Deutschland, Deine Intendanten

Deutschland, Deine Intendanten

Prickelnde Spannung beim ZDF? Nein, auch hinter den Kulissen wohl kaum. Fast schon alles, was man zur Intendantenwahl wissen muss. Außerdem: Ärger über den Fernseh-Basketball.

Der kommende Freitag wird beinahe so spannend wie der vergangene Freitag, an dem ja die Wahl des neuen (und alten) SWR-Intendanten Peter Boudgoust stattfand. Am kommenden, am 17. Juni also wird in Berlin (aber nicht in der Straße des 17. Juni und auch nicht in deren Verlängerung, Unter den Linden, wo das ZDF eigentlich seine Hauptstadtrepräsentanz hat, sondern in der Bibliothek des Hotels Grand Hyatt am Marlene-Dietrich-Platz) der neue ZDF-Intendant gewählt.

Na gut, etwas unspannender als beim SWR wird's beim ZDF wohl, schließlich sorgte bei ersterem immerhin noch eine kurzfristige Umbesetzung in den Reihen der Wahlberechtigten (siehe Altpapier) für Nischenfurore. Der ZDF-Fernsehrat dagegen wird übermorgen wie eh und je "die binnenpluralistische Gesellschaft abbilden".

Kurzum, es wird voraussichtlich gar nicht spannend. Joachim Huber lässt im Tagesspiegel schon mal die Luft raus. Weder eine "parteipolitische Lachnummer" wie bei der letzten ZDF-Intendantenwahl anno 2002, noch eine "Pokerpartie" so wie bei der Wahl des einzigen Intendantenkandidaten Thomas Bellut auf seinen heutigen Programmdirektor-Posten oder, noch spannender, bei der Abwahl St. Nikolaus Brenders Ende 2009 (vgl. altes Altpapier), sei zu erwarten.

Die weiterhin bloß inoffizielle Kandidatur des einzigen Gegenkandidaten, Claudius Seidl von der FAS, hat aus dem "Durchmarsch" Belluts einen "Durchlauf" gemacht, formuliert es die bei Militärmetaphern stets stilsichere TAZ-Kriegsreporterin (die bei Facebook auf fast so viele Fans kommt wie Seidl bei seinem ZDF-Engagement).

Gar noch die allerletzte Spannung, die so eine "Inhouse-Lösung" naturgemäß nach sich zieht, tötet der Tagesspiegel: Wer wird auf den Posten des Beförderten befördert? Wohl Peter Arens, seines Zeichens Leiter der Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft.

Um die Sache dennoch etwas aufzupeppen, verfällt das Blatt auf den alten FAZ-Feuilleton-Trick (manchmal kann man den Tsp. ja doch mit der FAZ verwechseln), gelegentlich kaum kenntlich gemachte Originaltexte von historischen Persönlichkeiten wie Johann Wolfgang von Goethe in den aktuellen Newsfeed hineinzuschmuggeln, auf dass aufmerksame Leser beim Erkennen kurz innehalten. Der "mögliche Rede-Entwurf für Thomas Bellut", den das Blatt heute unter der Überschrift "Wie ein Senderchef sein soll" ebenfalls bringt, stammt von Hans Bausch (1921-1991).

"Durch seinen Widerstand gegen politische Einflüsse wurde er zu einer Legende der Rundfunkgeschichte", stellt der Tsp. den jahrzehntelangen Intendanten des alten Süddeutschen Rundfunks vor. (Am Rande: "Legenden der Rundfunkgeschichte" - eine mögliche Sendereihe für die ARD, wenn "Deutschland, deine Künstler" und die allgemeinen "Legenden" mal auserzählt sein sollten?) Wie Goethe Namenspatron eines Preises ist Bausch selbstredend auch (auch wenn der "Hans Bausch Mediapreis" irgendwie 2010 nicht vergeben worden zu sein scheint).

Jedenfalls sagte Bausch unter anderem einmal und sollte Bellut demnächst einmal sagen:

"Der Intendant muss Maßstäbe der Qualität entwickeln helfen, er muss Impulse geben. Nur so kann er ein Programm verantworten, das er selbst gar nicht machen kann. Vielleicht gelingt es, die perfektionistische Tendenz eines Eisenbahnfahrplans oder die Tendenz eines allzu bunten Warenhauscharakters zu dämpfen, an denen unsere deutschen Programme ganz allgemein etwas zu leiden scheinen... ..."

