Der Kika-Prozess ist eröffnet – und liest sich nach dem Schuldeingeständnis von Marco K. wie die ideale Einzelfallgeschichte. Hat dagegen leider Methode: Ernst Elitz
DSK ist zurück in der Öffentlichkeit: Gestern wurde in New York die Anklage gegen den einstigen IWF-Präsidenten verlesen, der beschuldigt wird, eine Hotelangestellte sexuell belästigt zu haben.
Für Sebastian Moll in der Berliner Anlass, sich den eigenartigen medialen Effekten des juristischen Procederes in den USA zu widmen. Stichwort (wie der konferenz- und diskussionsgestählte Medienhase in uns sagt): Perp Walk, von dem ausgehend Moll über die Rolle der Medien im Gerichtssaal dies- und jenseits des Atlantiks orientiert.
"'In den USA neigen wir dazu, zu glauben, dass die größte Bedrohung der Privatsphäre von der Regierung kommt', erklärt James Whitman, Professor für komparatives Recht an der Yale University diesen Primat der Pressefreiheit. Die Pressefreiheit schütze im Zweifel vor solchen Übergriffen und ist deshalb unantastbar. In Europa hingegen sehe man die Medien als größte Bedrohung der Privatsphäre."
Und noch ein Unterschied in der Auslegung von auf den ersten Blick gleichen Begriffen:
"Der Unterschied zwischen dem französischen und dem amerikanischen Egalitarismus sei, sagt Whitman, dass Frankreich alle Bürger behandele wie Könige. Die Amerikaner hingegen behandelten alle wie einst ihre Sklaven."
Damit schalten wir zum Thema des Tages, dem Auftakt zum Prozess gegen den einstigen Kika-Herstellungsleiter Marco K. in Erfurt, der über Jahre Millionen Euro abgezweigt hat. Und landen bei der Frage, wo Thüringen liegt, angesichts von Steffen Grimbergs Beschreibung in der TAZ:
"Zur Mittagspause werden Marco K. Handschellen angelegt, bevor er den Gerichtssaal verlässt. Das sei so üblich in Thüringen, sagt eine Erfurter Kollegin, auch wenn es in diesem Fall reichlich überflüssig ist. Denn der ehemalige Herstellungsleiter des Kinderkanals (Kika) hat da längst ein umfassendes Geständnis abgelegt."
Grimberg referiert wie Olaf Sundermeyer in der FAZ (Seite 33) und Christiane Kohl in der SZ (Seite 15) die auf ihre Weise rührende Lebensgeschichte dieses "durchaus sympathisch wirkende(n) Mensch(en)" (SZ).
"'Mein Leben stand unter dem Diktat des Leistungssports', sagt er. Bald war der Junge DDR-Meister im Rudersport, doch für Olympia reichte es dann doch nicht: Marco K. war nicht groß genug gewachsen, um in der schweren Ruderklasse zu reüssieren. So entschieden die DDR-Oberen, dass er 'abtrainieren' solle - für Marco K. war das eine der ersten großen Demütigungen."
Schreibt Kohl in der SZ. Das Gefühl des verordneten Abtrainierens stellte sich für K. erneut ein, als er jahrelang auf seiner Position im Kika stagnierte:
"'Ich war eben nur der Hausmeister vom Kika', sagt er noch immer verbittert."
Wiederum aus der SZ. Für K. nimmt irgendwie auch ein, dass der wiederholte Betrug aus, wenn man das so sagen kann, sozialen Motiven entstanden ist. Als der Folgeauftrag für eine Berliner Produktionsfirma gestrichen wurde, bekam er den vom damaligen Kika-Programmgeschäftsführer und heutigen NDR-Fernsehdirektor Frank Beckmann die Anweisung, die Sache "'sozial verträglich' abzufedern", wie die SZ schreibt.
Hinzu kommt, dass K. seinen Anteil am Betrug vor allem zur Finanzierung seiner pathologischen Spielsucht nutzte, die Grimberg in der TAZ beschreibt:
"Und dann erzählt K. mit leicht rötlichem Gesicht von der Lust, der Anspannung, die ihn überkam, vom Bangen darum, ob "sein" Lieblingsspielautomat noch frei sei. Über diesen Daddelkasten namens 'Lucky Lady' spricht er fast so wie über den Kika - liebevoll und gleichzeitig ziemlich frustriert."
Eine etwas trostlose Geschichte, die nur Eike Kellermann im Tagesspiegel betont nüchtern schildert. Das kann freilich einer journalistischen Ethik geschuldet sein, die keiner Mitleidstour auf den Leim gehen will.
Davor schützt sich auch Grimberg:
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Die medialen Effekte des DSK-Prozesses (Berliner)##Schuldeingeständnis im Kika-Prozess (TAZ)##Oh, no, he did it again (TSP)##Etwas ältere, aber nicht unberechtige Journalismuspreiskritik (Print-wuergt.de)##]]
"Wirklich schlau wird man daraus nicht. Denn der Mann, der da auf der Anklagebank sitzt, ist durchaus smart, reflektiert mit Intellekt seine Situation bis hin zur 'Reflexepilepsie', an der er leidet und weshalb das Geblinke des Automatenspiels für ihn eigentlich Gift ist."
