Im Fokus stehen heute die Planungen des Zweiten Deutschen Fernsehens für die Saison 2011/12. Weiterhin aktuell: Datenklau und Datenlecks.
Einen Großkampftag hatten gestern die ZDF-Granden Markus Schächter, Thomas Bellut und Peter Frey zu absolvieren. Auf der jährlichen Programmpressekonferenz in Hamburg galt es nicht nur die üblichen Höhepunkte vorzustellen, sondern auch noch einen neuen Kanal, nämlich ZDFkultur.
„Mit Lobpreisungen an die eigene Adresse“ habe man „um sich geworfen“, findet die FAZ (S. 39), aber man kann ja durchaus verstehen, dass die Mainzer ein bisschen auf die Pauke hauen - wenn man bedenkt, dass sie neulich in Marl der ARD mit 1:11 unterlagen. „Stichwortgeber“ und „Standardformulierer“ in der Prime Time wolle man künftig mit dem Hauptprogramm sein, sagte beispielsweise Markus Schächter. Und nachdem bereits ZDFneo „ein erfolgreicher Eckstein in der Progammfamilie“ geworden sei, soll das nun auch der am 7. Mai startende neue Kulturkanal werden. Die „Netzkultur“ spiele eine maßgebliche Rolle, so der Große Vorsitzende, zu erwarten sei eine „Mischung aus Hochkultur und neuer popkultureller Ambition“, inclusive „Indierock“ und „Electronic Music“ (wobei man Schächter anmerkte, dass er diese Begriffe in seinem Leben noch nicht allzu oft ausgesprochen hat).
Alles in allem sei ZDFkultur eine „in dieser Form im europäischen Fernsehen nicht bekannte Offerte“. Die Sendung „Der Marker“ etwa (laut ZDF-Presseheft ein „mehrmediales Kulturformat“, bei dem online „Verbreitunsgweg und Quelle gleichermaßen“ sei) zeichne sich durch eine „Produktionsform“ aus, die „einzigartig“ sei für die Öffentlich-Rechtlichen“ in - schon wieder! - Europa. Ob es denn nicht Überschneidungen mit ZDFneo gebe, wollte ein Journalist wissen. Die Leiter der beiden Programme säßen oft bei ihm im Büro, die „sehen die Problematik der Kannibalisierung nicht mehr“. Generelle Bedenken in punkto ZDFkultur äußert die FAZ, die moniert, es sei bei der Pressekonferenz „unter den Teppich“ gefallen, „wie es mit den hervorragenden, bereits bestehenden Kulturkanälen Arte und 3sat weitergehen soll – Fernsehsender, die trotz eines hochwertigen Programms unter massiven Sparzwängen leiden“:
„Doch übers Sparen verliert Schächter kein Wort. Dafür betont er bei jeder Gelegenheit, dass die Fixierung auf die drei digitalen Programme – ZDFinfo, ZDFkultur und ZDFneo – den Gebührenzahler keinen Cent mehr kosten werde. Über ‚Umschichtungen und Synergien‘ will Schächter das neue Digital-Konzept finanzieren, wobei unklar bleibt, wer wohin schichtet und wer mit wem synergiert, sprich: den Gürtel enger schnallen muss.“
Auch Christopher Keil tritt in der Süddeutschen als Bedenkenträger auf: „Braucht das ZDF, das ja mit seinem Hauptprogramm in der Mediathek und überhaupt online bestens vertreten ist, drei Digitalkanäle? Ginge das nicht vereint mit der ARD, die ebenfalls digitale Spartensender betreibt?“
Weitere Bonmots der Veranstaltung: Die Sendung „Mona Lisa“ stehe künftig unter dem Motto „Frauen, Männer und mehr“, teilte Peter Frey mit. Noch besser allerdings eine Ankündigung Thomas Belluts: „Wir werden die ‚Terra X‘-Leiste weiter aufbohren.“ Einen Überblick über die ZDF-Planungen liefert der Tagesspiegel. Der Kölner Stadt-Anzeiger (bzw. dapd) weiß, was demnächst auf Jörg Pilawas Dienstplan steht. dwdl.de widmet sich dem kommenden Programm von ZDFneo, unter besonderer Berücksichtigung des „TV Lab", das die Mitbestimmung der Zuschauer über die Ausstrahlung von Serien vorsieht.
