Der Deutsche Fernsehpreis? Ja ja ja. Da war was. Fast bemerkenswerter: Die Zugfahrten, die Reporter der WAMS und der FAS unternommen haben - mit der Angelina Jolie des bürgerlichen Konservatismus: Thilo Sarrazin
Der RBB könnte sich mal ne Bierkiste anschaffen: Moderatorin Sarah Beckmann interviewte darin am Sonntagabend den Basketballer Patrick Femerling (2,15 Meter). Sah lustig aus.
Mehr Hämmer aber im Fernsehen am Sonntagabend nach 21.45 Uhr? Irgendwie nicht.
Am Samstag wurde der Deutsche Fernsehpreis verliehen, am Sonntag wurde die Verleihung in der ARD ausgestrahlt. Doch was gibt es zu melden? Nur dies: "Der Deutsche Fernsehpreis (...) liegt im Sterben." So Hans Hoff für die SZ (S. 15). Immerhin gibt es keine schlimmen Nachrichten, außer: Es war sackfad.
Im Saal blieb jedenfalls der erwartete/erhoffte/befürchtete Skandal aus. Skandal? Hier der Kontextparagraph: "Drehbuchautoren, Regisseure, Kameraleute, Cutter und Ausstatter wurden beim 12. Deutschen Fernsehpreis zum ersten Mal nicht mehr gesondert ausgezeichnet." (taz)
Für diese berichtet David Denk, der den echten Skandal darin sieht, dass ihm verweigert wurde, als Berichterstatter "im Anschluss an ein Galadinner mit den geladenen Gästen zu feiern", von ausbleibender Gewalt: "'Das BESCHRIFTEN und BESCHÄDIGEN der WC-Anlage wird strafrechtlich verfolgt", warnte ein Aushang an der Toilettentür im Kölner Coloneum", schreibt er. Und: "Viele erregten sich im Gespräch mit Kollegen oder Journalisten über die Abwertung. Öffentlich machten sie ihren Ärger meist nicht. Die Toiletten blieben also ganz."
Etwas anders sah es vor der Tür aus, so Michael Hanfeld für die FAZ:
"Vor den Toren des Coloneums wurden Handzettel verteilt, auf denen der Schauspielerverband BFFS abermals seine Kritik an der Reform des Deutschen Fernsehpreises kundtat, der erstmals ohne individuelle Ehrungen für Regisseure, Kameraleute, Drehbuchautoren und Schnittmeister auskam. Kleine, silberne Proteststicker fanden reißenden Absatz, auch einige derjenigen, die später auf der Bühne standen, hefteten sie sich ans Revers."
Auf dem roten Teppich bekundeten etwa - siehe Foto - die Schauspielerin Jessica Schwarz, der Regisseur Torsten C. Fischer und der Schauspieler Thomas Kretschmann (von links nach rechts) ihren Protest gegen den Wegfall einiger Preis-Kategorien.
Lauter konnte der Protest der Schauspieler nicht werden, "die Kräfteverhältnisse sind zu ungleich. Wer als Schauspieler oder Regisseur den Deutschen Fernsehpreis sprengt, kann sich seine künftigen Aufträge an keiner Hand abzählen", so Michael Hanfeld, der wie Denk, Marcus Bäcker (Berliner Zeitung) und Hoff Annette Frier (Preisträgerin "Beste Serie" für "Danni Lowinski") erwähnte, die in ihrer Dankesrede sagte:
"In der Angelegenheit Stifter des Deutschen Fernsehpreises versus Berufsverband der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS) und weiterer Kreativ-Verbände fordere ich die Parteien auf, ihren beleidigten Arsch an einen Tisch zu setzen, um für die Preisverleihung 2011 eine konstruktive Lösung zu finden, so dass wir uns nächstes Jahr wieder alle gemeinsam besaufen können."
Bemerkenswert darüber hinaus - anderes Thema: die Besprechungen des Zugfahrplans in den Sonntagszeitungen.
Der ICE-Sprinter der Deutschen Bahn von Frankfurt/Main (Hbf) nach Berlin (Hbf) ist planmäßig nach 3:29 Stunden Fahrzeit in Berlin-Spandau. Am Freitag hatte er laut Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung fünf Minuten Verspätung, fuhr nämlich um 18:27 Uhr los (planmäßig: 18:22 Uhr). Laut Welt am Sonntag kam er aber so pünktlich an, dass es möglich war, als Reisegast in der 60. Minute in der "Westend Klause", in Taxinähe zum Berliner Bahnhof Spandau, bei der Fußballübertragung des Länderspiels zwischen Deutschland und der Türkei zu sitzen, also etwa um 22 Uhr.