Ideal scheint K.s Erzählung auf jeden Fall für die Promotion des "Kika-Skandals" als Verfehlung eines Einzelnen, die Herbert Reinecker in seiner Weltsicht bestärkt hätte.
Die Strukturen beim Kika beziehungsweise dem Öffentlich-rechtliches Fernsehen rücken nur am Rande der Berichte als Problem in den Blick.
"Später habe er versucht, seine psychischen Probleme durch das Spielen zu überdecken. '2005 dann gab es kein Halten mehr.' Davor habe er immer stärker unter dem schlechten Arbeitsklima beim Kika gelitten, das er als 'brutal' beschrieb.... 'Bei Vorschlägen zur Programmplanung wurde ich stets schroff abgekanzelt.'"
Heißt es in der FAZ. Dass daraus mehr Einblicke in die Mechanik der öffentlich-rechtlichen Machtausübung folgen, ist allerdings nicht zu erwarten:
"Doch belasten will er seine früheren Mitarbeiter nicht, weder die ihm Untergebenen in der Herstellungsleitung, die seine Scheinrechnungen als sachlich richtig abzeichneten, noch seine Vorgesetzten wie den heutigen NDR-Programmdirektor Frank Beckmann, der von 2002 bis 2008 als Programmgeschäftsführer des Kika sein direkter Chef war."
Es bleibt eine trostlose Geschichte, an deren Ende K. auf seine zweite Chance hofft (wofür das Nicht-Belasten schon mal eine gute Voraussetzung wäre).
Altpapierkorb
+++ Schade, dass es das von oben verordnete Abtrainieren nicht mehr gibt, könnte nur ein Spaßvogel sagen, es wäre Ernst Elitz, dem einstigen Deutschlandradio-Intendanten doch dringend nahezulegen. Aber, ach, Elitz schreibt heute im Tagesspiegel wieder mal über sich den Journalismus heute: "Virus der Selbstherrlichkeit", "Wahrheitsliebe", und sämtliche Allgemeinplätze von Kachelmann bis Pfister. Kleiner Hinweis: Wenn es demnächst auch mal für die FAZ-Feuilleton-Glosse reichen soll, müsste der öde, notorische und auf einem grundlegenden Missverständnis basierende Internet-Blogger-Kommentatoren-Diss schon auf die abgefahrenen Höhen der gerhardstadelmaierschen Imaginationskraft geführt werden. +++
+++ Widerlich wird Elitzens Printgelobhudele dann an dem Punkt, an dem eine Auszeichnung für einen seiner anderen Arbeitgeber als Beweis für die Qualität von gedruckten Zeitungen herhalten soll, und seien ihre Buchstaben auch noch so groß: "Von der Jury des Quandt-Preises wurde eine Serie von 'Bild' über den Staatsbetrug bei der Aufnahme Griechenlands in die EU aufs Podest gehoben." +++ Traurig genug, dass man an dieser Stelle nur auf Michalis Pantelouris' Blog verweisen kann, in dem der Autor darauf hinweist, dass es doch einigermaßen komplett verlogen ist, eine Zeitung für ihre "faktenstarke und an wirtschaftspolitischen Hintergrundinformationen reiche Reportageserie" (Quandt-Begründung) auszuzeichnen, bei der einem in Bezug auf Griechenland zuerst Häme und Hetze einfallen. +++
+++ "Im Moscone-Konferenzzentrum in Moscone", wie Thorsten Riedl auf Sueddeutsche.de schreibt (und selbstredend San Francisco meint), hat Apple wieder mal Innovation vorgestellt. +++ Marin Majica nimmt in der Berliner die Ankündigung einer Legalisierungsvariante von illegal runtergeladener Musik qua Praktikabilität heiter auf. +++ Das Handelsblatt featuret die Sorge um den kranken Steve Jobs mit einer Bildergalerie möglicher Nachfolger. +++
+++ Das Handelsblatt weiß exklusiv, dass es mit der Erfolgsgeschichte von dann 52 Jahren Sportschau am Vorabend in der ARD vorbei sein könnte – wenn ab 2013 eine Internetbude dick Kohle für die Erstausstrahlung nach den Live-Spielen auf den Tisch legen solllte: "In Kreisen des Profi-Fußballs herrscht hingegen große Zuversicht. 'Eine einvernehmliche Lösung ist in greifbarer Nähe', sagt ein Manager. Insider erwarten eine Entscheidung in den nächsten sechs Wochen." +++
+++ Die FAZ (Seite 33) sorgt sich um das Deutsche Rundfunkarchiv. +++ Die SZ (Seite 15) berichtet vom Helgoland-Diss der TAZ. +++ Rainer Stadler schreibt in der NZZ kursorisch über bloggende Chefs. +++ Und bei Meedia.de liest sich die Erklärung von Konstantin Neven DuMont über Rückmeldungen auf die noch vage Ankündigung seiner upcoming Seite kndm.de ("kritisch, nachhaltig, direkt, meinungsbildend") wie die Gründung einer Behörde: "Vielen Dank für die Anteilnahme. Wir werden uns bemühen alle Anschreiben zu beantworten." +++
Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.