Gottschalk grüßt Vorzimmerdamen!

Gottschalk grüßt Vorzimmerdamen!

Mit der Glaubwürdigkeit der grünen Medienpolitik scheint es nicht weit her zu sein. Außerdem: Steht ein Zeitungsmann aus Sachsen vor dem Sprung an die MDR-Spitze?

Heute wird Peter Boudgoust zum neuen Intendanten des SWR gewählt. Das findet niemand aufregend, und dennoch gibt die Medienpolitik im Südwesten derzeit etwas her. Zu verdanken ist dies den in Baden-Württemberg regierenden Grünen, die wenige Tage vor der Intendantenwahl gleich vier Posten in den Gremien des Senders neu besetzten, und zwar mit Regierungsmitgliedern. Zwei Minister zogen in den SWR-Verwaltungsrat ein, die Integrationsministerin Bilkay Öney vom Koalitionspartner SPD und ein Staatssekretär in den Rundfunkrat. In der taz bläst Steffen Grimberg zur Attacke. Die Grünen hätten

„auf Bundesebene mit Blick auf das ZDF und den von der Union 2009 inszenierten Rauswurf des Chefredakteurs Nikolaus Brender (...) deutliche Töne gegen den Einfluss von Regierungsvertretern in den Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gespuckt. Aus der Position der Regierungsverantwortung sieht das jetzt schon anders aus.“

Auch die Funkkkorrespondenz findet es

erstaunlich, dass Grün-Rot nun Minister und Staatssekretäre in die beiden SWR-Gremien entsandt hat, wenn man an Forderungen der Grünen auf Bundesebene denkt: Die grüne Bundestagsfraktion plädiert nämlich (..) für einen Rückzug von Regierungsvertretern aus den Gremien öffentlich-rechtlicher Sender.“

Der Fachdienst verweist dabei auf ein nicht so altes taz-Interview mit Tabea Rößner, der medienpolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag, zum Thema Staatsferne in den Gremien der öffentlich-rechtlichen Sender: „Staatsferne heißt für mich jedenfalls Regierungs- und Staatskanzleiferne. Also: Ministerpräsidenten und Staatssekretäre haben in den Gremien nichts verloren.“

Was schreibt die Regionalpresse? Der Südkurier zitiert eine „gewagte Aussage“ des SWR-Rundfunkrats Günther-Martin Paul. Der findet es „fragwürdig, wie ‚radikal‘ Grün-Rot wenige Tage vor der Intendantenwahl Parteipolitik betreibe. Medienpolitik sei ein sensibles Feld, das sich für ‚parteipolitisch motivierte Kindereien‘ nicht eigne“. Wobei wir hier beim Altpapier immer den Eindruck hatten, dass sich kaum ein anderes Feld für ‚parteipolitisch motivierte Kindereien‘ besser eigne als die Medienpolitik.

Eine Intendantenwahl steht sehr bald auch beim MDR bevor. Sie hat den Vorteil, dass man noch nicht weiß, wer am Ende den Thron besteigen darf. Als Topkandidaten sieht Joachim Huber im Tagesspiegel Bernd Hilder, den Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung (LVZ):

„Bei der Frage nach der Qualifikation Hilders für einen öffentlich-rechtlichen Chefposten verweisen Hilders Unterstützer sehr gerne darauf, dass dieser nach einem Studium der Rechts- und Politikwissenschaften als Politikredakteur beim Sender Freies Berlin, Ende der 80er Jahre für den Hörfunk in Washington und später in Mexiko-City als ARD-Korrespondent für Lateinamerika gearbeitet hat. Bernd Hilder soll mehr der CDU als der SPD nahestehen, speziell die Genossen in Leipzig sollen mit dem LVZ-Chef ihre Not haben.“

Um die ganz hohe Politik bei den Öffentlich-Rechtlichen geht es auch in der Süddeutschen, um die große Programmpolitik allerdings. Christopher Keil greift in einem online noch nicht verfügbaren Text eine Meldung der Bunten über eine vielleicht bevorstehende „One-Man-Show“ Thomas Gottschalks im Vorabendprogramm des Ersten auf. Das Konzept sieht so aus:

„Gottschalk, ohne Publikum im Studio, plaudert sich durch die Vielfalt des Tages, setzt sich übers Internet, über Telefon oder sonst wie mit der Welt draußen in Verbindung. (...) Das Risiko wäre nicht gering. Thomas Gottschalk wird sehr als ZDF wahrgenommen. So eine Vorabendsendung ist nicht eingeführt. Scheitern wäre nicht die letzte Perspektive. Doch Gottschalk möchte wohl die Vergangenheit weit hinter sich lassen, und er würde mehr als beim ZDF verdienen.“

