So was von breaking: Rupert Murdoch stellt seine britische Skandalzeitung, das älteste Boulevardblatt der Welt, ein. Schön harmlos dagegen: die deutsche Debatte um "Lügenfernsehen".
Gestern war das britische Boulevardblatt News of the World erst so richtig in die Diskussion geraten (siehe Altpapier). Heute steht es sogar auf den meisten Titelseiten deutscher Zeitungen. Denn übermorgen erscheint es zum allerletzten Mal. Die Sonntagszeitung wird 168 Jahre alt geworden sein.
"Indeed, if recent allegations are true, it was inhuman and has no place in our Company",
äußert sich Ruperts Sohn James Murdoch auf der News Corp.-Webseite.
Vermutlich das allererste Mal, dass in einem freien Land eine Zeitung nicht eingestellt wird, weil sie schlecht verdient (NOTW soll profitabel sein), sondern weil sie einfach schlecht ist. Und das derart ratzfatz, dass manche hiesigen Mediennewsdienste, die eigentlich immer News aussenden (auch wenn sich im engeren Sinne kaum etwas zugetragen hat), gestern erst mal hinterherhinkten.
Dass er bei Objekten, die in seinen Augen keinen Platz mehr in seiner Firma haben, radikal handeln kann, hatte Rupert Murdoch ja gerade erst mit dem 35 Mio. Dollar-Verkauf seines beim Einkauf noch geschätzte 580 Mio. Dollar teuren Netzwerks Myspace bewiesen.
Freilich haben die Murdochs aber auch erstens eine Agenda und zweitens eine Geschäftsidee für die Lücke, die sie schaffen. Die Geschäftsidee:
"Experten gehen davon aus, dass der Konzern die Sonntagslücke im Sortiment mit einer siebten Ausgabe der Sun schließen könnte; wie der Guardian berichtet, wurde vor zwei Tagen die Internetadresse thesunonsunday.co.uk registriert",
berichten u.a. Raphael Honigstein und Andreas Oldag in der Süddeutschen. Die Sun ists die tägliche britische Boulevardzeitung der Murdochs. Der Guardian bietet jede Menge Material; die erwähnte Info findet man im Liveticker dort um 5.51pm.
Die übergeordnete Murdoch-Agenda besteht, wie auch gestern hier angedeutet, im noch nicht in die Tat umgesetzten Plan, die restlichen Anteile von 61 Prozent an der britischen Pay-TV-Plattform BSkyB zu kaufen. Diesen Plan könnte die Politik noch verhindern. "Wohl auch um die Kaufabsichten nicht noch weiter zu gefährden, hat Murdoch nun sein Boulevardblatt geopfert" (FAZ).
Andererseits könnten die Murdoch-Skandale aber auch auf derzeit in London führende Politiker zurückschlagen. Auf der Meinungsseite der Süddeutschen spricht Stefan Kornelius von "einem stinkenden Sumpf", in dem "Boulevard-Journalisten, ihre Vorgesetzten, Polizisten und Politiker" säßen, und schließt:
"Murdoch verlangt nach einer mächtigeren Rolle im Staatsgefüge, als sie einem Verleger zusteht. Und im Gefühl der Unangreifbarkeit gedieh in seinem Konzern ein Klima der Gesetzlosigkeit, in dem Mitarbeiter nicht davor zurückschreckten, etwa mit dem Schicksal entführter Kinder zu spielen. Die britische Politik deckte diese Zustände - und wird nun einen Preis dafür zu zahlen haben."
Mehr zur "gefährlichen Nähe" des aktuellen Premierministers David Cameron zur Murdoch-Presse berichtet ebenfalls die SZ.
Weitere deutsche Stimmen im Schnelldurchlauf: Die TAZ arbeitet die historischen Dimensionen heraus ("Die 1843 in London gegründete Zeitung, das erste Boulevardblatt der Welt und damals sofort Marktführer auf dem englischen Zeitungsmarkt mit einer Auflage von 12.000, war in den 1950er Jahren die größte Zeitung der Welt mit einer Auflage von bis zu 9 Millionen jeden Sonntag; zuletzt waren es noch knapp 3 Millionen. Seit 1969 ist sie im Besitz des Murdoch-Imperiums. Das Blatt hat in Großbritannien den Ruf, die skrupellosesten Methoden des investigativen Journalismus anzuwenden...").
