"Das Fachkomitee würdigt den Glockenguss als eine jahrhundertealte Handwerkstechnik, die neben dem Gießen und Formen auch das Verzieren von Glocken beinhaltet", heißt es im Bestätigungsschreiben der Deutschen UNESCO-Kommission und der Kulturministerkonferenz an die Antragsteller. "Es erkennt an, dass heute noch in fünf Glockengießereien in Deutschland das überlieferte Wissen und Können dieser Technik aktiv weitergegeben wird."
Die Glockenmusik werde sowohl durch mündliche Anleitungen als auch in Lehrgängen und Kursen gelehrt und wirke als Kulturform und Kommunikationsmittel in Kultur und Sprache hinein. Eingereicht wurde der Antrag für die Aufnahme in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes vom Beratungsausschuss für das Deutsche Glockenwesen, vom Westfälischen Glockenmuseum Gescher und von der Deutschen Glockenspielervereinigung e.V., die auch als Trägergruppe dieser Kulturform agieren.
Bischöfin Kirsten Fehrs (Hamburg), Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), erklärt: "Der Klang der Kirchenglocken ist uns so vertraut wie das Geräusch des eigenen Atems. Und dass diese wunderbaren ‚Musikinstrumente‘ seit tausend Jahren kunsthandwerklich auf dieselbe traditionelle Art noch immer im Lehmformverfahren aus Bronze hergestellt werden, das ist wirklich eine einzigartige kulturelle Leistung. Heute ist ein schöner Anlass, den Glockengießerinnen und Glockengießern dafür ein herzliches Dankeschön zu sagen!"
Kirchen freuen sich über Würdigung
"Diese Entscheidung darf ganz wesentlich auch als Würdigung der Kirchen aufgefasst werden, denn 85 Prozent der Glocken in Deutschland sind Kirchenglocken, wurden im Auftrag der Kirche hergestellt und von ihren Gläubigen finanziert und sie werden tagein tagaus zu kirchlichen Anlässen geläutet. Von ihrem edlen Klang profitieren alle – weit über die Kirche hinaus. Das ist eine Verbindung von Kultur und Kultus in Idealform!", fügt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing (Limburg), hinzu.
"Die Aufnahme der Kulturform ‚Glockenguss und Glockenmusik‘wird der Bedeutung gerecht, die das Glockenwesen seit der Karolingerzeit in den deutschen Ländern hat", erläutert Prof. Dr. Michael Kaufmann vom Orgel- und Glockenprüfungsamt der Evangelischen Landeskirche in Baden. In seiner Funktion als Leiter der Aus- und Fortbildung für Orgel- und Glockensachverständige an der Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg ist er auch Mitglied im Beratungsausschuss für das Deutsche Glockenwesen. "Ab dem 8. Jahrhundert wurden Glocken hierzulande gegossen, auf Türme aufgezogen und geläutet."
Ein wesentlicher Aspekt sei, dass Glocken und ihr Klang Heimat schafften: "Die auf der Bronze aufgebrachten Inschriften und Zierden vermitteln Geschichte in die Gegenwart. Und beim Uhrschlag und im Läuten vertrauter Töne spiegelt sich ein Stück unserer Identität", so der Glockenfachmann. Auch die badische Landeskirche hat unter ihren etwa 700 Geläuten mit etwa 2.500 Glocken eine weit zurückreichende Tradition.
"Eine sehr alte Glocke befindet sich beispielsweise in der Bergkirche St. Michael in Büsingen am Hochrhein. Sie wurde um das 12. Jahrhundert in Form eines sogenannten Zuckerhutes wahrscheinlich auf der Klosterinsel Reichenau gegossen", erläutert Michael Kaufmann. Eine nicht ganz so alte historische Glocke erklinge in der Thomaskirche Kleinsteinbach, die ‚Michaelsglocke‘, geformt 1468 von dem lothringischen Wandergießer Hans Lamprecht (Jean Lambert) für das ehemalige Benediktinerinnenstift Frauenalb.
Eine noch recht junge Glocke sei dagegen die anlässlich des Europäischen Glockentages in Karlsruhe 2004 von der Glockengießerei Bachert gegossene ‚Friedensglocke‘ in der Christuskirche Karlsruhe. Dass Glockenläuten und -spielen eine lebendige Tradition bleibt, dafür sorgen unter anderem auch Projekte wie "#createsoundscape", das 2018 startete und sich vor allem an Jugendgruppen richtet. Das Glocken-Wiki soll Glocken aus Deutschland und weit darüber hinaus, in einer digitalen Landkarte zum Klingen bringen. Es wird von den Glockenexperten der Badischen Landeskirche und der Erzdiözese Freiburg gemeinsam betreut.