Medienmogul, Helmut Kohls Trauzeuge, Konkurrent Rupert Murdochs, Rechtehändler, Kaufmann, Konservativer, undurchschaubar, Katholik, Franke, Netzwerker, Spieler: Leo Kirch ist gestorben – ein Überblick über die vielen Nachrufe
Manchmal gibt es Zufälle, die man aus jedem Drehbuch herausstreichen würde, wenn sie jemand erfände.
Dass Leo Kirch in jenem Moment die Aufmerksamkeit ein letztes Mal an sich reißt, in dem der journalistische Ausstoß von seinem Weggefährten Helmut Kohl und, vor allem, seinem alten Konkurrenten Rupert Murdoch beherrscht werden (mehr im Altpapierkorb), ist so eine Koinzidenz. Bis zuletzt, kann man nun also notieren, rang Leo Kirch mit Murdoch um die Vormachtstellung auf dem Medienmarkt. Am Ende hat er sich noch einmal vorbeigedrängelt.
Gestern, am Donnerstag, wurde der Tod des fränkischen Fernsehunternehmers bekannt. Von ca. 13.40 Uhr an war er Thema des Tages: Seinen Tod vermeldeten, teilweise per Eilmeldung, die wichtigsten journalistischen und halbsolchen Nachrichtenportale auf dem Aufmacherplatz, von bild.de bis spiegel.de, nicht zu vergessen taz.de, faz.net, tagesspiegel.de, welt.de, sueddeutsche.de, stern.de, focus.de, heute.de, tagesschau.de und – möglicherweise der Grund, warum all die exklusiven Geschichten bei den Privaten nicht so gut liefen, falls sie nicht gut liefen – die "Tagesschau"-App.
Nur die Mainpost aus Kirchs Heimatstadt Würzburg machte im Flashteaser mit einem Stromausfall im knapp 350 Kilometer entfernten Hannover auf – Lokaljournalismus hat ja bekanntlich seine eigenen Gesetze, welche auch immer es sein mögen. Und auch der regional benachbarte Fränkische Tag vermeldete Kirchs Tod erst an Position drei.
Was, alles in allem, wohl nur die überregionale Bedeutung des Mannes unterstreicht.
[listbox:title=Artikel des Tages[Kirch und das Ende der Nachkriegszeit (SZ)##Der Inbegriff des Medienmoguls (FAZ)##Der Kaufmann (FAZ)##Der Bescheidene vom konservativen Rand (taz)]]
Die unterstreichen dann auch all die ausführlichen Nachrufe, die den Eilmeldungen folgen, und die einen fast dazu verführen könnten, die allgemeine Aufregung für die eigene zu halten. Wenn sich die Relevanz des Menschen in der Platzierung, Länge und Zahl der Nachrufe bemisst, dann ist hier jedenfalls einer der wichtigsten Menschen der jüngeren deutschen Geschichte gestorben.
Gemessen daran blieb er freilich zeit seines Lebens von einem Publikum, das nicht vom Fach ist (und auch von einem Publikum, das vom Fach ist), relativ undurchschaut. Das konstatiert auch der Tagesspiegel (Seite 3):
"Kaum ein Mensch war hierzulande über viele Jahre so einflussreich und gleichzeitig so unsichtbar. Er lenkte sein Medienreich aus dem Hintergrund. Ob es ein scheuer Wesenszug des am 21. Oktober 1926 als Sohn eines fränkischen Klempners und Nebenerwerbswinzers geborenen Mannes war oder kühle Berechnung, die ihn öffentliche Auftritte meiden ließ, kann kaum jemand sagen."
