman spricht, ihren Beef mit dem Springer-Verlag in den Spiegel hinein:
"Ich habe alles gemacht, mit jedem gesprochen, der mit mir sprechen wollte, außer den Springer-Leuten."
Und jetzt alle mal raten, wer das Spiegel-Gespräch unter der Überschrift "Bestseller-Autorin Charlotte Roche outet sich als essgestört und alkoholkrank" zusammenfasst.
Was neben kulturindustriellen Selbstläufern bekanntlich auch immer zieht, sind Jahrestage. Hinter uns liegt quasi ein Geburtstagsparty-Wochenende: 30 Jahre Home-PC (taz), 20 Jahre MDR (Süddeutsche; mehr zum MDR im Altpapierkorb) 20 Jahre World Wide Web (Berliner Zeitung und sueddeutsche.de), 10 Jahre jetzt.de-Community (jetzt.de plus gedruckte Beilage in der SZ). Und da sind die ebenfalls am Wochenende gezündeten Mega-Burner (50 Jahre Mauerbau und 9 Jahre und 11 Monate 9/11) noch gar nicht dabei. 30 Jahre Chaos Computer Club stehen auch noch an.
Das Netz heute? Da wäre Katja Kullmanns Vorpreschen bei Facebook Deutschland zu erwähnen, über das sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Sonntagszeitung einen unterhaltsamen Text zum Thema Hassliebe geschrieben hat. Dessen Newswert sollte nicht überschätzt werden, er enthält aber eine Erinnerung an die eigentlich freilich seit eineinhalb Jahren bekannte Facebook-Deutschland-Adresse. Also, falls mal wieder ein unzufriedener User zufällig in Hamburg ist und zufällig, wie Kullmann, einen Presseausweis mithat: Großer Burstah 50/52.
Und what else? Zum Beispiel noch mehr zur "Sportschau". Zu Handyknackern. Und zu Murdochs. Im Altpapierkorb.
Altpapierkorb
+++ Topquoten für den Fußball zum Bundesligaauftakt (kress) – allerdings "noch viel Luft nach oben", wie für die eingangs bereits zitierte FAZ (S. 27) der Kollege miha. befindet, jedenfalls bei der "Bundesliga im Ersten" +++ Noch mehr Kontrolle des Netzgeschehens führte zu 36 Geisterspielen in England, so die SZ: Der Lizenzierungsvertrag, "den Zeitungen und Nachrichtenagenturen mit der Premier League und der Football League (2., 3. und 4. Liga) abschließen müssen, um in den Stadien akkreditiert zu werden", beinhaltet "sehr restriktive Nutzungsbedingungen und Auflagen, die nun von der Newspaper Publishers Association (NPA), dem Dachverband der britischen Zeitungen, und den Agenturen nicht mehr akzeptiert werden. Aktuelle Zwischenmeldungen ('liveupdates') via Twitter oder andere elektronische Dienste sind den Reportern beispielsweise nur in neun penibel festgelegten Zeitfenstern erlaubt" +++
+++ Und Fußballrechtefragen bleiben bei Medienjournalisten auch beliebt: Die SZ schrieb am Samstag, das ZDF wolle eventuell auf die Rechte, die DFB-Pokal-Spiele auszustrahlen, verzichten: "Das Zweite hat sich mit dem Einstieg ins Champions-League-Geschäft sehr angestrengt. Von 2013 an sind nach dem dann in Kraft tretenden neuen Rundfunkstaatsvertrag Sponsoring, Gewinnspiele oder andere trickreiche Werbeformen nach 20 Uhr nicht mehr zulässig. Eine Refinanzierung der Kosten ist also nicht einmal mehr teilweise möglich" +++
+++ Besagter 20-Jahre-MDR-Jubiläumsauftritt am Wochenende in der, wiederum, oben bereits verlinkten Süddeutschen: "die Nation verdankt dem Sender Großgestalten wie Florian Silbereisen und Achim Mentzel. Danke MDR" – that's nice. Doch porträtiert wird der Sender weniger als Inhaltslieferant denn als Skandalproduzent: "Wenn Beobachter von draußen (...) zurückblicken, reden sie meist über Politfilz, geschäftliche Sauereien, übelste Geldgeschichten und Stasi-Verwicklungen der Sender-Mannschaft." Beispiel: "Derzeit ist der langjährige Unterhaltungschef Udo Foht abgetaucht, der sich selbst 'König der Volksmusik' nannte. Foht werden merkwürdigste Geldtransfers vorgeworfen, deren Sinn und Zweck nicht ganz klar sind" +++ Heute nun die Fortsetzung im Spiegel: In der Foht-Sache fordere eine Schweizer Produktionsfirma vom MDR eine Million Euro (laut MDR deutlich weniger) Schadenersatz; Foht habe eine dann nie produzierte Talkshow in Auftrag gegeben +++ Die SZ berichtet derweil von einem Streit um die Nachfolge von Intendant Udo Reiter innerhalb der CDU +++ Wahl und Affäre auch beim ORF (Berliner Zeitung sowie FAZ, S. 27) – es geht um Verflechtungen mit der Politik +++
+++ Stefan Niggemeier bloggt über keinen weiteren Skandal bei der ARD, den die Kollegen von turi2 nicht aufgedeckt haben +++
+++ Die Zeitungswirtschaft boomt. Also na ja, kleine Zuspitzung, aber es läuft nicht schlecht in Sachen Paywallkonzept der New York Times fürs Netz, das leicht zu umgehen ist, und das trotzdem "die Dummen, die Faulen und die Netten" akzeptieren – und zahlen (FAS) +++
+++ Und wo wir gerade schon auf halbem Weg sind: Kommen wird zu Murdochs. Die Ausdehnung der Abhöraffäre auf die USA thematisiert die Frankfurter Rundschau / Berliner Zeitung +++ Murdoch sen.s Tochter Elisabeth, 42, will derzeit nicht für den Verwaltungsrat von NewsCorp kandidieren. Sie war als Nachfolgerin ihres Vaters gehandelt worden (u.a. Wall Street Journal, deutsch etwa BLZ) +++ Wer bringt Murdochs Leuten – und natürlich auch allen Journalisten der Konkurrenzblätter, die es wissen wollen – bei, was sie in ihren Beruf brauchen? Dazu, also etwa zum Phone-Hacking, die taz +++
+++ Weitere Themen: Was das Innenministerium wohl zu Global Voices sagen würde? Die SZ widmet dem Blog-Netzwerk mit der "alternativen Medienagenda" den Medienseitenaufmacher +++ Der Tagesspiegel besucht die deutschsprachige "Griechenland Zeitung" in Athen +++ Und greift die SZ-Geschichte über den ins Spätprogramm verschobenen "Polizeiruf 110" auf +++ Im ansonsten heute recht sommerlich kurz kommenden Fernsehprogramm: Der WDR macht in einer Dokureihe einen Konzern- und Produktcheck (BLZ) +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag