Kreuzworträtselfunde, Lügenfernsehenfernsehen, Große Freiheit Mittwochabend: Es geht weiter mit NoW, Panorama-Reportern, Anne Will
Bevor der Eindruck entsteht, es sei zur Sache Panorama vs. RTL-Lügenfernsehen alles gesagt (siehe Altpapier vom Freitag): Das eigentliche Elend des auf investigative Erregung gepimpten NDR-Beitrags, der in veränderter Version letzte Woche noch einmal in der ARD zu sehen war, ist seine Mimesis ans Inkriminierte.
Anders gesagt: Schon wenn man den Vorspann zum so genannten Prestenter-Format sieht, der mit seinen echten Laiendarstellerredakteuren, die zu dramatisch-hackender Musik ernst-entschlossen ans aufklärerische Werk gehen, an frühere Polizeiruf-Vorspänne erinnert, möchte man sich übergeben.
Und es ist nur nahe liegend, wenn die jüngsten Betrachtungen zu der Auseinandersetzung zwischen ARD und RTL um den Wahrheitsgehalt der gescripteten Pseudo-Dokus des Privatsenders, die schlecht inszenierte "Aufklärungsarbeit" der angeblich seriösen NDR-Reporter in den Blick nehmen.
Stefan Niggemeier hat in seiner Teletext-Kolumne in der FAS (Seite 32) offensichtlich verfälschenden Umgang in der Vielfachbearbeitung des Materials erkannt:
"'Sie machen sich keine Sorgen um die Glaubwürdigkeit Ihres Senders?', fragte Anja Reschke treuherzig den sich durchaus um Kopf und Kragen redenden RTL-Sprecher. Sein Nein bezog sich in der NDR-Fassung des Films auf das alltägliche Nachmittagsfernsehen; in der ARD-Version war es von 'Panorama' so geschnitten, dass man es auf die abgesetzte Skandalreihe beziehen musste. Was dann immerhin eine ungewollte Antwort auf die Frage war, ob sich Anja Reschke eigentlich Sorgen um die Glaubwürdigkeit ihres Senders macht."
So genau muss man bei Panorama noch nicht einmal hinschauen. Die inszenierte Aufklärungssendung liefert die Textbausteine frei Haus, die sich, wie Klaudia Wick das in Berliner am Samstag gemacht hat, dann problemlos auf das Format selbst beziehen lassen.
"Dieses 'Panorama spezial' bediente sich in seinen formalen Mitteln aller 'Errungenschaften' des Privatfernsehens: die Personalisierung durch die allgegenwärtige Reporterin im Bild, die nahen Kameraeinstellungen, die reißerische Verwertung von TV-Material und eine aufdringliche Produktionsmusik luden den Beitrag mit emotionaler Bedeutung auf....Wie sagte Anja Reschke so schön? 'Die Grenzen zwischen Unterhaltung und Information verschwimmen immer mehr.' Sie meinte damit natürlich das 'Lügenfernsehen' von RTL."
Münchhausen wäre stolz auf die unbestechlichen NDR-Aufklärer, die sich aus dem Sumpf, in den dieser Presenter-Schwachsinn das, was einmal die Aufgabe des Journalisten war, getrieben hat, an den eigenen Haaren ziehen wollen.
Die SZ meldete am Samstag, dass die Rechtstreitigkeiten zwischen NDR und Carsten Maschmeyer eingestellt worden sind (Seite 21):
"Warum hat der NDR, wenn er sicher war, im Recht zu sein, das Recht nicht von Gerichten sprechen lassen – und wo liegt der Vorteil für Maschmeyer, wenn 99 Prozent des Materials, in dem er alt aussieht, gesendet werden darf? Hausintern galt das juristische Sperrfeuer aus Hannover beim NDR als 'Tsunami', der enorme Kräfte im Sender bündelte. Kleine Zugeständnisse für große Arbeitserleichterung, so geht die NDR-Rechnung. Und Maschmeyer? Arbeitet gerade an einem neuen Image."
Auch wenn dieser Beitrag Furore gemacht hat, war auch hier das Gehabe vom angeblichen "Reporter-Urgestein" Christoph Lütgert eher störend als aufklärerisch. "Tausend Fehler im Bild", wie Anne Will in der einst großen Talkshow-Revision "Das Ganze eine Rederei" (hier ein Ausschnitt, in der Volksinformant Kerner Christoph Schlingensief die Hausordnung erklärt) gesagt hätte.
Nun, mit Blick auf ihre gestrige, letzte Sendung am Sonntagabend, sagt Anne Will dem Tagesspiegel:
"Ich glaube, dass mir der Talk am Mittwochabend sehr viel mehr Freiheiten lassen wird, als es am Sonntag möglich war."
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Anja Reschkes Lügenfernsehen (Berliner)##Anne Wills Freiheit (TSP)##Anne Wills Ritual (FAZ)##Lös' zum Abschied Kreuzworträtsel (Guardian)##Transparenz und PR: Wiki-Watch (FAZ)]]
Das Gespräch ist schon deshalb interessant, weil es auch mögliche Antworten auf die Frage liefert, warum Panorama mit seinen Reporter-Theaterstücken den eigenen Ruf beschädigt. Es geht um ganz gewöhnliche Anpassungsleistungen an die Anforderungen der Gegenwart.
"Am Sonntagabend müssen Sie jede Menge Erwartungen erfüllen."
Und Sie dürfen sich vor allem auch nicht darüber beschweren, wenn auf eine fragwürdige Weise statt Ihrer nun ein anderer dafür zuständig sein wird. Anne Will sieht das jedenfalls voll positiv. Warum?
"Als Geschäftsfrau war mir auch wichtig, mein Team, mit dem ich rasend gern zusammenarbeite, weiterbeschäftigen zu können."
Dabei kann man ihr das mit der Freiheit sogar glauben, sie taucht dann auch in anderen Berichten über ihr Ende am Sonntagabend auf.
Klaudia Wick schrieb am Samstag in der FR:
"Sie freue sich auf den Mittwoch, weil sie dann endlich am Wochenende wieder ausgehen könne, sagte sie, wann immer sie nach dem neuen Sendeplatz gefragt wurde. Das klingt sympathisch und pragmatisch, diplomatisch und im Umgang mit den Machtverhältnissen zukunftsweisend."
Und Stefan Niggemeier sieht in der FAZ noch nüchterner, dass es sich bei der Talkshow nach dem Tatort um ein Ritual handelt:
"Was auch passiert in der Welt, es werden sich Menschen finden, die dafür oder dagegen sind und sich bei 'Anne Will' gegenseitig vorwerfen, nicht ausreden zu dürfen, obwohl sie die anderen gerade haben ausreden lassen."
Insofern kann man sich die Suche nach den Frühkritiken von der letzten Sendung sparen, denn mit Niggemeier weiß man:
"Es war fast immer wie immer."
Wobei wir dann doch ein wenig enttäuscht waren, dass business as usual über diese Panzer geredet wurde. Es hätten neben Arnulf Baring und Jürgen Todenhöfer doch einfach noch drei andere Pappnasen eingeladen werden können, die das ritualisierte Fernsehen verkörpern (Margot Käßmann, Richard David Precht, Henryk M. Broder oder so), um einmal über das ritualisierte Fernsehen zu sprechen.
Anne Will wäre das immerhin noch zuzutrauen gewesen. Nachdenklich stimmt dagegen, dass die angeblich wichtigsten und begehrtesten Posten im deutschen Fernsehen die ödesten sind.
Viel Spaß, Günther Jauch.
Altpapierkorb
+++ Die Frage, was die 200 "News of the World"-Mitarbeiter mit ihrer neu gewonnenen Freiheit anfangen werden, ist noch nicht beantwortet. Die Zeitungen sind voll von großen Geschichten, die die große Geschichte der Abhörskandale und prompten Einstellung des Sonntagsblatts erzählen. Die SZ heute nach der Seite 3 vom Samstag auf der Medienseite (Seite 15). +++ Auch TAZ und FR berichten. Der Tagesspiegel beantwortet enzyklopädisch die wichtigsten Fragen auch Seite 2. Der Spiegel (Seite 140) schildert die Anpassungsleistungen der vormaligen Chefredakteurin und "fünften" Murdoch-Tochter Rebekah Brooks anschaulich: "Brooks lernte Tennis, wenn ihr Vorgesetzter Tennis spielte, und lernte das Golfspielen, als sie einen anderen Vorgesetzten mit anderen Vorlieben erhielt. Und dann machte sie ihren Segelschein, obwohl keiner ihrer direkten Chefs segelte. Aber die Murdochs segelten." +++ Zu Ende ist die Geschichte damit nicht: Die FTD weiß von der Untersuchung weiterer Redaktionsräume. Und dass es mit der angestrebten BskyB-Übernahme durch Murdoch zumindest dauern könnte, was den Aktienkurs nervt. Außerdem kann man in der FTD vom Entschuldigungsschreiben der Mitarbeiter in der letzten Ausgabe lesen: "Wir begrüßen und unterstützen die zwei Untersuchungsausschüsse des Premierministers - den einen, der dem Verhalten der Polizei in dem Fall nachgeht sowie den anderen, der die Ethik und Praktiken der Presse betrachtet." +++
+++ Führend bleibt die NoW-Berichterstattung des Guardian: Dort hat Beatrice Woolf gewisses Einfühlungsvermögen für die Mitarbeiter, die ihren Ärger auf Rebekah Brooks gegen deren Anordnung im Kreuzworträtsel unterbringen konnten. Peter Preston hat Zweifel, dass sich der freigewordene Raum am Sonntag nun so einfach von Murdochs "Sun" besetzen lässt: "Sunday versions of daily papers aren't easy sellers." +++ Und was sagt Times-Aufsichtsrat Kai Diekmann zu den Vorgängen? Der Tagesspiegel hat nachgefragt: "Die frühere Chefredakteurin, Rebekah Brooks hält er für 'eine hervorragende Journalistin, der ich glaube, wenn sie sagt, von den kriminellen Methoden in der Redaktion von ,News of the World’ nichts gewusst zu haben.'" +++ Die nahe liegende Frage nach Parallelen in Deutschland wird in gewisser Weise auch Friedrich Küppersbusch in der TAZ gestellt. Die Antwort: "Bild kann alles besser, auch sich abschaffen. 1998: 4,56 Millionen verkaufte Auflage, 2011: 2,85 Millionen."
+++ Fernsehen: "Musik als Waffe", nämlich als Folterinstrument, erkundet eine Arte-Dokumentation, die in der TAZ und in der FAZ (Seite 27) gelobt wird. +++ Die Top-Quoten bei der Fußball-WM der Frauen sind wohl erreicht, bilanziert der Tagesspiegel. +++ Für "Wetten, dass...?" hat die BamS eine neue Gottschalk-Nachfolgevariante entdeckt (TSP). +++
+++ In Sachen Wiki-Watch und PR legt die FAZ, die dieses Thema vor einiger Zeit aufgebracht hat, nach und spricht mit einem anonym bleibenden Adminstrator über Manipulationen in der freien Enzyklopädie. +++ Der Spiegel bringt im Wirtschaftsteil eine Geschichte über die zentrale Figur dieser Angelegenheit (Seite 74), den sympathischen Wolfgang Stock: "Während Stock an der Universität Transparenz predigt, praktiziert er bei Convincet (seiner Krisen-PR-Agentur, AP) das glatte Gegenteil: 'Als Berater bringen wir uns für Ihren Erfolg ein, bleiben aber vollständig im Hintergrund." Beeindruckend auch dessen Vita. +++
+++ Zwei Staaten, eine Zeitung: Mit deutscher Unterstützung geht im gerade geteilten Sudan die Zeitung "The Niles" an den Start. Die TAZ berichtet. Und der Tagesspiegel: "Bei den sudanesischen Zeitungen, sagt Sven Recker, schreibe der Chefredakteur die ersten beiden Seiten selbst. Die anderen Seiten seien oft ohne Erlaubnis aus anderen Medien zusammengestohlen. 'Die Entwicklung bei den sudanesischen Zeitungen steckt noch in den Kinderschuhen', sagt der MICT-Mitarbeiter und verweist darauf, dass eine sudanesische Zeitung Außenminister Guido Westerwelle (FDP) kürzlich 'Jido Fister Filly' genannt hat." +++
Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.