Man erfährt in diesem Zusammenhang auch, dass Thomas Bellut, der ZDF-Intendant in spe, Gottschalk „in kleiner Runde“ als Mann würdige, „der auch die Damen des Vorzimmers stets grüße“. Nicht auszuschließen ist, dass dies auch für jenen Herrn gilt, der Medienpolitik auf völlig eigene, vorher nicht gekannte Weise definiert hat. Mit diesem „Mann, der Italien ruiniert hat“, beschäftigt sich Georg Seeßlen im Freitag. Was Silvio Berlusconi mit „einem ganzen Land“ gemacht hat, lässt sich aber auch deftiger formuliieren, wie The Economist beweist. Das Cover zu Berlusconi (siehe Screenshot) ist insofern bemerkenswert, als von qualitätsjournalistischen Wochentiteln hier zu Lande eine derartige Explizitheit nicht zu erwarten ist. Doch zurück zu Seeßlen. Der schreibt:

„Der Weg Berlusconis (...) ist im Großen die Umwandlung einer parlamentarischen und rechtsstaatlich kontrollierten repräsentativen Demokratie in ein populistisches, präsidiales und mediales System der postdemokratischen Herrschaft ... So entstand der neue Politiker der ‚personenkultigen‘ Postdemokratie aus den Medien heraus.“

Ein rein italienischen Thema? Keineswegs, Seeßlen schlägt jedenfalls eine Bogen zum Fall Guttenberg. Der zeige nämlich:  „Sosehr sich ein populistischer Politiker seine Medien machen kann, so sehr können sich die Medien auch ihren populistischen Politiker machen.“

Um eine andere Bedeutung des Begriffs „Postdemokratie“ geht es in „Digital democracy, Plato, and web 2.0“, einer irgendwie niedlich betitelten, skeptischen Abhandlung bei openDemocracy:

„In some ways, digital democracy may be a part of postdemocracy (to use Colin Crouch's term). Far from being the natural and easy remedy to the evil of bureaucratic delegation, it risks becoming its inconvenient appendix - a deceitful form of participation, which can turn out to be the very contrary of productive dialogue.“

[listbox:title=Artikel des Tages[Die neue Medienmacht der Grünen (taz)##Wer wird MDR-Intendant?(Tagesspiegel)##40 Jahre Pentagon Papers (Spiegel Online)]]

Unter verschiedenen Aspekten ist heute die New York Times ein Thema: Marc Pitzke erinnert bei Spiegel Online daran, dass sich am kommenden Montag zum 40. Mal die Teilveröffentlichung der Pentagon Papers in der Times jährt. Die von Daniel Ellsberg geleakten Dokumente belegten, dass die US-Regierung die Bevölkerung über den Vietnamkrieg systematisch belogen hatte. Dieses Jubliäum nimmt nun wiederum die US-Regierung zum Anlass, sämtliche 7.000 Seiten zugänglich zu machen - nicht ohne, sich dafür ein bischen auf die Schulter zu klopfen. Da es hier um Whistleblowing geht, leitet Pitzke zur Causa Bradley Manning über, zu der sich aktuell auch der Guardian bzw. Judith Ehrlich, die Autorin des Films „The Most Dangerous Man in America: Daniel Ellsberg and the Pentagon Papers“ äußern.

Die Times höchstselbst experimentiert ab heute mit Crowdsourcing. Sie animiert ihre Leser und User zur Mitarbeit in Sachen Sarah Palin. Hintergrund: „On Friday, more than 24,000 pages of e-mails Ms. Palin sent as governor, mostly using private accounts, are to be released in response to public records requests first made in 2008.“

Um Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft der New York Times geht es in der Jüdischen Allgemeinen. Eva Schweitzer weist darauf hin, dass Jill Abramson (siehe Altpapier vom vorigen Freitag) nicht nur die erste Frau an der Spitze der Times ist, sondern auch „die erste Jüdin, die eine große amerikanische Zeitung leitet“. Das „erste jüdische Gesicht“ ist Abramson wiederum aber auch nicht:

„Das war der vor ein paar Jahren verstorbene A. M. Rosenthal, der 1969 das Amt antrat (...) Rosenthals Berufung galt damals als gewaltiger Fortschritt. In den 30er- und 40er-Jahren hatte das von einer jüdischen Familie verlegte Blatt aus Angst vor Antisemitismus nicht einmal die Namen jüdisch klingender Redakteure über deren Artikel gedruckt.“


