Gerichtsprozesse zwischen Athen und Berlin versuchen, komplizierte Medienthemen zu bewerten. Was wird aus dem ARD-Generalsekretariat, was aus dem anspruchsvollen Dokumentarfilm?
Zunächst eine gute Nachricht aus einem Land, aus dem gute Nachrichten nur selten kommen: Nach sage und schreibe 547 Tagen Geiselhaft in Afghanistan sind die französischen Fernsehreporter Hervé Ghesquière und Stéphane Taponier wieder frei. Heutige Agenturmeldungen (NZZ, SZ) dazu beruhen auf der Meldung der Reporter ohne Grenzen.
Umgekehrt sitzt in Afghanistans westlichem Nachbarstaat Iran seit einigen Tagen die Fotografin Maryam Majd in einem berüchtigten Gefängnis anstatt wie geplant bei der Frauenfußball-WM in Deutschland zu arbeiten. Auch dazu gab und gibt es Berichte (SPON, "heute-journal" gestern/ Video) und Meldungen (SZ neulich, FAZ heute).
Und noch ein ganzes Stück weiter westlich, im Land, auf das sich derzeit die allermeisten europäischen Blicke richten, ging es am Mittwoch, ebenfalls um die Freiheit von Journalisten, wenn man so will, freilich unter rechtsstaatlichen Bedingungen. Schließlich können Tatbestände wie Verunglimpfung der Symbole des griechischen Staates, Verleumdung und üble Nachrede, die in Griechenland dem Focus-Herausgeber Helmut Markwort, dem Reisejournalisten Klaus Bötig und anderen Focus-Mitarbeitern wegen ihrer Titelstorys und Berichte im Februar diesen Jahres vorgeworfen werden, "mit Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren geahndet werden". Vom ersten Prozesstag gestern berichtet heute die Süddeutsche unter der Überschrift "Volkes Finger" (während die vom 20. April über die Anklagen "Aphrodites Mittelfinger" lautete).
Es dauerte von Prozessbeginn um 9.00 bis 14.00 Uhr, "bis das Gericht trotz Streiks einen Protokollführer auftreiben konnte", berichtet das Blatt, bzw. hatte sich der wie die anderen Beklagten abwesende Bötig von seinem Anwalt berichten lassen. Schließlich wurde der Prozess auf den 19. August vertagt.
Dieselbe Medienseite weckt gleich auch noch Vorfreude auf einen weiteren Prozess, der am 8. September vor Landesarbeitsgericht Berlin steigen soll. Da wird es freilich nicht um mögliche Freiheitsstrafen gehen, sondern "um Schadensersatz und Schmerzensgeld". Denn dann werden die Mobbingvorwürfe der nach am Mittwochnachmittag aktueller Vertragslage noch, aber wohl nur noch heute, also bis Ende Juni 2011 amtierenden ARD-Generalsekretärin Verena Wiedemann gegen ihre Arbeitgeber (siehe Altpapier aus dem März) verhandelt.
Wiedemann könnte wohl, falls sie wollte, ihren Vertrag um "fünf weitere Jahre" verlängern. Falls sie nicht will, wird das ARD-Generalsekretariat wohl eher abgeschafft, meint die Süddeutsche. Aber das ist für alle nicht unmittelbar Betroffenen ziemlich gleichgültig. Interessanter, dass am 8.9. "einige Interna aus der ARD ...zur Sprache kommen" dürften. Und weil das just die Woche ist, in der auch die ARD-Talkschwemme durchstartet (am 8.9. dürfte Reinhold Beckmann seine allererste Donnerstagsshow bestreiten, am symbolträchtigen 11.9. wird dann Günther Jauch debütieren...), wird die zweite Septemberwoche zumindest zu einer Festwoche für alle ARD-Beobachter.
Wenn man sich eher für originäre Inhalte interessiert, ist freilich spannender, besorgniserregender, was erneut die SZ-Medienseite in der Mitte (also zwischen dem Athen/ Focus- und dem ARD/ Wiedemann-Artikel) berichtet. Dort nimmt sie den zuvor bereits u.a. bei meedia.de aufgegriffenen Vorwurf der deutschen Dokumentarfilmer-Vereinigung AG Dok sowie französischer Produzentenorganisationen auf, der deutsch-französische Kultursender Arte betreibe "planmäßige Selbstzerstörung". Und zwar, weil er die Zahl eigener anspruchsvoller Dokumentarfilm-Produktionen dramatisch reduzieren wolle.
Selbstverständlich hat die Süddeutsche (die auch diesen Artikel merkwürdigerweise nicht mit einem Autorennamen, sondern nur mit "SZ" zeichnet *) dazu auch eine Gegenmeinung eingeholt, die die Vorwürfe erwartungsgemäß zurückweist. Geäußert wird die Gegenmeinung von Gottfried Langenstein, dem Arte-Vizepräsidenten (nicht mehr "Arte-Präsident", wie das ZDF in der Vita-Überschrift noch schreibt) sowie "Direktor für Europäische Satellitenprogramme des ZDF".