Stefan Niggemeier schreibt für die FAZ (die nicht nur auf der Medienseite 35, sondern auch auf den Seiten 1, 9 und 13 berichtet, etwa über den nicht beendeten Prozess gegen die Deutsche Bank und Rolf Breuer) ebenfalls über die Undurchsichtigkeit Kirchs – und filtert dabei das Grundsätzliche heraus:
"Kirch wurde zum Inbegriff all dessen, was einen Medienmogul ausmacht: Skrupellosigkeit, Intransparenz, eine politische Agenda, Machtgier. Er weigerte sich anzuerkennen, dass mit der Macht über die Öffentlichkeit auch die Pflicht einhergeht, öffentlich Rechenschaft abzulegen, und wurde das perfekte Feindbild – zu recht und als Überhöhung. Investigative Reporter versuchten, die kunstvollen Verschachtelungen zu durchdringen, durch die Kirch über Jahrzehnte das wahre Ausmaß seines Einflusses zu verschleiern versuchte. Die abstrakte Gefahr großer Medienkonzentration bekam durch ihn ein konkretes Gesicht. Vor allem durch seine Machtübernahme beim Springer-Konzerns wurde offenbar, welche Möglichkeiten ein publizistischer Riese hätte, der alle Ebenen der Verwertungskette beherrschte: die Produktion der Inhalte, den Vertrieb, die Synchronisation, die Vermarktung, die Ausstrahlung – bis hin zur Promotion in anderen Medien des Konzerns."
Wenn Altkanzler Helmut Kohl in Bild schreibt: "Ich habe einen wirklichen Freund verloren", und nicht nur den, sondern auch seinen Trauzeugen, dann muss die Erwiderung lauten: Ja, genau, das war ja das Problem (siehe fürs Medienarchiv der Zeitgeschichte auch das bei Bild.de eingeblockte Foto von Kohls, Kirch und Kai Diekmann).
"Als Kohl nach der CDU-Spendenaffäre Freunde und Anhänger um Spenden gebeten hatte, um den finanziellen Schaden für die CDU zu beheben, hatte Kirch seinerseits seinem Duzfreund eine Million Mark gegeben", heißt es bei Welt Online, wo die Intransparenz zur Bescheidenheit umgedeutet wird:
"Nein, Standesdünkel, wie ihn viele Granden aus der Wirtschaft kultivieren, waren Kirchs Sache nicht. Höchstens alle zehn Jahre einmal gab der Medienunternehmer ein Interview."
Den Aspekt der politischen Verwobenheit schneidet auch die taz an (Steffen Grimberg auf der tazzwei-Aufmacherseite 13):
Als "lebenslanger Freund und Bewunderer von Helmut Kohl (...) war für den Franken immer klar: Er steht am konservativen Rand der CDU. Von dort trommelte er so hörbar wie erfolglos für die Absetzung selbst von Welt-Chefredakteuren, die ihm zu liberal schienen."
Immerhin: erfolglos. Ein Berlusconi sei Kirch ja auch nicht gewesen, schreibt Chefredakteur Kurt Kister in der Süddeutschen (Seite 4):
"Leo Kirch war kein Berlusconi, auch wenn er sich mit dem gut verstand und eine ähnliche Vorstellung von der Bedeutung und Profitabilität eines möglichst breiten, alle Zweige von Herstellung und Verteilung einschließenden Medienimperiums hatte. Berlusconi, der archetypische Hallodri als Milliardär, will immer noch die Welt zu seinen Gunsten verändern. Kirch, der patriarchalische Kleinbürger, wollte an der Welt verdienen, wozu auch gehörte, dass er Politiker unterstützte, die seine Vorstellung von unternehmerbezogener, eigentlich kirchbezogener Medienfreiheit teilten."
Und wenn man die große Erzählung auf möglichst wenigen Zeilen sucht, dann findet man sie ebenfalls bei Kister:
"In einer Zeit, in der man seinen Lieblingsfilm auf dem Telefon in der Sakkotasche mit sich herumträgt, scheint ein Mann wie Leo Kirch nur noch ein Anachronismus zu sein. Und dennoch steht der 84-jährige Kirch, der nun in München gestorben ist, für eine Phase der bundesdeutschen Geschichte, in der die Nachkriegszeit wirklich zu Ende ging."
