Urgroßmutter, Beuys, Jonglierkünste

Urgroßmutter, Beuys, Jonglierkünste

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr.

Der brutalstmöglich informierte Medieninteressierte hat natürlich sofort erkannt, dass dieser Teaser nicht zur Grundausstattung des Altpapier gehört, sondern die, wenn das gewagte Bild im Schriftmedium erlaubt ist, Erkennungsmelodie von Ronnie Grobs Medienrundschau "6vor9" ist. Sie erscheint, wie der Name sagt, täglich 8.54 Uhr auf dem Bildblog. Dorthin war Grob seit dem Ende des Blogs Medienlese umgezogen, die Älteren werden sich erinnern.

Heute wird 6vor9 fünf Jahre alt, und so wollen wir Tribut zollen und die besten Wünsche senden durch Anlehnung an die "6vor9"-Form hier.

1. "Die Mauermacher"
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Kurt Sagatz bespricht das ARD-Dokudrama "Geheimsache Mauer", das heute abend gesendet wird. Es ist in dreijähriger Arbeit entstanden. Diese Arbeit hat unter anderem Jürgen Ast geleistet, der in der DDR aufgewachsen ist und wegen des Mauerbaus seine in West-Berlin lebende Urgroßmutter nie wieder gesehen hat. Überrascht ist Sagatz von manchem Zeitzeugen: "Verwunderlich, wie viele auch heute noch überzeugt sind von der Richtigkeit und Wichtigkeit ihres Handelns."

2. "Sender, hört die Signale!"
(ftd.de, Bernhard Hübner)
Bernhard Hübner wirft anlässlich des Starts einer neuen Generation des Digitalradioformats DAB einen Blick zurück auf die Anfänge der Technik, die bereits im Jahr 1995 versprochen wurde. Er würdigt das Durchhaltevermögen und liefert auch Zahlen in seinem Beitrag: "Zumindest am Geld wird das Projekt nicht scheitern. 132 Mio. Euro Gebührengelder flossen zwischen 1997 und 2004 in das Digitalradio. Nun wurden noch einmal 42 Mio. Euro lockergemacht."

3. "Sonne statt Reagan"
(tagesspiegel.de, Thomas Gehringer)
Thomas Gehringer hat die zweiteilige Dokumentation "Pershing statt Petting" über Nachrüstung und Friedensbewegung, die heute abend und am nächsten Dienstag im ZDF läuft schon gesehen. Sie wurde von Sandra Maischberger und Jan. N. Lorenzen gemacht, der Protagonist ist Helmut Schmidt: "Wenn Deutschlands Lieblings-Altkanzler im Fernsehstudio messerscharfe Analysen und blauen Dunst abliefert, sind entweder Reinhold Beckmann oder Sandra Maischberger nicht weit." Holger Schmale hat in der Berliner (noch nicht online, Seite 26) den Film ebenfalls gesehen und liefert einen interessanten Hinweis auf den seit Jahren schwelenden Schulenstreit, ob im allergrößten Joseph-Beuys-Video "Sonne statt Reagan" ganz links Wolf Maahn oder Wolfgang Niedecken zu sehen ist – Beuys wurde von letzterem, wie Schmale schreibt, dafür kritisiert. Das spricht für Wolf Maahn. Oder eine Scham, die "tief begraben liegt" (Günter Grass).

4. "Der Lautsprecher ruft, und alle sitzen auf den Ohren"
(sueddeutsche.de, Stephan Speicher)
Stephan Speicher wundert sich, dass Heiner Geißlers Goebbels-Zitat in der letzten Verhandlungsrunde zum Stresstest von Stuttgart 21 ("Wollt ihr den totalen Krieg?") nicht für Aufregung sorgt: "Vielleicht hatte das Erstaunen über diese Wendung durch Geißlers Fügung die Gemüter so sehr belegt, dass Ärger über die Goebbels-Anspielung, in der sich eine ziemliche Verachtung ausdrückte, nicht hochkam. Aber vielleicht sind die provozierende Bemerkung und die gelassene Reaktion darauf auch ein Zeichen nachlassender historischer Empfindlichkeit." Joseph Beuys singt in dem oben genanntem Videoclip übrigens auch von Reagans "Endsieg". Dazu unbedingt das DLF-Interview von Tobias Armbrüster mit Heiner ".... hallo? ..." Geißler hören, das demnächst auf der dradio.de-Seite online gehen müsste ("Informationen am Morgen").

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Die Lage der FR (FAZ)##Der Stand in Sachen Murdoch (TAZ)##Die Berliner Firma und Udo Foht (TSP)##Fragen, nach Norwegen (TAZ)]]


5. "Samuel Koch auf dem 'Traumschiff'?"
(ksta.de, dpa/afp)
Im Kölner Stadt-Anzeiger ist von einen Angebot an den Schauspielschüler Samuel Koch zu lesen, der im Dezember in der Sendung "Wetten, dass...?" beim einem Stunt verunglückte und seither querschnittsgelähmt ist: "Der Produzent der Serie, Wolfgang Rademann, sagte der „Bild“-Zeitung vom Montag: 'Samuel beeindruckt mich mit seiner starken Energie und seinem positivem Denken. Er ist ein sehr sympathischer Junge. Ich werde eine passende Rolle für ihn finden.'"