"Murdoch-Gate erschüttet das Königreich", titelt die Welt. "Murdochs Watergate" (FTD). Unter der dagegen ziemlich zahmen Überschrift "Spitzelblatt macht dicht" meinen FR/ BLZ, so werde die Geschäftsführerin von Murdochs britischer Dependance und Ex-NOTW-Chefredakteurin, Rebekah Brooks, "geschützt". "Befreiungsschlag", würde der Tagesspiegel sagen. Und: "AUS nach 168 Jahren!" (bild.de).
Ins Inland führt ein nicht nur durch seine Länge auffallender sueddeutsche.de-Kommentar, der gestern mittag noch vor der NOTW-Einstellungs-News erschien. Da versetzt sich Ruth Schneeberger in Journalisten, die ohne es zu wollen, zu Witwenschüttlern werden, und schließt:
"Der Fall um die 13-jährige Milly, deren Handy angezapft wurde, eignet sich zwar gut dafür, die Branche einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Er eignet sich aber keinesfalls dafür, ihn als traurigen Einzelfall abzustempeln, und diejenigen, die daran beteiligt waren, als Nestbeschmutzer auszusortieren. Im Gegenteil. Mögen die Methoden in diesem Fall auch besonders perfide erscheinen - sie sind mitten unter uns."
Angesichts der britische Härten schon schön, wie piefig deutschen Mediendiskussionen oft scheinen. Hier entstanden gerade komplizierte neue Fronten, da einerseits eine Studie (PDF) des Autors Fritz Wolf für die zuletzt durch ihre Bild-Zeitungs-Studie aufgefallene gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung und das Netzwerk Recherche (Vorwort: Prof. Dr. Thomas Leif, siehe Altpapier vom Montag sowie Absatz 2 im Altpapierkorb) das deutsche Fernsehen an sich wegen seiner Informationssendungen attackiert - vor allem das private, aber das öffentlich-rechtliche auch.
[listbox:title=Artikel des Tages[Guardian-Liveticker zur NOTW-Sache##SZ berichtet##TAZ berichtet##Das Thema ist mitten unter uns (sueddeutsche.de)##Überflüssige "Lügenfernseh"-Debatte (dwdl.de)##Ein Link in den neuen Südsudan]]
Gegen diese Angriffe hat ARD-Programmdirektor Volker Herres (siehe auch Absatz 1 im Altpapierkorb) bereits "zurückgekeilt" (wuv.de). Dass die Brenner-Stiftung zurück zurückkeilt, ist ein Randaspekt. Andererseits nämlich keilte die ARD in Form des NDR in der gleichen Sache zugleich auch gegen die Privatsender. Und zwar mit Berichten in der NDR-Sendung "Zapp" am Mittwoch und im ARD-Magazin "Panorama" gestern. "Das Lügenfernsehen" hießen die knappen Beiträge über sogenannte "Scripted-" oder "Reality"-Nachmittagssendungen u.a. bei Vox, Kabel 1. Wobei vor allem der "Zapp"-Bericht nur arg unbedarften Medienbeobachtern ein wenig Neues zu berichten hatten.
Im Kommentar "Die falsche Debatte über das 'Lügenfernsehen'" beschreibt das in der Privatfernseh-Beobachtung starke Portal dwdl.de nicht nur den Kleinkrieg der Sendersprecher Martin Gartzke (NDR) und Christian Körner (RTL), sondern trifft auch den Nagel auf den Kopf:
"Nun kann man es tatsächlich für eine wenig wünschenswerte, womöglich sogar schädliche Entwicklung halten, dass das, was am Nachmittag als Realität dargestellt wird, durch Autoren derart überzeichnet ist, dass man mit unspektakulären echten Geschichten gar nicht mehr dagegen ankommen kann. Dass das Publium dadurch vielleicht zunehmend abstumpft und nach immer skurrileren Geschichten schreit, weil es sich sonst langweilt. Man kann auch darüber streiten, ob nicht noch deutlicher gekennzeichnet werden sollte, wann Geschichten gescriptet sind und wann nicht. Doch aus all dem den Vorwurf zu konsturieren, die Privatsender würden ihrem gesellschaftlichen Auftrag oder ihrer Informationspflicht nicht nachkommen, erscheint dann doch reichlich an den Haaren herbei gezogen."
Wo Uwe Mantel erst recht recht hat:
"Am Nachmittag - also der Zeit, die im Mittelpunkt der Kritik steht - findet man auch bei ARD und ZDF vorwiegend Telenovelas, Kochshows und Zoodokus, die ebenfalls kaum dazu geeignet sind, eine wie auch immer geartete Aufgabe in einer Demokratie zu erfüllen."
