Endlich wieder Manifeste

Endlich wieder Manifeste

Eines von Attac im hübsch orginalnahen Gewand einer Wirtschaftszeitung, eines vom rüstigen Filmemacher Klaus Lemke. Ist es gut, am Existenzmaximum herumzuhummern?

Schon über ein Jahr her, das bekannte Internet-Manifest. Und endlich tut sich mal wieder etwas an der Manifeste-Front. Die deutsche Sektion der internationalen NGO Attac fand eine besonders hübsche Form, Aufmerksamkeit auf ihre Themen zu lenken. Diese Form hat die zumindest unter Medienmenschen bekannte Farbe namens "Lachsrosa": So wie vor anderthalb Jahren schon einmal die Wochenzeitung Die Zeit, hat Attac nun die Wirtschaftstageszeitung Financial Times Deutschland in der Form liebevoll, aber eben mit manifesten eigenen Inhalten nachgeahmt.

Während Die Zeit damals ihren schönen Namen beibehalten konnte, wurde der der FTD allerdings zu "Financial Crimes Deutschland" variiert. Das achtseitige Blättchen liegt heute der schon daher kaufenswerten TAZ bei. Online zu haben ist es ebenfalls. Und auch wenn die FTD-bekannten unterschiedlichen Optiken "für Klassiker", "Schnellleser", "Meinungshungrige" und "für Hingucker" bei der FCrD doch bloß identisch sind, so bereitet die Online-Version Spaß, vom Editorial über die Bilderserie "Die besten Adbustings der Welt" am unteren Rand bis zum eingebetteten (allerdings echten, etwas öden) "Tagesschau"-Beitrag.

Am meisten die stilecht auf besonders kaufkräftige Entscheider zugeschnittene Werbung (z.B. "Lieber am Existenzmaximum herumhummern als am Existenzminimum herumkrebsen"). Die ernsten Hintergründe im offziellen attac.de-Gewand gibt's hier.

Gibt's bei der offiziellen FTD schon Reaktionen? Einstweilen nicht...

Ein Manifest, das diesen Namen sogar offiziell trägt, erscheint auch. Das "Hamburger Manifest" heißt es, weil es heute abend zur Eröffnung des Filmfests Hamburg, also eines der wichtigsten Filmfestivals in..., äh, Hamburg und vielleicht sogar weiteren Teilen Norddeutschlands, "in Guerilla-Manier unter die Leute" gebracht werden soll. Das berichtet die Süddeutsche auf ihrer Medienseite 15. Bei malte-welding.com ist das Manifest auch online in der originalen Großbuchstaben-Optik nachzulesen.

Es stammt vom noch nicht ganz 70-jährigen Filmemacher Klaus Lemke (Foto und Stimmen zu einem seiner jüngsten Filme hier im Altpapier) und fordert unter der zweiten Überschrift "Papas Staatskino ist tot" die Abschaffung der staatlichen Filmförderung, die Lemke schon lange (z.B. vor einem halben Jahrzehnt in der Süddeutschen) fordert sowie kürzlich auch in einem Youtube-Clip ausgesprochen nonverbal inszenierte, in kräftig zupackenden Worten:

" ... 13 Jahre Staatskino unter Adolf und die letzten 40 Jahre staatlicher Filmförderung haben dazu geführt, dass der deutsche Film schon in den siebziger Jahren auf Klassenfahrt in der Toskana hängenblieb; dass aus Regisseuren soft Skills-Kastraten und aus Produzenten Veredelungsjunkies wurden. (...) Unsere Filme sind wie Grabsteine. Brav. Banal. Begütigend. Goetheinstitut. Aber Film ist keine aussterbende Tierart. Film ist auch kein Intelligenzbeschleuniger. Film muss noch nicht mal gut sein. Film muss nur wirken. Das tut der deutsche Film lange nicht mehr. Rettung kann allein von Omas Häuschen kommen, das man heimlich bei der Bank beleiht. Denn nur für das eigene Geld lohnt es sich nachzudenken - wenn es in Gefahr ist. ..."

[listbox:title=Artikel des Tages[Financial Crimes Deutschland-Startseite##Lemkes "Hamburger Manifest"##Wikileaks-Dissident am Telefon (TAZ)##Kika-Kritik bei meedia.de##Beermann-Interview frei online (Carta)]]

"Das Papier hat als Debattenbeitrag auch Unterhaltungswert", notiert die SZ etwas distanziert. Zumindest passt Lemkes "marktradikaler Standpunkt" (SZ) im Prinzip in eine Zeit, in der Subventionsabbau rein rhetorisch immerzu im Munde geführt wird (siehe auch heute SZ-Meinungsseite). Vielleicht wird insofern tatsächlich eine kleine Debatte draus.

Fast wäre man gespannt, was die überhaupt nicht marktradikalen Kräfte von Attac dazu sagen.


