Das Relevanz-Experiment

Das Relevanz-Experiment

"Focus"-Chefredakteur Wolfram Weimer ist schon wieder weg. Wer ist schuld, Hubert Burda, Salonkonservativismus, die Hasen? Und wer ist eigentlich Uli Baur?

Am Tag, an dem der Verlag Hubert Burda Media sehr früh morgens die erfolgreiche Verleihung seines Preises namens "New Faces Award Fashion" verkündete ("In der neu geschaffenen Kategorie 'Bestes Schuh-Design' konnte Finalist Simon Barth überzeugen"), gestern, verkündete er knapp zehn Stunden später auch den Abschied des Chefredakteurs seiner wahrscheinlich, nun ja: relevantesten Zeitschrift: Wolfram Weimer, eigentlich erst vor einem Jahr unter großem Hallo angetretener Chef beim Focus, der das Heft "auf einen Kurs von höherer journalistischer Relevanz, besonders in politischen und ökonomischen Zusammenhängen" bringen wollte und der Mitteilung zufolghe auch sollte, geht schon wieder. Sein Nachfolger ist sozusagen Uli Baur, der schon seit eh und je Co-Chefredakteur des Heftes ist, den bloß außerhalb der Münchener Redaktion kaum jemand auf dem Schirm hatte.

Die intimsten Kenner der Vorgänge beim Focus sitzen bekanntlich ebenfalls in München. "Der größte Verlierer ist Focus", schreibt heute auf der Medienseite der Süddeutschen Marc Felix Serrao und liefert damit eine nutzwertige Zuspitzung der Einschätzung "Für Weimer, aber auch für den Focus und seinen Verleger Hubert Burda ist es eine peinliche Niederlage" in seinem gestrigen Online-Artikel. Serrao hatte schon letzte Woche Vorfreude auf den Chefredakteurs-Showdown geweckt (und eigentlich auch schon im Januar, angesichts eines "runden, gut gebräunten Frauenhinterns", der im vierten Stock der Focus-Redaktion an der Wand hängt oder hing; vgl. Altpapier).

Heute also identifiziert Serrao drei Schuldige an der lang schon beobachteten Eskalation: erstens Helmut Markwort, den Focus-Gründer und ungefähr einzigen Träger des Titels "Erster Journalist" in Deutschland, der ja schon vor einem Jahr, als Weimer nach langen Vorankündigungen endlich anfing, nicht loslassen mochte. Zweitens den Verleger Hubert Burda, der "so kunstsinnig wie konfliktscheu" sei und zugeschaut habe, "wie sein alter Weggefährte Markwort den Neuen Stück für Stück demontiert habe". Sowie drittens den alten Neuen selbst, Weimer: Fraglich sei, "ob jemand, der sich so lange so behandeln ließ..., wirklich die nötige Durchsetzungskraft hat, um ein solches Heft zu führen".

Wer derzeit bei Focus-Redakteuren anruft, hört offenbar allerhand Schlechtes über ihn. "Die, die Weimer bei Burda schätzen ...sind nicht mehr viele", schreibt Serrao. Das läge sicher auch daran, dass "Redaktionen großer Verlage ...Haifischbecken" sind, habe aber schon auch Gründe:

Weimer "sei zu selten in der Redaktion gewesen, heißt es jetzt. Er habe unfähige 'Offiziere' eingestellt; hier fällt vor allem der Name der Kulturchefin Christine Eichel. Er habe mit Interviews, in denen er behauptete, die Redaktion 'wachgeküsst' zu haben, alle nur genervt."

Was für Interviews waren das? Dieses in der Zeit aus dem April vor allem, in dem Weimer u.a. sagte:

"Die Redaktion hat unangenehme Etappen hinter sich, aber nun fühle ich mich ein wenig, als hätte ich das Dornröschen wachgeküsst. Die dornige Zeit liegt hinter mir."

Ganz wochenaktuell teilen übrigens die Zeit und der Focus ihr nutzwertiges Titelthema Selbstheilung, aber das nur am Rande. Vor dem Focus jedenfalls liegt nun erst recht eine dornige Zeit, würde Serrao sagen, schließlich habe das Blatt "anhaltend schwache Absatzzahlen".

