Neues aus den Anstalten

Neues aus den Anstalten

Zumindest neue Schläuche für den gleichen Prime Time-Wein. Matthias Richling und Dieter Nuhr setzen kleine Spitzen, auch hinter den Kulissen gibt's neue Personalien. Ferner: Details zum Drama bei Wikileaks.

Schon wieder Ruhe herrscht auf dem sogenannten Satire-Gipfel in der ARD. Nur einen Tag nachdem der Ausstieg des bisherigen Gipfel-Abteilungsleiters Matthias Richling publik wurde, wurde die ab 2011 gültige Nachfolgeregelung publik: Dieter Nuhr, demnächst auch bei RTL zu sehen, gern gefollowter, ungern followender Twitterer, macht's.

Und weil Fernsehkabarettisten und -comedians naturgemäß redselige Gesellen sind, gibt's über die Umstände einiges zu lesen. Mit Richling plauderte die FAZ. Der Kabarettist habe "seine Meldung gerade noch rechtzeitig abgesetzt", schreibt Michael Hanfeld, verteidigt ihn dann aber gegen Kritiker: "Er hatte auch nicht wenig Widerstände zu überwinden", und "zunehmend gelang" die Show ja doch.

Überdies zitiert die FAZ "eine kleine Spitze", die sich Richling "also doch noch erlaubt hätte". Wer wissen möchte, welche, klicke hier zu faz.net. Lust auf künftige Richling-Satire macht diese Spitze allerdings nicht.

Eine vergleichbar kleine Spitze setzte der Neue, Nuhr, gegen seine Vorgänger, als er mit Hans Hoff von der Süddeutschen redete: "Ich will ein bisschen aus der Empörungsroutine rauskommen. Probleme der ganzen Welt können Thema sein und nicht mehr nur die üblichen Feindbilder". Diesem Artikel ist ferner zu entnehmen, dass der RBB und sein neuer Satire-Partner, der WDR (statt des wie Richling ausgestiegenen Bayerischen Rundfunks), Nuhr für vorerst nur fünf Shows engagiert haben und dass dieser weiterhin auch für RTL aufreteten wird. Das passt der ARD quotenmäßig gewiss in den Kram.

Außerdem setzt Hoff die bislang beste "Satire-Gipfel"-Pointe und nennt die ARD den "einstigen Platzhirschen in Sachen intelligenter Humor". Wann war das denn? Als es nur ARD und ZDF gab?

Joachim Huber hat im Tagesspiegel mit "Claudia Nothelle freute sich am Dienstag wie Bolle" zumindest, wenn man es sich laut deklamiert denkt, einen netten Gag (Nothelle ist die Programmdirektorin des kleinen RBB). Und hinter der meedia.de-Schlagzeile "Nuhr nur zweite Wahl?" steckt nicht mehr als der Umstand, dass kurz vor seinem jüngsten angekündigten ARD-Abschied auch der Spitzen-Kabarettist Harald Schmidt als Gipfel-Abteilungsleiter ins Gespräch gebracht worden war.

Wer sich eher fürs Wikileaks-Drama interessiert, scrolle bitte nach unten. Hier geht's weiter um die Anstalten. Eine Personalie von hinter den Kulissen bringt die TAZ. Dem aus dem ZDF-Verwaltungsrat ausscheidenden Edmund Stoiber nachfolgen soll - Horst Seehofer, der amtierende Münchener Ministerpräsident. "Nein, zumindest in Bayern haben sie nichts gelernt aus der Debatte um das ZDF und die Staatsferne im öffentlich-rechtlichen Rundfunk", so die TAZ. Freilich, warum sollten sie gerade in Bayern, wo die Landesrundfunkanstalt nun bekanntlich direkt vom vorigen Bundesregierungssprecher geleitet wird, etwas gelernt haben?

Aus Sachsen bringen die FAZ (bzw. das aus laangen Interviews mit Medienmenschen bestehende Fachblatt promedia, aus dem sie exclusiv vorabmeldet) neue Kunde: Johannes Beermann, Chef der sächsischen Staatskanzlei (und wie kürzlich, siehe Altpapier, berichtet wurde, auch der "AG Beitragsstabilität"), will die Rundfunkgebühren auch als künftige Beiträge "auf jeden Fall auf dem aktuellen Stand halten". Diese Initiative richtet sich nicht gegen eine Senkung, sondern gegen eventuelle Steigerungen der Gebühren.

"Wir können die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konkretisieren und verkleinern",

wird aus dem offenbar tatsächlich ganz interessanten Gespräch zitiert. Dass zumindest grundsätzlich erheblicher Bedarf an sinnvolleren Aufgabenstellungen besteht, dokumentieren auch die heutigen Besprechungen von Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

[listbox:title=Artikel des Tages[Was sagt Nuhr? (SZ)##Was Richling? (FAZ)##Wer folgt Stoiber beim ZDF? (TAZ)##Warum nachts versenkt? (Tsp. über Anklam-Film)##Assange vs. Domscheit-Berg (wired)]]

Zum Beispiel wird wieder einmal mit Recht beklagt, wie spät relevante Reportagen ins Programm gelangen. "Unverständlich, man könnte auch sagen: skandalös ist es, dass das ZDF einen solchen Film im Nachtprogramm versenkt", schreibt der Tagesspiegel über "Showdown in Anklam". Woran Lutz Ackermann sowie Anita und Marian Blasberg ein Jahr lang arbeiteten, sei eine "ebenso schmerzhafte wie aufschlussreiche Reportage über die politische Stimmung in einer der abgehängten Kleinstädte im Osten" (siehe auch TAZ, Anklamer Zeitung).

