Das Wunder und Winnetou

Das Wunder und Winnetou

Jede Menge wirklich schöner Livecontent aus Chile. Jede Menge Ansichten zur Medienzukunft direkt aus München, die immerhin teilweise glänzend performt wurden. Zumindest von Mathias Döpfner.

Livestreams, Liveticker, stundenlange Live-Fernsehübertragungen und das Allerbeste: alle Kumpel dann auch tatsächlich alive am Tageslicht - "das Wunder von Chile" (ein schon derart verbreiteter Begriff, dass er kaum mehr ins Titelschutzregister einzutragen sein dürfte) ist eine der raren wirklich schönen Geschichten, zumal vom Ende her betrachtet. Gestern rockte sie den ganzen Tag das Internet und das Fernsehen, heute sprengt sie die gewohnte Optik vieler Zeitungen.

Aber müssen wirklich alle Erstumarmungen in unterschiedlicher Perspektive auch noch mit Pathosmusik unterlegt wiederholt werden (wie z.B. im ZDF-"auslandsjournal" gestern abend), müssen Heerscharen deutscher Experten Fernexpertisen abgeben und außer Straßenpassanten auch deutsche Kumpels befragt werden, was sie davon halten?

Schwierige Frage, eine für Chefredakteure (wie Peter Frey im ZDF-"heute journal" gestern).

Allein der Tagesspiegel versucht heute, aus extensiver Beobachtung die Wunder-Aufarbeitung als Mediencontent, zumindest als Fernsehcontent zu bewerten. Der Privatsender n-tv sei früh dabei gewesen, aber im "spannendsten Moment der Nacht" "nicht mehr live auf Sendung". Mitbewerber N2 war's, leistete sich aber "Text-Bild-Scheren". Und im ARD-/ ZDF-"Morgenmagazin" tat sich Moderator Sven Lorig "manchmal schwer mit dem richtigen Tonfall für die Ereignisse, die doch anders waren als sonst im Frühstücksfernsehen". Kleinliche Kritik?

Dietrich Leder nominiert "jene chilenischen Bergleute, die in einem Stollen ihres Bergwerkes eingeschlossen sind", wie er im heutigen Freitag (und zum Glück bereits zu Unrecht im Präsens) schreibt, gar schon für den nächsten Deutschen Fernsehpreis, also für den Ehrenpreis der Stifter, den gerade die deutsche Fußballnationalmannschaft gewann. Konkurrenten seien allerdings Nicolas Berggruen und das Wetter (was natürlich polemisch gemeint ist. Sich aber nicht gegen die Bergleute richtet).

Zurück zur Frage, ob das Wunder in Unmengen von Mediencontent umgewandelt werden muss. Besser, die Menschen schauen sich erhebende Liveberichte an als Nachmittagsshows, in denen "Tätowierte Ausdrücke (benutzen), die ich in meiner Jugend höchstens auf dem Pissoir gelesen habe", würde Helmut Markwort wahrscheinlich sagen.

Gestern wurden in München die Medientage eröffnet. Und Markwort führte zur Eröffnung wie jedes Jahr durch ein dicht besetztes Elefantenrunden-Podium, dessen Beobachter im Publikum noch intensiver als in den Vorjahren glaubten, so dringend wie die Medien selbst, so dringend müsste auch der Münchener Mediengipfel reformiert werden (siehe meedia.de, incl. der Kommentare darunter). "Wenn Altbekanntes bewährt sein soll, dann hat der 'Mediengipfel' der Münchner Medientage sein Ziel erreicht", formuliert es die FAZ (S. 35) ein wenig netter.