Da dürfte die Dreifünftelmehrheit kein Problem sein. Ferner empfiehlt der Tsp. dem künftigen ZDF-Chef den Satz:

"Ich habe keinen Zweifel, dass dem Intendanten der kommenden Legislaturperiode das schwierige Geschäft auferlegt sein wird, auch sein Wort zur Neuordnung des Rundfunkwesens in der Bundesrepublik zu sagen und seine ganzen Verbindungen zu nutzen, um diesem Wort Geltung zu verschaffen."

[listbox:title=Artikel des Tages[Der neue ZDF-Intendant (Tsp.)##Was der alte SDR-Intendant riet (ebd.)##Soziale-Medien-Skepsis I (BLZ)##Soziale-Medien-Skepsis II (ebd.)##Journalismuslage in Indien (TAZ)]]

Auf wen auch immer die Wahl der ZDF-Gremiengremlins am Freitag fallen wird - daran, dass der neue Intendant alle Verbindungen nutzen wird, um seiner Ansicht zur Neuordnung bzw. Nicht-Neuordnung des Rundfunkwesens Geltung zu verschaffen, daran braucht nun wirklich niemand zu zweifeln. Ganz bestimmt wird Bellut geduldig erklären können, warum alles insbesondere beim ZDF so bleiben muss, wie es war. Und warum zum Beispiel die neue Haushaltsabgabe keinesfalls wird sinken dürfen.

Ein frisches Argument dafür gibt ihm der Tagesspiegel direkt daneben an die Hand: die "unbefriedigende Fernseh-Situation deutscher Basketballfans". Seit Dirk "Dirkules" Nowitzkis Triumph wollen wir Deutsche doch alle amerikanischen Vereins-Basketball ansehen. Und Dirk Bauermann, der deutsche Basketball-Nationaltrainer, hat in einem der sehr sehr vielen Interviews, die er gerade gab, Kritik an ARD und ZDF geübt. Im Original bei spox.com fällt sie sogar noch härter aus als im Zitat, das der Tsp. daraus bringt:

"Die zentrale Frage lautet: Ist es nicht die Pflicht und Verantwortung einer Öffentlich-Rechtlichen Anstalt, eine Grundversorgung zu gewährleisten? Und wenn dem so ist und Basketball nicht dazu gehört, dann weiß ich auch nicht weiter. Ich habe nichts gegen Frauen-Fußball, ganz im Gegenteil. Aber wenn im ZDF an einem Donnerstagabend um 20.15 Uhr ein Testspiel der deutschen Frauen-Nationalmannschaft gegen Norwegen live gezeigt, gleichzeitig aber Dirk nicht gesendet wird, ist es für mich nicht nachvollziehbar."

Würde Claudius Seidl, falls er sensationellerweise doch gewählt werden würde, wohl für mehr US-Basketball sorgen?


Altpapierkorb

+++ Pflichtprogramm für Kritiker der Öffentlich-Rechtlichen: der Kika-Prozess in Erfurt. Den ausführlichsten Bericht von gestern, als der vormalige Kika-Programmgeschäftsführer und jetzige NDR-Fernsehdirektor Frank Beckmann u.a. "Ich habe die Rechnungen dazu ja gar nicht gesehen" sagte, bietet Christiane Kohl in der Süddeutschen (S. 15). Kürzer, aber aktuell frei online berichten kress.de (u.a., dass der aktuelle Programmgeschäftsführer Steffen Kottkamp das Arbeitsklima im Sender nicht brutal, vielmehr "eher familiär" nannte), die TAZ und Tsp./ DPA. +++

