Was macht das Fernsehen bloß mit uns Zuschauern? Dschungelcamp, Heterosexualität, Maschmeyer und was sonst noch alles als Problem markiert ist
Das Wort zum Sonntag kommt in dieser Woche schon am Dienstag und steht im Diösezan-Brief aus Frankfurt auf Seite 35. Pastor Wolf Bauer, im Nebenerwerb Vorsitzender der Produktionsfirma Ufa, zeigt sich darin auf der Höhe der Zeit, die sich am Kenntnisstand neuester Neurologie-Erkenntnisse gut messen lässt:
"Manfred Spitzer, einer der profiliertesten Forscher in diesem Gebiet, der sich insbesondere mit der Mediennutzung auseinandersetzt, sagt: 'Das menschliche Gehirn lernt immer!'"
Weil das so ist, verabschiedet sich das menschliche Gehirn also auch nicht dann, wenn sein Träger vor der Glotze hockt und Bauers fesche Produktionen schaut ("GuZe", demnächst der Event-Zweiteiler "Hindenburg"). Leider gibt der Text keine Auskünfte darüber, was Manfred Spitzer und seine Buddies davon halten, dass seit der Erfindung des Event-Zweiteilers Geschichte in der Rübe des aufmerksamen Zuschauers als etwas abgespeichert wird, bei dem sich eine Frau zwischen zwei Männern entscheiden muss.
Bauers FAZ-Text zielt eher auf das Allgemeine und das Kommende. Dazu hat er einen Aufgabenkatalog für ein Fernsehen erarbeitet, das sich seiner Gehirndauerbearbeitung durchaus bewusst ist (das wird jetzt lang).
"An die Kreateure und Programmexperten von Unterhaltungsformaten ergeben sich daraus vier Aufgaben: Erstens: Wir müssen genau wissen, was Fernsehen und andere Medien bewirken, was sie anrichten können. Wir sollten uns damit in der Aus- und Fortbildung intensiver als bisher beschäftigen. Wir müssen uns der Diskussion mit der kritischen Öffentlichkeit stellen. Unser Tun ist ein öffentliches. Entsprechend hat die Öffentlichkeit auch ein Recht, Fragen zu stellen und Antworten zu bekommen. Wir müssen in besonderer Weise ein Gefühl für gesellschaftliche Strömungen und Werteverschiebungen entwickeln, um als Spiegel der Gesellschaft auf der Höhe der Zeit zu sein. Wir sollten uns davor hüten, gesellschaftliche Regeln oder Werte diktieren zu wollen. Dazu haben wir keine Legitimation. Gerade weil wir über die Bühne zur Öffentlichkeit verfügen, müssen wir dieser Versuchung widerstehen."
Wenn Sie jetzt fragen, wo zweitens, drittens und viertens geblieben sind – wissen wir auch nicht. Stecken da vermutlich mit drin. Ist sowieso eher ein Absatz mit Aphorismen, bei denen das alte Türsteher-Motto auf die Frage nach dem Grund der Nichtreinlassung gilt: Such dir einen aus.
Was wir aber mitnehmen aus Bauers Bekenntnis zur eigenen Verantwortung: Fernsehen bleibt nicht folgenlos, erst recht nicht beim Zuschauer.
Das würde wohl auch Niki "das Kapperl" Lauda unterschreiben, der sich das Verhältnis zwischen Glotze und Mensch reichlich infektiös denkt.
Weil auch in Österreich eine Tanzshow mit Prominenten läuft und einer der Prominenten – der lustigerweise Haider heißt – schwul ist und sich deshalb einen Tanzpartner statt einer Tanzpartnerin gewünscht hat, gibt der einstige Rennfahrer einem Agenturbericht im KSTA zufolge zu Protokoll:
"Ich bin empört, dass sich der öffentlich-rechtliche ORF, der ja von unser aller Gebühren finanziert wird, aus reiner Quotengeilheit dafür hergibt, schwules Tanzen zu propagieren", sagte Lauda in einem Interview mit der Zeitung "Österreich" (Montagsausgabe).
Wer jetzt zu dem vorschnellen Schluss kommt, dass Lauda etwas gegen Homosexuelle habe, lese bitte im Original nach, wo das Kapperl erklärt, wie es wirklich ist:
"Ich habe absolut nichts gegen Schwule und Lesben gesagt, das würde mir nie einfallen."
Dann sind wir beruhigt, weil Niki Lauda ja am besten wissen muss, was er hat und was nicht. Worum es ihm geht, sind allein die Rückkopplungseffekte zwischen der Glotze und den Gehirnen respektive sexuellen Gefühlen seiner Kinder:
"'Ich will nicht, dass meine Kinder im ORF sehen, dass ein Mann mit einem Mann tanzt – und dass sie glauben, das nachmachen zu müssen', sagte Lauda."
Da möchte man dem Kapperl mit Aristoteles, einem Manfred Spitzer avant la lettre, zurufen: Es gibt noch mehr wie Mimesis auf der Welt! Anders etwa ist der Erfolg des ungemein beliebten Dschungelcamps nicht zu erklären. Wobei wir jetzt einfach mal voraussetzen, dass durchschnittlich sieben Millionen Deutsche ihren Speiseplan nicht auf Kakerlaken und Mehlwürmer umgestellt haben.
Einen Eindruck von der begeistert-schweigenden Mehrheit der ganz gewöhnlichen Dschungelcamp-Zuschauer liefert das Umfrageinstitut stern.de, das nicht zum ersten Mal mit avanciert gemachten Straßenumfragen für Freude sorgt.