Immerhin performte ein deutscher, man kann ruhig sagen: Weltstar der Branche. Er "hielt seine Rede bei den Münchner Medientagen frei, nur mit zwei kleinen Zetteln in der Hand", wurde und wird (Süddeutsche) vielfach bewundernd registriert. Ja, selbst die populäre Bild-Zeitung (die freilich zu Mathias Döpfners Konzern gehört) schenkt dem Auftritt online eine attraktive Schlagzeile mit dem Foto einer besonders eindrucksvollen Pose. "Döpfner macht den Winnetou", lautete am Morgen die (inzwischen, vielleicht weil nicht respektgebietend genug, wie auch das Foto geänderte) Schlagzeile. Sie lautete so, weil Döpfner

"aus dem Karl-May-Film 'Winnetou 3' (zitierte): 'Ich erinnere mich, wie Winnetou und Old Shatterhand auf ihren Pferden hoch oben auf einem Berg stehen, die rote Abendsonne am Horizont. Unter ihnen fährt zischend ein Dampfross, eine Eisenbahn, vorbei, und Winnetou sagt: 'Nur wer sich dem Fortschritt nicht verweigert, der wird überleben'."

Das Allegorische bezieht sich selbstredend auf den digitalen Medienwandel (und dass "Winnetou 3" der Film ist, dessen Ende Winnetou nicht überlebt, muss damit in keinerlei Zusammenhang damit stehen). Mehr zu den Medientage (und Döpfners Pose) in der TAZ.

[listbox:title=Artikel des Tages[Wunder-TV-Rezension (Tsp.)##Elefantenrunden-Rezension (meedia.de)##Digitales Lumpenproletariat (faz.net)]]

Vielleicht zu Ehren der Münchner Medientage, vielleicht auch einfach so, erschienen gerade ganz besonders viele Beiträge zur Lage und Zukunft der Medien. Zum Beispiel in der Süddeutschen ein Interview mit Janet Robinson, Vorstandsvorsitzender der New York Times Company ("Ich sehe die NYT Company als eine Nachrichten- und Informationsfirma, die auf vielen verschiedenen Plattformen präsent und aktiv ist. Ich bin Plattform-Agnostiker. Wo immer die User sind, da wollen wir auch sein"), die über die kommende "Paywall" der NYT im Internet sagt, diese werde ein "Metered Model" sein,

"das so ähnlich wie eine Parkuhr oder ein Verbrauchszähler funktioniert. Wenn Sie auf unsere Seite kommen, dann werden Sie eine gewisse Anzahl von Artikeln kostenfrei lesen können. Erst dann werden Sie aufgefordert, sich für ein Bezahlmodell zu entscheiden. Mit diesem Modell bleiben wir einerseits weiterhin angeschlossen an das Ökosystem des Webs und erschließen andererseits neue Umsatzquellen."

Zum Beispiel in völlig anderer Tonalität bei faz.net im "Deus ex machina"-Blog ein auch nicht unlesenswerter Beitrag über "Das digitale Lumpenproletariat", dessen Leitwährungen "in einer unterfinanzierten Zeit" halt "Spaß und Identifikation" seien. En passant samplet Autor Nicander A. von Saage, fast wie Döpfner, jede Menge bekannte Literatur:

"Dann fiel ihm irgendwann auf, dass man Kommentare nicht essen kann und er fragte Tom Sawyer, ob er nicht einen Anteil an den Werbeeinnahmen haben könne. 'Immer geht es nur ums Geld', seufzte Tom und schaute auf seine iPhones. Dann rechnete er Karsten aus, dass der Point of Even noch nicht erreicht sei, es aber nur noch eine Frage der Zeit wäre, bis sie Spiegel Online überholt hätten. Und ob er nicht einen Riesenspaß hätte. 'Du bist doch vorher auch zurecht gekommen, nimm doch jetzt die blöde Kohle nicht so wichtig, Dicker.'"