Das wiederum würde Michael Hanfeld nicht so sagen. Dass "das Magazin gerade wieder Tritt fasst", schrieb er gestern bei faz.net. Heute schafft es die Nachricht "'Focus'-Chefredakteur Weimer abgelöst" gar auf die FAZ-Titelseite (wobei die Formulierung unterstreicht, dass niemand den diplomatischen Sprachregelungen der Burda-Pressemitteilung Glauben schenkt, sondern alle der am klarsten vom Horizont-Chefredakteur Jürgen Scharrer formulierten Ansicht, dass eben Markwort Burda "überzeugte,... Weimer in die Wüste zu schicken").

Auf der Medienseite 31 singt Hanfeld heute (nachdem er mit Burda-Verlagsvorstand Philipp Welte sprach und hörte "dass wir den Kurs der inhaltlichen Erneuerung mit einem Piloten am Steuer fortsetzen", schließlich sei "bei schwierigen Repositionierungen besser, nur einen Piloten und erfahrenen Blattmacher am Steuer zu haben als zwei Piloten, die zu viel Energie in Diskussionen verschwenden") ein Loblied auf den verbliebenen Piloten, "der in der Redaktion ohne Zeitlimit seine Arbeit und keine Sprüche macht" (anders als Weimer), den "last man standing" Baur:

"Feststellen darf man aber wohl, dass man bei Burda vielleicht erst jetzt und also reichlich spät erkennt, was man an Uli Baur hat. Er hat sich von der Rolle des Prätorianers unter dem Magazingründer und Herausgeber Helmut Markwort längst emanzipiert. Er hat schon immer das Blatt gemacht und ist im vergangenen Jahr in die Rolle des Chefredakteurs endgültig hineingewachsen. Er hat die Redaktion geführt und hat sie auch hinter sich, ist nach außen hin aber nie großsprecherisch aufgetreten."

[listbox:title=Artikel des Tages[SZ über Weimers Abschied##FTD über Weimers Abschied##Damals in der Fleet Street... (Tsp.)]]

"Weimer redet, Baur macht", formuliert das knapper der Tsp., auf den wir unten zurückkommen. "An vermeintlichen Intrigen" sei Weimer nicht gescheitert, schließt Hanfeld. Doch wolle Hubert Burda weiterhin eine Doppelspitze, sodass zumindest das Branchennischen-Publikum sich auf weitere zumindest vermeintliche Intrigen freuen kann.

Was in der Dumont-Presse (Berlin/ Köln) Joachim Frank und Ralf Mielke, selbstredend nicht als eigene Einschätzung, sondern als indirektes Zitat ungenannter Kritiker, Weimers "Salonkonservatismus-Trip" nennen, formuliert heute, während die TAZ übrigens quasi noch nix berichtet, die FTD zupackender:

"Um zu sehen, wie wenig Wolfram Weimer zum 'Focus' passt, reichte schon ein Besuch in seinem Chefredakteursbüro. Dort stapelten sich Kunstbildbände. Hinter dem Schreibtisch standen wuchtige Biografien über Kleist, Nietzsche und Bismarck. Es wirkte eher wie das Studienzimmer eines Kulturkritikers als wie die Schaltzentrale eines modernen Nachrichtenmagazins. Hier plante Weimer vor einem Jahr den Umbau des bodenständigen Anti-'Spiegels' zum intellektuellen Beiblatt deutscher Bürgerlichkeit. Der Burda-Verlag wagte ein Experiment - und beendete es am Dienstag spektakulär."

Auch die in BLZ/ KSTA ebenfalls aufgeführte Info, Weimer habe "bei den harten Zahlen durchaus kleinere Erfolge vorzuweisen", relativiert FTD-Autor Bernhard Hübner: "Der 'Focus' verkaufte sich zuletzt immer dann gut wenn der Verlag nachhalf", zum Beispiel durch 1-Euro-Verkaufspreise.

Um sozusagen auf das anfangs erwähnte Motiv des Hinterns zurückzukommen: Den Aspekt der "Hasen" bringt schließlich noch einmal (mit einer Episode, um die es inhaltlich schon in der SZ letzte Woche ging) Sonja Pohlmann vom Tagesspiegel ins Spiel:

"Zum lautstarken Streit sei es zwar nicht gekommen, dafür hätten sie", also Weimer und Baur, "aber versucht, ihre Macht über die Redaktion auszuspielen. So wollte Weimer keine 'Hasen', wie Cover-Girls angeblich redaktionsintern genannt werden, auf dem Titel. Kaum sei er Anfang Mai im Urlaub gewesen, habe es prompt ein großes 'Urlaub-Spezial: 36 Seiten zum Träumen' mit Bikini-Mädchen gegeben."
 