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Warum besprechen FAS und WAMS jetzt Zugfahrten? Weil Thilo Sarrazin im Zug saß, die Angelina Jolie der altbürgerlichen Qualitätspresse: Er wird mittlerweile behandelt wie ein klassischer Filmstar, an dessen Lippen die Welt viel zu selten hängen darf. Großräumig, immer mit Foto. Jedes Detail aus seinem Leben ein gutes Detail.
Beide Zeitungen also schickten Reporter, um Sarrazin möglichst ausführlich zu begleiten. Erkenntnisse: Der Mann mag Schokopudding und Bratwurst. Immerhin: keine Toilettengangprotokolle.
Edo Reents, der Reporter der FAS, schlenderte mit dem quotenmäßig krass beliebten Buchautor Sarrazin über die Frankfurter Buchmesse und verfolgte ihn zu seinen Interviews auf der Messe, "TTT", Blaues Sofa, Alexander Kluge, am FAZ-Stand natürlich, mit FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. "Um 17.50 Uhr fahren wir zum Hauptbahnhof; zu dritt auf der Rückbank einer dunklen Limousine. Nach der Hitze in den Messehallen friert man jetzt fast." Man. Also Reents. "Am Bahnhof muss Sarrazin noch zum Geldautomaten, er schuldet dem Hauptkommissar Voigt noch fünfzig Euro."
Dann wünscht man alles Gute und denkt an Thomas Mann. "Kurz sieht man ihn noch durch die dunkle Scheibe, dann setzt sich der Zug um 18.27 Uhr in Bewegung. Thilo Sarrazin, dieses Sorgenkind des Lebens, macht jetzt erst einmal Urlaub in Italien. Er fährt auf zwei Wochen."
Nur: wann? Wo sind die Reisedaten für Italien? Als Sarrazin am Freitag in den Zug stieg, traf er jedenfalls erstmal Benjamin von Stuckrad-Barre. Stuckrad-Barre schreibt in der WAMS, er habe sich mit Sarrazin insgesamt blendend unterhalten. Sowohl im Gespräch -
"Ganz der gelernte Bürokrat, quält er seine Gesprächspartner mit einer Art Fußnoten-Rhetorik, viel zu genau für ein normales Gespräch; wer wann was gesagt hat, er will es bitte ganz exakt und im Kontext ausführen dürfen, jede Äußerung ein Planfeststellungsverfahren. Auch eine Art, sich die Mitmenschen vom Leib zu halten" -
als auch später im Lokal:
"Die Kellnerin verteilt eine Lokalrunde Kräuterschnapsfläschchen, alle außer Sarrazin klopfen mit den Fläschchen auf den Tischen herum, stürzen dann den Schnaps runter und setzen sich die Metalldrehverschlusskappe auf die Nase."
Und welcher Eindruck bleibt am Ende der Lektüre beider Artikel? Dass da ein Mann ist, der einfache Speisen zu sich nimmt, sehr populär ist, belesen, und der lediglich nicht besonders gut reden kann und ein bisschen nervt. Man wird sagen dürfen, dass das ganz schön verkürzt ist. Die Biologie-Kapitel seines Buchs, die ideengeschichtlich sehr alt, viel zu alt, sind und für die er lange (auch in WAMS und FAS/FAZ) in der Kritik stand, werden überhaupt nicht mehr erwähnt.
Stattdessen dreht die FAS selbst die Lautstärke auf und titelt: "Kampf der Deutschenfeindlichkeit":
"Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) sagte, es gebe keine Fremdenfeindlichkeit erster und zweiter Klasse. Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit müssten mit aller Härte bekämpft werden: 'Aber auch Deutschenfeindlichkeit ist Fremdenfeindlichkeit, ja Rassismus. Denn hier wird jemand diskriminiert, weil er eines bestimmten Ethnie angehört', sagte die Ministerin dieser Zeitung."
Unverschämtheit! Da schlägt man wochenlang auf Migranten ein, macht großflächig den geistigen Anführer einer unfassbar plumpen Integrationsdebatte zum Star des konservativen Bürgertums, der sich Monate zuvor über die "kleinen Kopftuchmädchen" ausgelassen hat wie früher über Schwiegermütter - und was ist der Dank? Der Migrant integriert sich nicht, sondern wird deutschenfeindlich. Das ist ja wohl ein Titelthema!
