Ein ziemlich bekanntes deutsches Blog wurde im Rahmen eines Abmahnungsverfahrens abrupt abgeschaltet. Und ein ziemlich großer Betrugsfall im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird unter die Lupe genommen.
Wenn jetzt ein "'Shitstorm' ...wehen" soll und "der Hammer" herausgeholt wird; wenn von einem "Gemetzel biblischen Ausmaßes" sowie von "Geschnetzeltem" die Rede ist, dann geht es dennoch nicht ums derzeit für den geifernden Boulevard wie für genüsslich beobachtende Spätfeuilletonisten gleichermaßen alternativlose Medienmegathema "Dschungelcamp".
Vielmehr berichtet die FAZ von neuen Verwerfungen in der kämpferischsten Sphäre der Medienwelt, der Blogosphäre. Was diese aufwühlt, ist die Abschaltung des bislang vom Berliner René Walter, einem der "wenigen hauptberuflichen deutschen Blogger" (meedia.de), geführten Blogs nerdcore.de durch dessen Gegner in einem Abmahnungsverfahren, ein nicht unumstrittenes Unternehmen names Euroweb Group.
Die beiden letzten Zitate ("Gemetzel", "Geschnetzeltes") entstammen einem Kurzinterview der Berlin-Kreuzberger Webseite blog.rebellen.info, das die FAZ im Rahmen ihrer Berichterstattung vollständig, äh, dokumentiert. Die eigene Einschätzung des FAZ-Redakteurs Marcus Jauer lautet dann:
"Zusammengefasst sieht es so aus, als fühle sich die Blogosphäre wieder einmal kollektiv angegriffen, nur weil einer von ihnen auf Recht und Gesetz verwiesen wird, sich deren Bestimmungen aber nicht unterwerfen will sondern mit Vergeltung droht."
Weniger rabiat stellt sich das Thema in den Augen des Betrachters von der Süddeutschen dar. Was Niklas Hofmann auf der Medienseite und online im Digitalressort berichtet, enthält human touch. Es erklärt Walters "unbegreifliche Nachlässigkeit" beim Umgang mit einer (wegen eines Blogeintrags von 2006) im Sommer 2010 von Euroweb erwirkten Abmahnung damit, dass der Blogger "um seine erkrankte Mutter zu pflegen, ...Monate im Elternhaus verbracht und eingehende Post ignoriert" habe. Und zeigt Euroweb-Chef Christoph Preuß als einen, der sich ja bloß "nicht auf der Nase herumtanzen lassen" wolle.
Wie diese unterschiedlichen Blickwinkel ungefähr zustande kommen konnten, erklärt taz.de: Zu bestimmten Zeiten am gestrigen Dienstag, als er in der aktuellen Sache stark angefragt wurde, wollte René Walter "ausnahmsweise nicht undiplomatisch klingen". So wie andererseits auch Gegenspieler Preuß sich auf seiner (zunächst, siehe Foto, schnöde abgeschalteten) Neuerwerbung inzwischen zwar Triumphgefühl noch immer nicht verkneifen kann ("Neue Erfahrung für Blogger: Blogbetreiber verliert seine Domain"), aber dennoch ankündigt, nicht materiell davon profitieren zu wollen. Vielmehr soll nerdcore.de "für einen gemeinnützigen Zweck versteigert" werden, der zu 50 Prozent aus Wikipedia und zu 50 Prozent aus den Freischreibern bestünde.
Dieser Freie-Journalisten-Verband hat jedoch (wie allerhand Wikipedianer) erkannt, wo hier der Hammer hängt und will eventuelle Spenden aus dieser Quelle nicht annehmen:
"Wir aber haben das Gefühl, dass hier mit ziemlich dicken Kanonen auf zierliche Spatzen geschossen wird. Und davon möchten wir nicht profitieren. Und wir möchten auch nicht, dass sich der Kanonier mit einer Spende an Freischreiber ein moralisches Mäntelchen für eine klassische Überreaktion umhängen kann."
Die alten nerdcore.de-Inhalten sind derzeit übrigens unter crackajack.de verfügbar. Schließlich vergisst das Netz im Prinzip nichts [und falls Sie in dieses Thema tiefer einsteigen möchten: Deutschlands führender Medienethiker Stefan Niggemeier, der in dieser Funktion neuerdings auch im medium magazin kolumniert, erläutert in seinem Blog anhand einer Bittmail eines namentlich nicht direkt genannten Ex-Mitarbeiters der Bild-Zeitung ausführlich, dass es "oft zu wünschenswerteren Entscheidungen (führt), wenn Menschen davon ausgehen müssen, dass das, was sie tun, nicht hinterher gleich wieder vergessen ist"].