Was immer auch ZDFneo wagt und bald vielleicht auch der neue Kulturkanal: Der Sender der Experimente ist derzeit Phoenix, der in Hamburg gar nicht erwähnt wurde, obwohl es sich doch um ein Gemeinschaftsprogramm von ARD und ZDF handelt. Gestern übertrug der Bonner Dokumentations- und Ereigniskanal die Auftaktsitzung der von Angela Merkel einberufenen Ethikkommission zur Energieversorgung, auch kurz Atomkommission genannt. Von 8 bis 21 Uhr dauerte das Ganze, inclusive einiger zum Thema passender Beiträge in den Sitzungspausen (siehe auch Screenshot). Das kann man wohl als radikales Fernsehen bezeichnen. Wer bei cockpit.phoenix.de in der rechten Spalte runterscrollt, kann verfolgen, wie die Zuschauer via Twitter und Facebook das Geschehen kommentierten.
[listbox:title=Artikel des Tages[Die kompletten Guantanamo-Files (Daily Telegraph)##Der Quotendesaster-Wunsch (FTD)##Der Unesco-Skandal (Spiegel Online)]]
Ein großes Thema in dieser Woche und auch heute: Datenkraken und Datenlecks. „Sony und die Folgen des Datenklaus: Ein Blick in die Seele der Playstation-Spieler“, lautet die Unterzeile eines Beitrags in der FAZ. Meike Laaff (taz) meint, es werde ein bisschen zu viel Wind um die Sache gemacht: „Muss es denn gleich der ‚größte Hack aller Zeiten‘ sein?“ Ein seltsamer Laden scheint auch die Unesco zu sein, wie Spiegel Online berichtet. Die Organisation stellte über mehrere Jahre „Bewerbungsunterlagen von Diplomaten, Wissenschaftlern und Mitarbeitern ins Netz“: „Aus den Bewerbungen erfährt man zum Beispiel exakt, wie viel ein leitender Mitarbeiter im diplomatischen Dienst Pakistans verdient (einen sechsstelligen Dollar-Betrag) und welche Angestellten der Weltbank zur Unesco wechseln wollen.“ Außerdem zum Thema Datensicherheit: Steve Jobs als verrückter Wissenschaftler bei „South Park“
politik-digital.de nimmt die Veröffentlichung der „Guantanamo Files“ noch einmal zum Anlass für eine grundsätzliche Abhandlung zu Wikileaks („Ein Beweis für die Vitalität des Whistleblowers? Oder einer seiner letzten Coups?“). Der Daily Telegraph, eines der aktuellen Leib- und Magenblätter von Julian Assange und Co., stellt eine benutzerfreundliche Datenbank mit allen geleakten Dokumenten zu den Guantanamo-Gefangenen bereit.
Altpapierkorb
+++ Die vorerst letzten Worte zur Causa royale Hochzeit und die Medien gebühren Axel Kintzinger (FTD), der ARD und ZDF ein „Quotendesater“ wünscht: „Dieses Engagement ist, vorsichtig ausgedrückt, mutig. Denn das ‚Bild‘- und ‚Bunte‘-Prekariat, noch am ehesten empfänglich für solche Schmonzetten, weiß in der Regel kaum noch, wo auf ihrer Fernbedienung die Knöpfe fürs Erste und Zweite Deutsche Fernsehen zu finden sind.“ Auf den am Donnerstag hier in der Überschrift gewürdigten anti-royalistischen Phoenix-Thementag „Es lebe die Republik!“ geht die taz ein (Disclaimer: Der Artikel ist von mir).
+++ Das TV-Ereignis des Wochenendes? Für Arno Frank (taz) ist das „Xanadu“, eine am Samstag startende Arte-Serie über ein kriselndes, familiengeführtes Erotikunternehmen: „Auf den ersten Blick mag das alles an die schillernde Achterbahnfahrt von ‚Boogie Nights‘ erinnern, in dem Mark Wahlberg den langsamen Verfall und Abstieg eines Pornostars spielte. Für die Heiterkeit indes, mit der ‚Boogie Nights‘ sich im identischen Milieu bewegte, haben Séverine Bosschem (Drehbuch) und Daniel Grou (Regie) keinen Sinn ... Schon im Pilotfilm türmen sich die Ereignisse mit der beklemmend sterilen Wucht von Gus Van Sants ‚Elephant‘ ... Beinahe alle Protagonisten sind auf ihre Weise gebrochen - und wenn sie es nicht sind, dann werden sie es noch..“
+++ Fernsehen in Ägypten; Über ein neues, natürlich erst in Post-Mubarak-Zeiten möglich gewordenes Nachrichten-Parodie-Format im Stile von „The Daily Show“ berichtet die New York Times. Protagonist der „Bassem Youssef Show” (bisher bei YouTube, demnchst auch auf größeren Bildschirmen) ist ein Chirurg.