[listbox:title=Artikel des Tages[Focus vor Gericht (SZ)##ARD bald auch (ebd.)##Was wird aus den Arte-Dokus? (ebd.)##Länderspiellivekommentatorin-Rezension (BLZ)##Tour de France-Dernière (Tsp.)##DPA- und DAPD-Lage (TAZ)]]
Wobei die Süddeutsche bei ihm schon noch etwas hätte bohren können. Schließlich lanciert das ZDF laufend neue coole Digitalprogramme - nach ZDF-Neo gerade "zdf.kultur", in das der von Langenstein verantwortete Theaterkanal umgemodelt wurde (und auf "zdf.info" ist auch schon ganz gespannt, wer sich überhaupt für öffentlich-rechtliche Digitalnischen interessiert, vgl. dwdl.de). Wie das ZDF aber alle diese kultur-orientierten, auch mit allerhand Eigenproduktionen gefüllten Sender finanzieren möchte, ohne auf höhere GEZ-Einnahmen zu spekulieren und ohne die älteren kultur-orientierten Sender, an denen es beteiligt ist, 3sat und eben Arte, anzuknapsen - das wurde bislang noch nicht richtig einleuchtend erklärt.
Freilich wäre in dem heutigen SZ-Artikel für solche längeren Exkurse auch gar kein Platz gewesen. Denn wie schon gestern, so schaut auch heute die SZ-Medienseite wieder arg gedrängt aus *. Eine halbseitige Eigenanzeige scheint die Artikel geradezu zusammenzustauchen. Heute bewirbt die Süddeutsche auf der unteren Hälfte der Medienseite nicht ihren Wein, sondern ihre preiswerten "Bayern entdecken"-Bücher.
[* Wie aufmerksame Leser gerade meinen: Der Verzicht auf Autorennamen und die halben Medienseiten in der SZ könnten mit den Streiks, nicht in Griechenland, sondern in Zeitungsverlagen, zusammenhängen.]
Altpapierkorb
+++ "Leverkusen hat sich herausgeputzt" - mit diesen schönen Worten begann die erste Live-Kommentierung eines Fußball-Länderspiels im deutschen Fernsehen durch eine Frau. Diesen historischen Moment, durch den sich Claudia Neumann in die nationale Fernsehgeschichte eingeschrieben hat, hatte die Berliner Zeitung auf dem Schirm. Insofern schreiben sie und Markus Bäcker sich heute mit der allerersten Fußball-Länderspiel-Livekommentatorinnen-Rezension in die deutsche Medienmediengeschichte ein. +++
+++ Hopsala, Rupert Murdoch hat Myspace verkauft. Von 580 auf 35 Mio. Dollar gesunken sei der Preis (New York Times). +++
+++ Wie bei zdfkultur, zdfinfo und anderen neuen Digitalsendern (deren coole Schreibweisen man noch gar nicht richtig verinnerlicht hat) "Fernsehen und Internet zusammengehen" sollen, ja, "wie man Youtube mit Links überholt", das beschreibt ein fast 10.000 Zeichen schwerer Artikel auf der FAZ-Medienseite 39 (derzeit nicht frei online), inkl. vieler offizieller Auskünfte von Vertretern des ZDF, aber auch des SWR. +++ Darunter berichtet ein kürzerer vom Münchener Filmfest, auf dem der ZDF-Fernsehspielchef Reinhold Elschot in einer "launigen Ansprache" versuchte, Bedenken zu zerstreuen, dass das ZDF wegen der Champions League-Millionen weniger Fernsehfilme produzieren könnte. +++ Von der "Zeitung hinter Gittern", die die rund 60 in türkischen Gefängnissen sitzenden Journalisten für Ende Juli planen, berichtet die FAZ überdies. +++
+++ Gerade endete die Jahresbilanzpressekonferenzsaison der deutschen Nachrichtenagenturen. Die TAZ fasst zusammen, wie sich die Lage bei DPA und DAPD darstellt. +++
+++ "Großes Heulen und Zähneklappern" sieht der Tagesspiegel im Saarländischen Rundfunk in knapp einem Monat voraus. Denn dann, am 24. Juli, endet "ein Kapitel unrühmlicher Fernseh-Berichterstattung", nämlich die letzte öffentlich-rechtliche Liveberichterstattung von der Tour de France. Und der SR ist in der ARD für Fahrradsport zuständig, ansonsten aber für kaum noch etwas. +++
+++ Wenig Neues zur Verlageklage (gegen die "Tagesschau"-App) heute, doch hat wuv.de eine instruktive kleine Übersicht erstellt, was die relativen Medienexperten der politischen Parteien dazu so sagen. +++
+++ Hach, das waren noch Zeiten... Ans Jahr 1981, als "eine völlig neue Erzählweise das deutsche Fernsehen" "eroberte" und den Hedonismus als Gegenmodell zur "'grünen' Innerlichkeit mit ihrer radikalen Konsumverweigerung" ankurbelte...: In BLZ/ FR erinnert Klaudia Wick an den Start der US-Serie "Dallas" vor 30 Jahren. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.