Falls Sie lieber tiefer ins Nerdcore-Euroweb-Thema einsteigen möchten, zu dem selbstverständlich jede Menge Material im Netz verfügbar ist: Der o.g. TAZ-Artikel enthält weiterführende Links. U.a. kommt dort auch der WDR vor, der nach einem Fernsehmagazinbeitrag "Kunden zu Wort kommen lassen (hatte), die sich von Euroweb getäuscht sahen", entsprechende Online-Beiträge aber kürzlich gelöscht habe.
Womit wir wieder in der Sphäre der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten sind, in der auch dann keine Hämmer herausgeholt oder Shitstorms entfesselt werden, wenn der "wohl größte Betrugsskandal in der Geschichte der ARD" (Süddeutsche) bzw. "eine der teuersten Betrügereien in der Geschichte von ARD und ZDF" (FAZ, S. 33) aufgearbeitet werden muss.(Und falls es doch zum Äußersten käme: Der Intendant des zuständigen MDR, Udo Reiter, hat nach eigenen Angaben einen Shitstorm ja schon überstanden).
[listbox:title=Artikel des Tages[Die Nerdcore-Euroweb-Sache in der FAZ##...in der SZ##...in der TAZ##...bei den Freischreibern##nerdcore.de heute##Kika-Skandal-Kommentar des Tsp.##TAZ-Kriegsreportage über Geo & die Berbens]]
Der auf derzeit sieben Millionen Euro bezifferte Betrungsfall beim Kinderkanal wird nun näher untersucht. Der Süddeutschen ist zu entnehmen, dass der des Betrugs angeklagte Herstellungsleiter schon "an der Haushaltsplanung beteiligt (war). Dabei, so heißt es jetzt aus Kreisen des Verwaltungsrates, habe er vermutlich 'die zu veruntreuenden Gelder schon im Voraus in das Budget mit eingeplant'". Die TAZ sieht das Problem in der "personellen Schlank"-heit des Kika. Am ausführlichsten berichtet die FAZ, die den Eindruck hat, "dass der MDR für 'rückhaltlose Aufklärung' sorgt, wie der Intendant Udo Reiter es nach der Sitzung des Verwaltungsrates am Montag ausdrückte."
Das klingt für FAZ-Kenner erstaunlich, aber diesen Bericht hat nicht Medienseitenchef Michael Hanfeld verfasst, sondern der freie Journalist Olaf Sundermeyer. Den grundsätzlichen Hanfeld macht heute, und das gar nicht mal übel, Joachim Huber vom Tagesspiegel. Seinen Kommentar müssen die jeweils zuständigen Sachbearbeiter nicht nur Reiter, sondern auch dem NDR-Fernsehdirektor Frank Beckmann sowie Verena Kulenkampff und Markus Schächter bitte angemarkert vorlegen:
"Tag für Tag kommen die Gebühren ins Haus, bis am Ende eines Jahres 7,6 Milliarden Euro bei ARD, ZDF und Deutschlandradio gelandet sind. Kein Cent musste verdient werden, das Augenmerk liegt auf dem Ausgeben. Das erzeugt einen anderen Bezug zum Geld. Der böse Witz am KiKa-Betrug ist ja der, dass die sieben Millionen Euro, für die es keine Gegenleistung gab, beim Programm-Machen gar nicht vermisst wurden."
Dass der Bezug zum Geld an den unterschiedlichen Ecken der gegenwärtigen Medienlandschaft jedenfalls ein völlig unterschiedlicher ist, kann man an diesem Mittwoch schön erkennen. In der Nerdcore-Eurwrb-Sache soll es um insgesamt 2000 Euro gegangen sein, die Blogger René Walter zum Teil nicht bezahlt hatte - ein 3500stel der beim Kika entschwundenen Summe.