+++ Wenig zu holen für Kritiker der Öffentlich-Rechtlichen ist einstweilen beim seit einem Jahr legalisierten Product Placement. "Es fällt auf, dass mit einer Ausnahme beim ZDF alle bezahlten Produktplatzierungen bei Privatsendern wie Sat 1, ProSieben oder RTL 2 stattfanden", berichtet erneut der Tsp. unter der Überschrift "Spinat-Alarm bei Fernsehkoch Ralf Zacherl" von einer diesbezüglichen Bilanz der ZAK-Kommission für Zulassung und Aufsicht der Medienanstalten. Allerdings ist diese, wie im ersten Kommentar dazu zurecht angemerkt wird, auch kaum bis gar nicht für Öffentlich-Rechtliche zuständig. Und Oliver Berben, womöglich eine Art Pionier in diesen Dingen, darf ja wieder fürs ZDF drehen, wie derzeit durch die Nachrichtenspalten geht. +++

+++ "Wer Zeitungen liest oder den Talkshowbewohnern bei ihren Disputen zuschaut, könnte den Eindruck bekommen, dass der Mann vom Spiegel das letzte Sturmgeschütz Gottes im Land der Heiden ist", schreiben Hans Leyendecker und Katharina Riehl in der Süddeutschen (S. 15) über Matthias Matussek. Anlass: dass der auf PR-Tour für sein neuestes Buch dem Kölner Domradio ein Interview gegeben hat, in dem er den Spiegel, für den arbeitet, "ein antikirchliches Kampfblatt" nannte. "Die Aufregung in Hamburg", am Spiegel-Sitz, "ist gewaltig und dabei geht es auch um Grundsätzliches", wissen die süddeutschen Beobachter. +++

+++ Weitere Nachbearbeitung des Falls des falschen "gay girl from damascus" (siehe Altpapier gestern). Die inzwischen auf damascusgaygirl.blogspot.com (Anmeldung erforderlich) erschienene "demütigende Entschuldigung" "ist angebracht", meint die FAZ. Tom MacMasters "Fälschung scheint nun all jene zu bestätigen, die den sozialen Medien skeptisch gegenüberstehen", meint die Berliner Zeitung. +++ Und wer noch solche Skepsis benötigt, bekommt sie heute um 22.45 Uhr in der ZDF-Reportage "Hilfe, ich bin nackt" vermittelt, die ebenfalls BLZ/ FR empfehlen. Facebook-Freunde können sich gar per "Vermainzelt"-App "vorführen lassen, wie viele private Daten sie hier preisgeben" (aber erneut: Anmeldung erforderlich). +++

+++ Blicke ins Ausland: In der TAZ geht Georg Blume dem Mord an "Mumbais legendärem Kriminalreporter" Jyotirmoy Dey nach, der die Journalisten in Indien aufwühlt. +++ Hinter der französischen Tageszeitung "Libération" stecken vielleicht nicht immer kluge Köpfe, oft aber stecken zumindest durchaus knackige Journalisten-Körper darin (Süddeutsche,mit Bildern). +++ Dagegen berichtet Jürg Altwegg in der FAZ von der in Frankreich angelaufenen Hadopi-Kampagne gegen illegales Downloaden. Und vom heimlich "in der Nacht auf Pfingstsamstag" aufgegebenen Sarkozy-Plan einer "Google-Steuer". +++ Aus England berichtet die Süddeutsche vom "Abhörskandal im britischen Boulevardmilieu", der von der dortigen Boulevardpresse kaum thematisiert wird. Gerade bekam Sienna Miller eine 100.000 Pfund-Entschädigung zugesprochen.+++ Die FAZ dagegen berichtet, dass die BBC ihr labyrinthisches Fernsehzentrum im Westen Londons, auch "Donut" genannt, zu verkaufen plant. +++

+++ Dann empfiehlt Klaudia Wick (BLZ) der ARD-Reihe "Bloch" mit Dieter Pfaff anlässlich des heutigen Films, sich "selbst mal auf die Couch" zu legen und zu "ergründen, was und wer sie sein will". +++ Aktuell im epd medien-Tagebuch: eine Art Buchbesprechung [disclaimer: von mir] zu Kai-Hinrich und Tim Renners "Digital ist besser". +++ Und von Streit zwischen der Wochenzeitung Die Zeit und der Bild-Zeitung, die bemerkenswert dreist "mit den von der Zeit erstellten Inhalten Geld verdienen" wollte, berichtet meedia.de Es ging da um das Jörg Kachelmann-Interview, das inzwischen in seiner gewaltigen Länge auch gratis online zu haben ist. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.


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