Altpapierkorb

+++ "Manchmal macht eine gewisse Tessa einen Fehler bei Facebook, und schon merken wir wieder, dass Deutschland doch noch eine Jugend hat": Heute im FAZ-Feuilleton auf S. 29 mal wieder ein großes Internet/ Netzwerke-Feuilleton unter der hübschen Überschrift "Ich weiß, was du bald mögen wirst". Jörg Wittkewitz zieht Verbindungen zwischen Günther Anders, in dessen Sinne uns "Verbiederung" drohe, und dem zeitweiligen Nannen-Bambi-Preisträger René Pfister (Dass "wir alles in eine Scheinnähe rücken", ungefähr das "betrifft auch Journalisten, die gern personalisieren und jede Geschichte besonders pfiffig finden, wenn sie harte Sachthemen auf eine Person zuschneiden"). +++

+++ "Der Massenmörder Anders Breivik, der sich als Tempelritter in Szene setzt, liefert den Extremisten die Bestätigung für ihre gebetsmühlenartig wiederholte These, dass sich der Westen auf einem Kreuzzug gegen den Islam befinde": Joseph Croituru unternimmt für die FAZ eine Medienschau im arabischen Raum zum Thema der norwegischen Anschläge. +++

+++ "Doch sollte man gerade als vermeintlicher 'Experte' die Tugend pflegen, von dem, was man nicht weiß, zu schweigen und - wenigstens für ein paar Stunden - das Erklär-Vakuum auszuhalten, anstatt es mit sich im Nu selbst widersprechendem Bramarbasieren zu füllen": Da springt, ebenfalls auf der FAZ-Medienseite 31, Michael Hanfeld Stefan Niggemeier in seiner Kritik an Elmar Theveßen (siehe Altpapier gestern, vorgestern) zur Seite. Zumal dabei ja auch "die Öffentlich-Rechtlichen einmal mehr die Glaubwürdigkeit vermissen lassen, die sie sich selbst im vermeintlichen Unterschied zu privaten Konkurrenten zumessen". +++

+++ Raffiniert gebaut, wenn man so will, ist heute die Papier-Medienseite der Süddeutschen: Über dem Aufmacher, also Serraos Weimer-Text, prangt ein Galomourfoto, das Weimer und Markwort neben Hubert Burda und seine Frau Maria Furtwängler zeigt. Rechts daneben der zweitlängste Artikel der Seite, der um die grandiose "Tatort"-Innovation kreist, dass gleich zwei zwei mal 90-minütige "Tatort"-Filme gedreht werden, einer von WDR und MDR gemeinsam und einer vom NDR mit Furtwängler. +++ Indes ist die Verschiebung der bayerischen "Polizeiruf 110"-Folge auf einen Termin nach 22.00 Uhr heute Thema in der BLZ. "Nachtprogramm" hört man allerdings selten für diesen, äh, time slot. +++ Um 23.00 Uhr in der ARD, allerdings kein leichter Stoff: die Dokumentation "Verlorene Ehre" über den "Ehrenmord" an Hatun Sürücü. Die TAZ empfiehlt sie eindrucksvoll, u.a. wegen eines Gesprächs mit dem verurteilten Mörder Ayhan Sürücü, der sich offenbar an einer Kinorolle Al Pacinos orientiert. +++

+++ "Wie bekomme ich eine große Geschichte in den Block, und wie donnere ich in den paar Stunden der Pub-Öffnungszeiten möglichst viele Drinks die Kehle runter?" Aus anderen, womöglich ja größeren Zeiten des Journalismus (nicht, weil es das Internet noch nicht gab, sondern weil die Fleet Street noch Zeitungsviertel war und "The Rup" gerade erst anfing, sie plattzumachen), aus seinen Erfahrungen im britischen Pressewesen anno 1986 berichtet ausführlich Tewe Pannier im Tagesspiegel in Form eines "Boulevard-Reports". +++

+++ Superlative gehen immer im Internet. Die "schlechteste Kolumne der Welt" und wohl auch deren "schlechtestes Feuilleton" schreibt die TAZ-Kriegsreporterin der Welt am Sonntag zu (wobei einen Tick unklar bleibt, ob sie "Welt" nun global meint oder auf die vielen Zeitungen von Springers Welt-Gruppe bezieht). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.
 

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