Altpapierkorb

+++Filmhistoriker wissen, dass sich Lemkes Hamburger Manifest auf das uralte Oberhausener Manifest von 1962 bezieht ("Opas Kino ist tot"), in dessen Umfeld damals Joe Hembus die berühmte Streitschrift "Der deutsche Film kann gar nicht besser sein" schrieb. Heute, im zweiten Jahrtausend, kann der deutsche Fernsehfilm bleiben, wie er ist. Dazu trägt eine zwischen den Produzenten und dem ZDF getroffene Vereinbarung bei, von der FAZ ("Die Produzenten bekommen endlich ein wenig mehr von dem, was ihnen zusteht", S. 37) und SZ berichten. +++

+++ Während die FR das Wikileaks-Drama nacherzählt, rief die TAZ kurz bei dem Dissidenten Daniel Domscheit-Berg an. "Es gibt aus meiner Sicht eine Verquickung zwischen Persönlichkeit [Julian Assanges] und Organisation", beklagt dieser. +++

+++ "Frappierend an realsozialistische Großköpfe" erinnern die vom französischen Bildhauer Serge Margin geschaffenen, vom Springer-Verlag den Deutschen geschenkten Büsten der "Väter der Einheit" die TAZ, die der Enthüllungszeremonie beiwohnte. Hier die offizielle bild.de-Seite mit vielen Videos. +++

+++ Alle finden den öffentlich-rechtlichen Kindekanal Kika gut? Nein, nicht mehr alle. "Auch beim Kinderfernsehen übernehmen ARD und ZDF immer öfter schlechte Gewohnheiten der Kommerzkanäle", schreibt Stefan Winterbauer (meedia.de). +++ Die ARD-DDR-Serie "Weissensee" wird fortgesetzt (Tsp.). +++ Der Bayerische Rundfunk hat die Wiederholungsrechte für die alte Sat.1-Serie "Der Bulle von Tölz" übernommen (dwdl.de). +++ Das promedia-Interview mit dem sächsischen Medienpolitiker Johannes Beermann zur GEZ-Gebühren-Stabilität, aus dem gestern die FAZ vorabmeldete, steht bei Carta nun frei online. +++

+++ Die RBB-Produktion "20 x Brandenburg" zum 20-jährigen Bestehen des gleichnamigen Bundeslandes lädt zum Räsonieren über die Zeit ein. "Vor allem die Zeit lässt sich Zeit hier. Das ist die schönste Erkenntnis dieser 300 Fernsehminuten. Sie nistet in der Rentnerkneipe, der Montagehalle, der Kleingartenkolonie von Thomas Heise, der Datsche der Eltern von Andreas Kleinert. Sie stockt und dehnt sich, seit 20 Jahren, seit 50 Jahren, seit Fontanes Wanderungen", dichtet Christiane Peitz im Tagesspiegel. +++ Das große epd medien-Interview mit Regisseur Andreas Dresen dazu ist frei online verfügbar. +++

+++ "Techchrunch"? Der Kauf des bekannten US-Blogs techcrunch durch AOL zieht einen kleinen Artikel im Tsp. nach sich. +++ Deutlich ausholender, derzeit allerdings nicht frei online, was Don Alphonso dazu in der FAZ schreibt (S. 37: "Der Dinosaurier frisst wieder", "... ....die Zielsetzung einer schlüssigen und übergreifenden Medienstrategie für eine Firma, die sich als Medienkonzern neu erfinden möchte, ist bei all diesen Aufkäufen kaum zu erkennen"). +++

+++ Ebd.: Michael Hanfelds Laudatio auf den in den Ruhestand gewechselten Düsseldorfer Landesmedienwächter Norbert Schneider ("Der Joachim Gauck der deutschen Medien"). Frei online: Dieter Stoltes Gegenstück "Ein großer Bellheimer" in der Funkkorrespondenz. +++ Ferner in der FAZ: "The Roast of David Hasselhoff" heute auf Comedy Central, und: wie ein Online-Voting des persischsprachigen Diensts der Deutsche Welle der staatlich-iranischen Propaganda in die Hände spielte. +++

+++ Ulrike Simon hat für die DuMont-Presse Uwe Knüpfer, den neuen Chefredakteur des SPD-Blattes Vorwärts getroffen. +++

+++ Das wird Attac doch nicht freuen: Nicht der IWF wird bis Jahresende abgewickelt, sondern das IWF, das alte Schulfilm-Institut (Göttinger Tageblatt). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

weitere Blogs

Regenbogengottesdienst  in Adventszeit
Ein Gedicht zum Heiligen Abend aus queerer Perspektive nicht nur für queere Christ:innen.
Warum Weihnachten hinter einer Mauer liegt und was sie überwinden kann.
In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.