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+++ Im eben zitierten "Deus ex machina"-Beitrag kommt die Rede auch auf die alte Spex, von der wiederum die Süddeutsche ganz Neues zu vermelden weiß: "Der Berliner Journalist Max Dax ist als Chefredakteur der wichtigsten deutschen Popzeitschrift Spex zurückgetreten". Dabei sei Dax "ein Glücksfall" gewesen. Es ging jetzt selbstredend ums Geld, "eine freigewordene Stelle in der ohnehin nur aus dreieinhalb Stellen bestehenden Redaktion" sollte nicht wiederbesetzt werden. +++

+++ Doppelseite im Freitag zu Wikileaks. Der Dissident, den sie Daniel Schmitt nannten, schreibt unter seinem Klarnamen Daniel Domscheit-Berg über die Krise des Whistleblowing im Internet. "Aber die Idee darf nicht sterben. Man muss sie nur besser umsetzen". Detlef Borchers' Entgegnung ("In ein auf maximale Außenwirkung abgestimmtes Konzept von Wikileaks als PR-Agentur passen keine Aktionen von Whistleblowern, die eine nationale, gar regionale oder nur kommunale Bedeutung haben") steht einstweilen nicht online. +++

+++ A propos Ideen besser umsetzen: ein großes österreichisches Interview mit dem auf seinem Creative Commons-Foto toll begeistert aussehenden Philosophen  Richard David Precht gibt's bei Carta. Es geht um Medienkompetenz und dergleichen. Precht wirkt ein bisschen so, als sei er gerade von einer Reise in die Renaissance zurückgekehrt. +++

+++ Einer, der seine Ideen umsetzt: Johannes B. Kerner. Seine neueste Geschäftsidee mit Werner Klatten als Partner und etwa Felix Magath und Miro Klose als Klienten beschreibt die FTD. +++ "Rette die Million!", Jörg Pilawas neueste Quizshow, "ist mit 90 Minuten nicht nur zu lang, sondern auch langatmig", zumal im Vergleich mit dem britischen Original "The Million Pound Drop". Das berichtet Senta Krasser (BLZ) von der Kölner Aufzeichnung. +++ Bzw.: Quoten stimmen, "gelungenes Debüt" (kress.de), und das mit Freudenschreien fast wie im Anschluss wieder in Chile. +++

+++ Der "Frage, ob ein TV-Sender mit versteckter Kamera Polizei spielen darf", die zuerst netzpolitik.org angesichts der RTL2-Show "Tatort Internet" aufwarf, geht heute die TAZ nach. +++ Gleich vier Autoren, darunter Spiegel-Neuzugang Alexander Kühn (vormals Stern) arbeiten das Thema für SPON auf. +++

+++ Kiffen ist, anders als seinerzeit, in der Redaktion "heute natürlich strengstens verboten!". Aber es gibt ja genug legale Drogen, "eingelegtes Gemüse" zum Beispiel, oder eben das Zeit-Magazin: Augenzwinkern, dass es kracht im Tagesspiegel-Interview mit Christoph Amend, dem Chef des erfolgreichen und heute 40-jährigen Zeit-Magazin aus der gleichen Verlagsgruppe. +++ "In Düsseldorf kann man super Sushi essen" und neun weitere schlaue Sätze über Düsseldorf, die Eurovision-Song-Contest-Stadt 2011 in der TAZ. +++

+++ "Warum die Welt nicht schweigen darf", und zwar zur Verhaftung Sajjad Mohammadi Ashtianis, der im Iran offenbar gemeinsam mit seinen beiden deutschen Interviewern verhaftet, das schreibt Bernard-Henri Lévy in einem FAZ-Beitrag (S. 35, derzeit nicht frei online): "Man kann etwas tun. Man kann dem französischen Präsidenten und der deutschen Bundeskanzlerin schreiben, um sie zu beschwören, sich einzumischen. Man kann, der Empfehlung des International Committee against Stoning folgend, auch den iranischen Justizbehörden schreiben, nämlich an: Head of the Judiciary, Howzeh Riyasat-e Qoveh Qaaiyeh, Pasteurt Sont., Vali Asr Ave., south of Serah-e Jomhouri, Tehran, 131 681 47 37, Iran." +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

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