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+++ Titelthema? Da war doch was: Vergangene Woche berichtete die FAS über die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft. Die wehrt sich (ebenfalls auf der Titelseite der FAS): Man müsse "Filme in ihrer Gesamtheit sehen" +++ Leserreaktionen druckt die FAS auf S. 16 und schreibt: "Die Urteile reichen von 'weltfremd' bis - und das kam sehr oft - 'Endlich hat einmal jemand dieses Thema aufgegriffen'". So so. Was wir vergangene Woche nicht gewürdigt haben: Stuft die FAS allen Ernstes "Schindler Liste" u.a. wegen der Nacktszenen als nicht jugendfrei ein? Tatsächlich +++
+++ Die Preisträger des Deutschen Fernsehpreises auf 19 Klicks? Bei Welt Online. Auf einen Blick? Im SpiegelOnline-Artikel +++
+++ Stephanie zu Guttenberg, die Frau vom, na?, bleibt Thema der Medienseiten: Die RTL2-Sendung "Tatort Internet" über Pädophilie, die sie unterstützt, bleibt in der Kritik - sie mache die Täter zum Opfer (FAS, S. 35), und Der Spiegel (S. 187) fragt sie: "Das war ja ziemlich reißerisch, was Sie am Donnerstag auf RTL II gezeigt haben. (...) War das noch Aufklärung oder schon Panikmache?" +++
+++ Die Süddeutsche berichtet über drohendes Ungemach für Bauer (S. 15): David Beckham verlange "mindestens 25 Millionen Dollar". "Grund für die Klage, die sich so liest, als wäre sie mit heißer Nadel gestrickt, war eine Titelgeschichte der amerikanischen Ausgabe des Bauer-Blattes InTouch. Die Zeitschrift hatte über eine angebliche Affäre des Fußballers mit einer angeblichen Prostituierten berichtet. Beckham bestreitet die Vorwürfe vehement" +++
+++ Auf der Buchmesse war nochmal Zeit für die großen Linien: "Die Zukunft des Journalismus ist auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse ein fast so wichtiges Thema wie die Bekanntgabe der Buch- und Nobelpreisträger", schrieb am Wochenende die taz: "(M)an muss lange suchen, um außerhalb der 'sparks' - fünf Orte auf der Messe, an denen all jene Firmen ausstellen, die keine Bücher verkaufen, sondern eReader, Multimedia-Tablets oder Appdesigns - irgendjemanden zu finden, der tatsächlich die Frankfurter Rundschau auf dem iPad liest." +++ Ein Norbert Bolz befand ebd., der "Paradigmenwechsel (...) von der Kommunikation zur Partizipation" werde auch im Hörfunk ankommen: "Dieser wird die Zukunft des Radios, ja die Zukunft des Verhältnisses aller Massenmedien zum Internet bestimmen: Die Hörer mixen nicht nur ihr Programm, sie machen es auch - wie wir das heute bereits im Verhältnis von YouTube und Fernsehen erleben. YouTube ist der Probelauf für die Zukunft des Fernsehens. Ähnlich könnte auch das Radio die Kreativität der Vielen abschöpfen." +++
+++ Im Fernsehen: Die US-Serie "Breaking Bad", seit Samstag bei Arte, wurde am Wochenende angepriesen auf den Medienseiten der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der taz +++ "Solange du schliefst" (ZDF, 20.15 Uhr) klingt wie ein Film mit der Dings, ist aber eine deutsche Eigenproduktion mit Katharina Böhm. Der Tagesspiegel ist angetan: "Womöglich ist es ein Traum vieler Fernsehschaffender, einmal eine einfache Geschichte zu erzählen, in der es zugleich um die ganz großen Themen geht: Leben, Tod, Liebe. Man muss nur den Mut dazu haben. Die Macherinnen von 'Solange du schliefst' hatten ihn" +++ Die Berliner Zeitung lobt Böhm für ihr Spiel, Mark Waschke nicht +++
+++ Eine Anzeige der Jungen Freiheit in der SZ stößt auf Widerwillen (BLZ) +++ Unter ebd. Link: Stefan Austs "Woche" ist nicht beerdigt. Man verhandele, heißt es +++ Darüber schreibt auch der TSP +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag gegen 9 Uhr.