Altpapierkorb
+++ Der launige Zurückkeiler Volker Herres sagte gerade überdies: "Wir haben die Maus gefragt und sie hat augenzwinkernd einer familienfreundlichen Verlegung zugestimmt. Die Maus ist eben seit eh und je ein Familientier...". Da geht es um die Verlegung der "Show mit der Maus" vom Samstag, der die ARD gerade allerhand Plakatwerbung spendiert, wg. der Frauen-Fußball-WM im ZDF. "Statt der Familienshow zeigt das Erste um 20 Uhr 15 den zweiteiligen Fernsehfilm 'Utta Danella: Das Familiengeheimnis' mit Christiane Hörbiger, Hardy Krüger jr. und Dennenesch Zoudé" (Tsp.). +++ "Familiengeheimnis", Hardy Krüger, Zoudé - da war doch was, da war doch was, denken Hardcore-Medienbeobachter. Jawohl: Da war die durch Parfümschleichwerbung bekannt gewordene Schmonzette namens "Familiengeheimnisse" Anfang des Jahres (vgl. Altpapier, BLZ). Doch die zeigt die ARD nicht, sondern vielmehr die Schmonzette namens "Das Familiengeheimnis" mit Krüger jr. (in der anderen spielte der Senior). Über die Einfallsarmut, mit der unsere Öffentlich-Rechtlichen ihre Gebührenmilliarden in Eskapismus umsetzen, sagt das aber doch etwas aus. +++
+++ "Wie sehr oberflächliche Personalisierung die Analyse von Strukturen verdrängt", macht Wolfgang Michal in seinem Blog nicht an Zoudé und den Hardy Krügers fest, sondern am schon erwähnten Thomas Leif bzw. der "Yellowpress-ähnlichen Berichterstattung zur verunglückten Zehn-Jahres-Feier des Netzwerks Recherche", dessen Chef Leif bis vor kurzem war. +++ "Leif, die streitbare Persönlichkeit, hat den Verein zu dem gemacht, was er heute ist. Zu Europas bester Journalistenvereingung würden die einen sagen, zu einer kirchentagshaften Quasselbude die anderen. Mögen die Ansichten darüber differieren, so besteht zumindest kein Zweifel an der Tatsache, dass dies eine bemerkenswerte Leistung ist und der Verein heute finanziell robust dasteht. Womöglich sogar zu robust" (Netzwerk Recherche-Mitglied Martin Meuthen im neuen epd medien-Heft). +++
+++ Die Medienseite der Süddeutschen beschäftigt sich mit der bekanntesten deutschen Besitzung der Murdochs, der Pay-TV-Plattform Sky (macht weiter Verlust, aber weniger als früher), sowie mit der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (siehe auch Altpapier gestern). "Es ist sicherlich keine Explosion des Printmarktes, von der die AWA hier spricht - aber es ist ein positiver Trend." +++
+++ Und in in der FAZ geht's auch um die ablehnende Stellungnahme der CDU zur SPD-Klage. "Durch die Zusammensetzung der ZDF-Gremien Fernsehrat und Verwaltungsrat werde der Grundsatz der Staatsferne nicht verletzt, erklärte die Sächsische Staatskanzlei" (FAZ/ EPD, S. 37). Wohl am interessantesten dabei: Ärger bei den Grünen, die im Saarland mit der CDU regieren (SZ). +++
+++ Die FAZ-Medienseite befasst sich ausführlich mit der gemeinnützigen Media in Cooperation and Transition GmbH, die Journalisten des nun unabhängigen Südsudan schulte. Deren Beiträge sind auf sudanvotes.com zu lesen. +++
+++ Zu den acht bis zehn Kaufkandidaten für hulu.com, das Videoportal der amerikanischen Fernsehsender, zählen Google, Yahoo und Microsoft (FAZ, S. 16). +++ Wer "seinen Kindern und der Umwelt etwas Gutes" tun will, sollte das neue Printerzeugnis des Ehapa-Verlags namens Hello Kitty Spezial (50 Seiten, 4,95 Euro) nicht kaufen, rät Natalie Tenberg in der TAZ. +++ Wie die Berliner "Critical engineers" Julian Oliver und Danja Vasilev mit ihrem Projekt "Newstweek" öffentliche Netzwerke manipulieren, beschreibt Tim Rittmann im Tagesspiegel. +++
Neues Altpapier gibt's dann wieder am Montag.