Mehr Nachrufe auf "LK" im Altpapierkorb
Altpapierkorb
+++ Die Mediennews des Tages ist mit einem Fragezeichen versehen: Thomas Gottschalk geht zur ARD? Er "hat sich wohl für die ARD entschieden", schreibt die Süddeutsche (S. 15) mit dem Hinweis, Gottschalk selbst dazu nicht gesprochen zu haben: "Das ZDF will ihn mit 'sechs oder mehr' Prime-Time-Shows versorgen, 'eine Art Rundum-Sorglos-Paket', wie ein Manager des Zweiten neulich formulierte. Die ARD hielt mit einer halbstündigen täglichen Wochentagssendung vor der Tagesschau dagegen. Nach SZ-Informationen hat Gottschalk sich nun entschieden, von 2012 an für das Erste zu arbeiten. Unklar ist derzeit, wann er dort anfangen kann. Bis Mitte 2012 ist er eigentlich ans ZDF gebunden. 'Definitiv hat Thomas Gottschalk bei uns nicht gekündigt', teilte das ZDF noch an diesem Mittwoch mit" +++
+++ Mehr Leo Kirch: In die Details des "großen Netzwerks" um Kirch geht Caspar Busse auf der Medienseite der SZ (S. 15), wo die Namen Kofler, Haffa, Kogel und Mojto fallen, und auf der "Thema des Tages"-Seite 2, zusammen mit Klaus Ott. Dort fallen die Namen Stolte, Everding, Strauß, Kohl, Hallig, Bovensiepen, Breuer, Schächter, Bacher, von Karajan, Gauweiler: "Kirch lebte in einem Netz aus guten Beziehungen und Freundschaften" +++
+++ Der allüberall zitierte Kirch-Satz "Der Herr hat's gegeben, der Herr hat"s genommen" wird nirgends so originalquellennah zitiert wie bei Spiegel Online – das Zitat stammt aus einem Spiegel-Interview +++ Wie war Kirch sonst so drauf? Die Berliner Zeitung zeigt auf Seite 3 ein Foto: "Ein seltener öffentlicher Auftritt: Leo Kirch und Uschi Glas umrahmen Leni Riefenstahl, die ihren 100. Geburtstag feiert, 2002." +++ Noch mehr Kirch: Stimmen bei kress.de, Nachruf in der Funkkorrespondenz online, ftd.de derzeit mit nichts anderem als Kirch, abendblatt.de – und das war's auch schon fürs Erste +++
+++ Mehr Rupert Murdoch: "Im Zuge der Ermittlungen zum Abhörskandal in Großbritannien ist offenbar ein weiterer ehemaliger Chefredakteur der Boulevardzeitung „News of the World“ festgenommen worden", Murdoch solle kommende Woche vor dem britischen Parlament aussagen, so die FAZ oder auch die taz +++ Die SZ widmet Murdochs Imperium die Seite 3 – und es ist ja die Seite Alexander Gorkows, weshalb im Foto Jarvis Cocker zu sehen ist, wie er sich mit einer Seite aus News of the world symbolisch das Sitzfleisch wischt: "Als Jarvis Cocker am Sonntagabend sein Konzert damit beendet, dass er sich mit der letzten Ausgabe der 'News of the World' andeutungsweise den Hintern wischt, wird er frenetisch bejubelt. Zu offensichtlich ist die kriminelle Energie, mit der in einem großen Teil der Presse seit Jahren gearbeitet wurde. Hugh Grant ist innerhalb von zwei Wochen vom berühmten Schauspieler zum gefeierten Volkshelden aufgestiegen. Er könnte sofort in die Politik gehen, seit er einem Journalisten, der für die 'News of the World' gearbeitet hat, Geständnisse über die Praktiken im Murdoch-Konzern entlockt hat." +++
+++ Mehr zu Yellow Press im Tagesspiegel, mehr zu Yellow Press und Boulevardpresse im Vergleich in Jakob Augsteins Spiegel-Online-Kolumne +++
+++ Ein besonderer Fall von Verlogenheit Dummheit Wahnwitz Idiotie Eigenlogik: Springers Konzerngeschäftsführer Public Affairs Christoph Keese kopiert einen Blogtext von Markus Hündgen komplett in sein eigenes Blog, mit der Begründung: "Ich nehme mir die Freiheit, seinen Text hier einfach einmal komplett einzukopieren, denn auch Markus Hündgen ist ein Kritiker des Leistungsschutzrechts und hat gegen die kostenlose Vollübernahme sicherlich nichts einzuwenden. Im Netz soll ja Freiheit herrschen" +++ Blöd: Das Foto, das er dazustellt, stammt von Mario Sixtus und steht unter einer CC-Lizenz – Sixtus hat daraufhin eine Rechnung über 1.070 Euro gestellt, Keese hat sich bereit erklärt, 50 Euro zu bezahlen; so viel mal wieder zur Leistungsschutzrechtsdebatte +++
Das Altpapierkorb stapelt sich wieder am Montag.