Ausführlicher allerdings als die Anklam-Reportage wird im Tagesspiegel der überhaupt nicht abgehängte Schauspieler Uwe Kockisch gelobt, der derzeit in der ARD-Serie "Weissensee" zu sehen ist:

"Uwe Kockisch ist oben angekommen. Er wohnt in Madrid, wo er vor drei Jahren seiner Frau begegnete. Er genießt es, dass ihn dort keiner kennt. Vier bis fünf deutsche Zeitungen liest er, jeden Abend schaut er sich die 'Kulturzeit' auf 3sat an."

Ab nächster Woche ist Kockisch auch schon wieder als ARD-"Commissario Brunetti" unterwegs. Zu einem guten Teil ist es der im Überfluss produzierte öffentlich-rechtliche Eskapismus, für den im Prinzip gute Schauspieler nach Venedig oder sonstwo geflogen werden, damit sie dort deutsche 20.15 Uhr-Fernsehunterhaltung herstellen, der dazu führt, dass relevante Reportagen im Nachtprogramm versenkt werden, könnte man sagen.

Aber über den Tellerrand der Einzel-Besprechung wird im Zeitungs-Medienjournalismus leider nur selten hinaus geschaut. "Showdown in Anklam" läuft um 0.35 Uhr.
 


Altpapierkorb

+++ Drama um Wikileaks. "Mindestens ein halbes Dutzend weiterer Aktivisten zog sich zudem zurück, wie das Magazin Wired meldet", berichtet die Süddeutsche. Hier der wired.com-Artikel, der den entscheidenden Wortwechsel zwischen Daniel Domscheit-Berg und Julian Assange ("You are not anyone’s king or god. And you’re not even fulfilling your role as a leader right now. A leader communicates and cultivates trust in himself. You are doing the exact opposite. You behave like some kind of emperor or slave trader." - "You are suspended for one month, effective immediately. If you wish to appeal, you will be heard on Tuesday.") dokumentiert. Nach Informationen der FAZ sollen sogar "knapp zwei Dutzend führende Wikileakianer den Aufstand proben". +++

+++ Einen "bizarren Schlagabtausch" zwischen der dieses Jahr ihr 175-jähriges Bestehen begehenden Bertelsmann AG und ihrem früheren Vorstandschef, dem zeitweise erfolgreichen Karstadt-Quelle-Retter und Immobilien-Investor Thomas Middelhoff, beleuchtet die Süddeutsche. Hätte Middelhoff Bertelsmann beinahe mit AOL verschmolzen? Der "Firma, die keiner braucht" (meedia.de), die aber nun techcrunch.com kaufen möchte? +++

+++ Mit Reizen, "die auch vor 1000 Jahren funktioniert haben", könne das Fernsehen noch "mindestens zehn Jahre Leitmedium bleiben". Dies prophezeite der ehemalige ARD-Programmdirektor Günter Struve bei einer Diskussionsveranstaltung der Ufa, und der Tagesspiegel schrieb pflichtschuldig mit. +++ "Wir haben ja alle einen Gendefekt in dieser Branche. Als die amerikanische Frau mit ihren Riesenbusen die Bierdosen zerdatscht hat, da wusste ich sofort: sieben Millionen!" Diese spektakuläre Aussage des sogar amtierenden ZDF-Programmdirektors Thomas Bellut wiederum notierte meedia.de. +++ Siehe auch evangelisch.de. +++

+++ Der Finanzier von meedia.de, Dirk Manthey, einst Gründer der Verlagsgruppe Milchstraße, ist jetzt auch wieder auf dem Zeitschriftenmarkt aktiv. Eatsmarter.de erscheint als Heft "heute zum Preis von nur einem Euro in einer Auflage von 300.000 Exemplaren" und auch auf dem iPad. Und man kann Lebensmittel bestellen! Antje Hildebrandt verehrt Manthey ein Porträt (BLZ usw.).+++

+++ Die SZ stellt die im Fernsehen im November, aber online schon jetzt anlaufende SWR-Serie "Alpha 0.7 - Der Feind in dir" vor. Es sei "der Wille zur Sorgfalt im Detail, der 'Alpha 0.7' so spannend und außergewöhnlich macht, obwohl die bereits abgedrehte Hauptgeschichte noch ein paar Wochen auf sich warten lässt". +++ Die ARD präsentiert heute um 20.15 Uhr (während das ZDF übrigens 90 Minuten "Der Landarzt" präsentiert) "eine verworrene Geschichte", die nicht zwischen Anklam und Oberbayern, aber zwischen Ost-Berlin und Oberbayern spielt und den Zuschauer auch "verwirrt zurücklässt" (BLZ). "Bei all dem Didaktisch-Ernsthaften, was derzeit zum 20. Geburtstag der Wiedervereinigung versendet wird, ist 'Keiner geht verloren' großartig garstig" (SZ dazu). +++

+++ Und TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester recherchiert derzeit im Jenseits. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

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