Altpapierkorb

+++ Zu der unschönen Tatsache, dass Herr- und Frauschaften von der Bild-Zeitung neuerdings Journalistenpreise verliehen bekommen (siehe auch Altpapierkorb vom Dienstag), findet sich eine Anmerkung bei taz.de (Disclosure: von mir). Anlass: die Silbermedaille, die Veronika Illmer, die Artdirektorin von Bild und Bild am Sonntag, bei den bereits gestern hier erwähnten Lead Awards gewann. Um die Bild-Zeitung geht es auch in der Zeit (S. 46): Evelyn Finger hat sich davon, dass das Boulevardblatt das NS-Opfer Erich Honecker zu einem potentziellen NS-Täter umdeutete, der „für Hitler in den Krieg ziehen wollte“, zu einer furiosen Glosse inspirieren lassen. Moment mal: Die Zeit verteidigt Erich Honecker. Dass es so weit kommen musste! Wird die Wochenzeitung dies dem Boulevardblatt je verzeihen?

+++ Der Freitag bringt ein von Steffen Kraft und Altpapier-Autor Klaus Raab moderiertes Streitgespräch zwischen der „Kopftuch-Bloggerin“ Kübra Gümüsay und dem Datenschützerkritiiker und Post-Privatheit-Ideologen Christian Heller. Der im Netz vor allem unter dem Pseundonym Plomlompom bekannte Diskursstratege sagt: „Datenschützer versuchen, uns davor zu bewahren, dass Daten, die wir anderen anvertrauen, Wege einschlagen, die wir nicht vorhersehen. Der Datenschutz gaukelt vor, dass Informationen, die ich in den Vorgarten entlasse, nicht auf die Straße flüchten. Darauf kann sich aber im Netz niemand mehr verlassen. Wir müssen also Strategien entwickeln, damit umzugehen.“ Zumal angesichts dessen, dass die Algorithmen „immer besser“ und die Maschinen, die die Daten auswerten, „immer schneller“ werden.

+++ The New Left Project rezensiert Ross Perlins Buch „Intern Nation: How to Earn Nothing and Learn Little in the Brave New Economy.“ Es geht um das Unwesen des unbezahlten Praktikums, das in der Medienbranche ja keineswegs unbekannt ist.

+++ Für diese Frau „pinkeln die Männer in Pappbecher“: Die Rede ist von Tina Fey, die mit der Serie „30 Rock“, deren Zukunft in Deutschland unklar ist, das Genre „Sitcom revolutionierte“. Der Anlass für Barbara Schweizerhofs Porträt in der neuen Spex (Juli/August-Nummer): Feys Autobiographie Bossypants ist gerade erschienen.

+++ Kein Tag ohne Jörg Kachelmann: Auf der Panorama-Seite der Süddeutschen seziert Gerichtsreporter Hans Holzhaider das erste Post-Urteil-Interview des Wettermanns. 

+++ Und kein Tag ohne Dominique Strauss-Kahn: Barbara Gärtner schreibt, ebenfalls in der Süddeutschen, über die heute bei arte zu sehende französische Komödie „E-Love“: „Schaut man einen Film aus Frankreich an, bei dem es um Männer und Frauen und Sex geht, dann bekommt man den Gerichtsgang des gefesselten DSK beim Schauen irgendwie einfach nicht aus dem Kopf.“ Zum Inhalt: „Auch bei E-Love geht es beim Sex nicht nur um Sex. Die fast fünfzigjährige Paule (Anne Consigny) sucht eigentlich Trost: Ihr Hallodri-Gatte ist ausgezogen; ein viel jüngeres Röhrenjeansmädchen, klar. Das liest die Elle statt Kritik der reinen Vernunft, heißt Capucine, ist niedlich, vergnügt und nicht so flachbrüstig straff und taff wie Philosophie-Professorin Paule.“

+++ Am Samstagabend noch nichts vor? Für den Fall empfiehlt Peer Schader in der FAZ (S. 31) die Spielshow „17 Meter“, die die von MTV zu Pro Sieben gewechselten Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt ebd. vom Stapel lassen. Die beiden „haben Unterhaltungstalent und definitiv keine Angst, auch mal an Geschmacksgrenzen zu gehen. So viel Mut haben nur wenige der glattgebügelten Frischlinge im Fernsehen. Der letzte, der damit erfolgreich war, erst beim Musikfernsehen und seither bei Pro Sieben, heißt übrigens Stefan Raab“.

Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag nach Pfingsten.

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