+++ Neues zu Gerd und Maschi, zwei der edelsten Niedersachsen aller Zeiten. Der NDR berichtet online über die Folgen der bereits im gestrigen Altpapier erwähnten Recherchen zur „möglichen Verwicklung von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) in eine verbotene Parteispende“. Der aktuelle „Panorama“-Film dazu ist ebenfalls zu sehen (erster Beitrag der Sendung).
+++ „Die Triumphpose eines Trottels imponiert der Meinungsmaschine, die einen wie ihn so dringend braucht wie der Brechdurchfall den Zwieback.“ An solchen „Trotteln“ herrscht bekanntlich kein Mangel, in diesem speziellen Fall - in Kay Sokolowskys Beitrag für die Mai-Ausgabe von konkret - ist der französische Kriegstrommler bzw. „Philosophendarsteller“ Bernard-Henri Lévy gemeint.
+++ Der Altpapier-Kollege Christian Bartels hat nebenan Wolfgang Storz interviewt, Ex-FR-Chefredakteur und Co-Autor der Studie "Drucksache Bild": „Es gibt keine große politische Mission von Bild ... Der Kern ist der wirtschaftliche Aspekt: höchstmögliche Auflage, höchstmöglicher Umsatz - dem wird alles mit einer Konsequenz untergeordnet, die andere Verlage nicht kennen und nicht mitmachen wollen. Deshalb ist es im Kern gar keine Zeitung, sondern bedient sich aus allen Gattungen der Kommunikationswelt.“ Ein anderer Wesenszug der Bild-Zeitung: Den Rechtsstaat schätzt man dort nicht so sehr. Das gilt, wie der Bildblog weiß, außerdem für die Hamburger Morgenpost, die derzeit auch aus anderen Gründen auffällige B.Z und den Berliner Kurier. Als Gastautor für den Bildblog ist Bastian Schweinsteiger wohl noch nicht geeignet, eine gewisse medienkritische Grundhaltung ließ er aber immerhin schon erkennen, als er gestern bei der Pressekonferenz des FC Bayern „einen Chefreporter“ der Sport-Bild als „Pisser“ titulierte (ebenda). Anlass der verbalen Blutgrätsche war, dass der Herr Kollege den Mittelfeldstrategen als „Chefchen“ bezeichnet hatte (siehe auch Spiegel Online).
+++ Sehr grundsätzlich wird die Zeit in ihrer aktuellen Ausgabe: „Die Grenzen der eigenen Konzentrationsfähigkeit“ angesichts des „Nachrichten-Trommelfeuers“ und des „Zwangs zu permanenter Erreichbarkeit“ - gleich in drei Texten des Ressorts Wissen (ab S. 39) stehen diese Themen im Mittelpunkt. Was tun, wenn man mal abschalten will? Die Soziologin und Microsoft-Mitarbeiterin Danah Boyd hat sich kürzlich für ein vierwöchiges „E-Mail-Sabbatical“ entschieden, das heißt, sie hat alle Mails in diesem Zeitraum gelöscht. Die Frage, was „wir im Auge (respektive im Postfach) behalten“ sollen, sei „zu keiner Zeit drängender“ gewesen „als heute, da wir über eine nahezu unendliche Zahl an Kommunikationskanälen verfügen“, schreibt Ulrich Schnabel. Unser „so genanntes Arbeitsgedächtnis“ steht aber noch vor einem weiteren Problem: „Nicht nur die Verarbeitung von Informationen, auch die Trennung von Wichtigem und Unwichtigen benötigt ‚Rechenkapazität‘ in unserem Gehirn. Denn um eine störende Botschaft auszubleden, muss man sie zunächst einmal als unwichtig klassifizieren.“
Neues Altpapier fürs Arbeitsgedächtnis gibt es wieder am Montag.