6. "Bildblog-Links: fünf Jahre 6vor9"
(meedia.de, Marc Reichwein)
Marc Reichwein gratuliert "6vor9" und seinem Macher Ronnie Grob zum Geburtstag. Er verweist auf die historischen Vorläufer von "6vor9": "Esther-Beate Körber hat in einer Fachstudie gezeigt: Schon das 18. Jahrhundert kannte (und gebrauchte) so genannte 'Zeitungsextrakte', um den überbordenden Markt der frühneuzeitlichen Publizistik zu kompensieren." Die allmorgendliche Arbeit von Grob (Dauer: "'Das sind jeden Tag 1, 2, 3 oder 4 Stunden.'") beschreibt Reichwein, der sich einen Namen gemacht als Autor des Feuilleton-Blogs "Der Umblätterer" und der sprachkritischen Welt-Kolumne "Sprechen Sie Feuilleton?", mit einem Bild aus der analogen Welt: "Wenn Links Bälle sind, die man sich übers Internet zuspielt, dann gilt die Erkenntnis: Ab und zu gut werfen und fangen kann jeder. Tagtäglich eine Performance mit immer sechs Bällen abliefern, fünf Mal die Woche – das verlangt echte Jonglierkünste."


Altpapierkorb

+++ Und damit zurück ins Funkhaus, also business as usual hier. Peter Lückemeier vom Frankfurter Lokalteil der FAZ widmet sich dem Konkurrenten FR, dem es nicht gut geht und das seit Jahren schon. "Das Thema 'Leiharbeit' steht dagegen auf einer anderen Seite: Sehr wahrscheinlich werden einige der 58 Arbeitsplätze, die betriebsbedingt entfielen, durch Leiharbeiter besetzt werden, alles andere wäre wirtschaftlich nicht sinnvoll. Mit dem Ergebnis, dass es Zwei-Klassen-Redaktionen gibt. Aber die wären nicht nur bei der 'Rundschau' zu beklagen, auch in anderen Verlagen gibt es ältere Redakteure mit besseren Verträgen als ihre später, im Zeichen der Krise eingestellten Kollegen." +++

+++ Die SZ (Seite 15) berichtet von den verhaltenen Reaktion der Murdoch-Presse in den USA über den Murdoch-Skandal in merry old England: "CNN berichtete im selben Zeitraum (in den ersten zehn Tagen nach Bekanntwerden der Affäre, AP) 35 Minuten, MSNBC 18 Minuten lang - und Fox News knapp vier Minuten." +++ Jon Stewart hatte ja schon vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass die Murdoch-Medien einen Skandal vernachlässigen, der eigentlich wie für sie gemacht ist. +++ Den neuesten Stand in der Angelegenheit Murdoch fasst Ralf Sotschek in der TAZ zusammen. +++

+++ In der wievielten jüngsten MDR-Affäre (siehe Altpapier von gestern) um einstigen Unterhaltungschef Udo Foht ist ein Ende noch nicht abzusehen. Der Tagesspiegel, die Berliner, SZ (Seite 15) und FAZ (Seite 33) berichten. In letzterer heißt es: "Beim MDR hat man den Eindruck, auf ein System gestoßen zu sein, von dem es nach vorläufigen Erkenntnissen heißt, dem Sender sei dabei kein Schaden entstanden." Das mit Schaden, der nicht entstanden ist, wenn sich in diesem öffentlich-rechtlichen Sender offenbar jeder aus der Kasse bedienen kann, wenn er nur will, bedarf dann aber schon noch einer Erklärung. +++

+++ Mely Kiyak schreibt in der TAZ über blöde und richtige Fragen an Muslime nach dem Attenat in Norwegen"Der Umgang der deutschen Öffentlichkeit mit der norwegischen Tat beschränkt sich auf die Frage, ob man weiterhin über Einwanderung berichten darf wie bisher. Ohnehin beschäftigt sich die Medienöffentlichkeit nie so sehr mit sich, wie wenn sie meint, über Einwanderer zu reflektieren."

+++ Die TAZ ist entsetzt von der neuen Kabel-1-Doku-Jobtausch-Soap, in der zwei Kfz-Mechaniker aus Namibia an die Stelle von zwei Kollegen aus Gelsenkirchen treten und umgekehrt: "Die Rollen sind klar verteilt: Die deutschen Arbeiter und ihre Lebenskultur werden mit Perfektion und Luxus gleichgesetzt, während den Austauschkandidaten aus ärmeren Ländern wie Namibia oder Indien steinzeitartige Züge verpasst werden." Vielleicht übersieht der Text bei allem neokolonialen Chauvinismus aber auch die eigentliche Botschaft – "Und nach nicht wirklich getaner Arbeit verweigern sie auch noch die afrikanische Küche: der Pansen-Eintopf bleibt unangerührt. Anders ergeht es ihren afrikanischen Kollegen im luxuriösen Deutschland: Schnell lernen sie, mit den deutschen Techniken umzugehen, und auch die delikaten Lachsbrötchen im schicken Einfamilienhäuschen des Autohaus-Chefs schmecken"Deutsche nicht integrierbar. +++ In der Berliner stellt Peer Schader Markus Koch vor, der einen Witzeversandhandel für privater Radiosender betreibt. +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.
 

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