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+++ Wo bleibt das Positive? In einem nur online erschienenen Beitrag Hanfelds, der sich über einen "sensationellen Transfer" in der Sphäre des Privatfernsehens freut. Erstmals erfährt eine deutsche Fictionserie ein Remake in den USA. Die Sat.1-Produktion "Danni Lowinski" soll bei The CW, das in der Liga der amerikanischen Fernsehsender auf Platz fünf rangiert, sogar denselben Namen tragen.+++
+++ Auch positiv: Bertelsmanns Geschäftszahlen (kress.de). Die sind nicht nur der Umsetzung von Reinhard Mohns Führungsprinzipien durch Dirk Bach und Sonja Zietlow auf RTL zu verdanken, sondern auch dem erfolgreichen Sparkurs bei Gruner+Jahr. "Die Januar-Ausgabe von 'Geo-Saison' etwa beinhaltet nur noch zwei Geschichten, für die eigens Fotografen losgeschickt wurden. Der Rest ist Agentur- und PR-Material", findet TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester einen Wermutstropfen (und außerdem an anderer Front die hübsche Formulierung, dass Oliver Berben TV-Produktionen "auch 'Nicht ohne meine Mutter' heißen könnten, weil er Iris Berben in allem unterbringt, wofür Veronica Ferres zu blond ist"). +++
+++ Eine Menge griffiger Formulierungen hat auch Focus-Chefredakteur Wolfram Weimer im großen Tagesspiegel-Interview zum Magazinjubiläum parat: "Nachrichten- und Orientierungsmagazin" etwa, und: "Neben Nutzwert muss es auch Denkwert geben". Und einmal hat Weimer glasklar Recht: "Stellen Sie sich die deutsche Presselandschaft als einen vielstimmigen Chor der Meinungsbildung vor - in der Vergangenheit hörte man zuweilen aber nur eine Melodie. Mal war sie konservativ, mal eher links, mal marktliberal. Der Chor war mir häufig zu konform in den Meinungen." +++
+++ Was nun auch nicht gleich wieder vergessen, sondern für die relative Ewigkeit des Internet festgehalten ist: der vorbildliche Umgang des HNA-Chefredakteurs Horst Seidenfaden mit "erkannter eigener Beklopptheit" (Niggemeier nochmal). +++
+++ Ins Ausland: Die FAZ berichtet über das US-TV-Talkdebüt des Briten (und Larry King-Nachfolgers) Piers Morgan. +++ Die SZ über die unter guten Vorzeichen anlaufende Sanierung der Zeitung Le Monde. +++ "Einmal mehr erscheint Facebooks Umgang mit gemeinhin als vertraulich gesehenen Daten dabei als eine Trial-and-Error-Verfahren - man lässt Versuchsballons los und wartet ab, ob die steigen" (SPON). +++
+++ Ins Fernsehen: Immer noch ist Dieter Pfaff in der ARD als "Bloch" unterwegs (BLZ, Tsp.). "Der Kölner Dom wird zur Kulisse eines Dramas, das man sogar als Ungläubige gegen einen Mitschnitt der Oberammergauer Passionsspiele eingetauscht hätte", ätzt Swantje Karich in der FAZ. "Dieter Pfaff trifft den Heiland und macht sich fast dünne", sprachscherzt die SZ. Bei dem religiösen Thema fragt man sich natürlich, was denn evangelisch.de dazu wohl meint. +++ "Wenn der Film endlich da angekommen ist, wo seine Macher hinwollen, erzielt er allerdings auch eine beachtliche Dichte", schreibt Nico Fried in der SZ indes über eine Sendung, die erst am 24. Januar läuft. +++ Dereinst könnten die Menschen ganz aus dem Fernsehen verschwinden (FR/ BLZ). +++ Nutzwert für verunsicherte Dioxin-Verbraucher hat Peer Schader sowohl in Tim Mälzer-Shows wie auch bei ZDF-Neo entdeckt (ebd.). +++
+++ Das FAZ-Feuilleton (S. 27) problematisiert ein bisschen Kurt Becks Verleihung der Carl-Zuckmayer-Medaille an den Ex-Süddeutsche-Chefredakteur Hans Werner Kilz, weil die Jury eigentlich einen anderen Preisträger empfohlen hatte, nämlich den Mainzer Mittelalter-Philosophen Kurt Flasch, der aber andererseits mit dem Lessing-Preis und dem Hannah-Arendt-Preis auch schon prämiert genug sei.+++
+++ Die Welt hat nach eigenen Angaben das "Wikileaks-Kartell" u.a. des Spiegel gebrochen, und zwar mit norwegischer Hilfe (siehe auch meedia.de, dwdl.de). +++ Und der Winter hat, wenn auch in einer Autofahrernation wie der deutschen ein eher schlechtes Image, so doch jedenfalls sein Gutes.