Unser Favorit ist die gut gekleidete Blondine, die mit frivoler Scham ihre Motive (bei 0.35) und Vorlieben (bei 1.21) eingesteht.
Auch der Sonderforschungsbereich "Soziologie des Medialen", kurz Meedia.de, versucht sich an einer "Typologie" des Dschungelcamp-Zuschauers. Da ist, in Sachen Witz, nach oben allerdings noch Luft. Wobei, bei dem Format vielleicht auch nicht.
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Beim Dschungelcamp zuschauen (Berliner)##Content-Farming stört Google (FTD)##Keine Leichtathletik-WM in ARD und ZDF (TSP)##PR vs. Journalistik in L.E. (TAZ)##]]
In der Berliner Zeitung fragt sich Marcus Bäcker, was das Dschungelcamp mit "uns Zuschauern" macht. Neben treffenden Analysen wie den verschiedenen Ebenen des Spotts macht sich dabei allerdings immer wieder die Angst breit, das da doch etwas zu weit gehen könnte, weshalb Bäcker am Ende etwas bauerig wird im Ton.
"Und so sitzt man zu Hause im Warmen und schaut zu, wie andere stellvertretend für einen die Aggressionen ausleben, die sich unter dem Firnis des zivilisierten Verhaltens angestaut haben. Das ist ein wenig wie in David Finchers Film 'Fight Club'. Nur dass man es hier bequemerweise nicht selber ist, der eins auf die Fresse bekommt."
Als Aristoteles-Aficionado könnte man sagen: Das ist im Theater nicht anders. Oder in Filmen wie "Fight Club". Da bekommt man als Kinobesucher auch nicht unbedingt was auf die so genannte Fresse. Und die, die sich da gegenseitig prügeln in diesem Film, sind Schauspieler, die dafür bezahlt werden, dass sie so tun als ob.
Da wir das geklärt hätten, hauen wir hier noch den Anti-Bauer rein: Content-Farmen. Null Verantwortung, null Moral, nur dahin, wo die Kohle ist. Also Google optimierte "Nachrichten" produzieren, damit Werbung platziert werden kann, die dann eben bei Google gut kommt. Weshalb Google jetzt was dagegen unternehmen will, wie die FTD schreibt.
Altpapierkorb
+++ Wie kommen wir jetzt auf Carsten Maschmeyer? Egal. Im KSTA steht ein Agenturbericht, der sich auf die FAZ vom Samstag bezieht (die ihrerseits heute eine kleinere Meldung zum Thema hat, Seite 35). Demnach soll der von seinem Anwalt nach der NDR-Presenter-Reportage über die Verbindungen des "Drückerkönigs" in die Politik verschickte Fragenkatalog ("in welchem Arbeitsverhältnis der Reporter zum NDR stehe und wie seine Bezüge aussehen") in Richtung NDR keineswegs der Einschüchterung von Journalisten dienen. Es sei "lediglich um Auskunft zu verschiedenen Fragen gebeten" worden. Hätten wir das auch geklärt. Vielleicht springt da sogar noch eine neue Dokusoap zur Wertevermittlung raus: "Drückerkönig Maschmeyer und Heten-Lauda – die Hermeneutik-Sheriffs. Zwei Missverstandene räumen auf" +++
+++ Könnte doch ganz lustig werden mit Gästen wie Sarah Knappik und Daniela Katzenberger ("Ich bin total künstlich, aber dafür verstelle ich mich nicht"). Zumal Peer Schader im FAZ-Fernsehblog festgestellt hat, dass Matze Knop jetzt da auftaucht, wo früher mal Kabarett war in der ARD. +++ Hannes Jaenicke ist auf Sat.1 "Allein unter Müttern" (nach "Allein unter Töchtern" und "Allein unter Töchtern", FAZ, Seite 35, eher nicht so begeistert) und macht damit den Auftakt zu den großen Hannes-Jaenicke-Wochen – er wird uns auch im "Schimanski" am nächsten Sonntag begegnen und Anfang Februar, wenn die "Hindenburg" kaputt geht, als hätte Pantchev Mehdorn damals schon die Luftschifffahrt zu verantworten gehabt. +++
+++ Auch im Fernsehen, aber gelobt: Klaus Sterns extended "Baader"-Dokumentation von 2002 (TSP, SZ, Seite 15). +++ Nicht mehr im Fernsehen: Keith Olbermann, der im durchideologisierten Amerika zu den Linken zählte. Sebastian Moll erklärt in der Berliner den überraschenden Rückzug allerdings nicht politisch, sondern medienökonomisch. +++ Surprising USA, Teil 2: Oprah hat ne Schwester. Viel mehr fällt der Welt dazu aber nicht ein. +++
+++ Die Öffentlich-Rechtlichen müssen an sparen. An der Leichtathletik-WM, die sie nicht live aus Südkorea übertragen wollen können. „Wir müssen uns mit unseren finanziellen Beträgen stärker als bisher am Markt orientieren und uns auch für die Summen rechtfertigen, die wir ausgeben“, wird ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz im Tagesspiegel zitiert. Ein Mann für Maschi und Niki? +++ Immerhin gibt's die Prinz-William-Hochzeit für lau (HB), weshalb ARD und ZDF sie parallel zeigen können um Geld für teure Sendezeit zu sparen, dass dann den 20.15-Uhr-Dokumentationen zu gute kommt. +++
+++ Die TAZ widmet sich dem Leipziger Unistreit zwischen PR und Journalistik. Es wird persönlich. +++
+++ Der Schauspieler Hellmut Lange ist gestorben. Nachrufe hier, hier und hier. +++
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