Maybrit Illner wird Steffen Seibert. Was soll man dazu sagen? Einiges. Außerdem: Kachelmann schreibt an Schwarzer. Und eine Studie aus interessantem Hause
Personalien verregnen diesen Tag. Dass Maybrit Illner den upcoming Regierungssprecher Steffen Seibert im "heute-journal" ersetzen soll 40 Mal im Jahr (und Washington-Korrespondent Matthias Fornoff alternierend mit Petra Gerster die "heute"-Nachrichten um 19 Uhr moderieren), ist eine Meldung, die schnell erzählt ist.
Die aber die Medienseiten darüber hinaus füllt. Insofern kann man David Denks leichte Herablassung in der TAZ prinzipiell verstehen, wenn auch sie anders gemeint ist:
"Mit Maybrit Illner und Marietta Slomka - genau diese Reihenfolge der Wahrnehmung könnte Letztere noch ärgern - sind übrigens zum ersten Mal in der 32-jährigen Geschichte des 'heute-Journal' zwei von drei Moderatoren weiblich. Auch historische Entscheidungen können durchaus langweilig sein. Es ist ein Mädchen – mehr aber eben auch nicht."
Was soll es denn sonst sein? Ein Junge wäre doch auch nicht viel aufregender gewesen. Oder hätte ZDF-Chefredakteur Peter Frey den Schimpansen aus der Trigema-Werbung zum neuen Nachrichtenmoderator machen sollen? Denks Begründung seiner Enttäuschung:
"Frischen Wind bringt keiner der beiden 'Neuen' mit, aber vielleicht hat man davon nach der ruckeligen Eingewöhnungsphase des früheren FAZ-Journalisten Wulf Schmiese als 'Morgenmagazin'-Moderator ja auch erst mal genug.
Hier ist eine gewisse mediale Logik erkennbar, denn natürlich sind Zeitung daran interessiert, andauernd Wind um irgendetwas Frisches zu machen. Gleichzeitig deutet gerade die Metapher vom "frischen Wind" die Hohlheit dieser automatistischen Forderung an: Wer sich das auf die Fahnen schreibt, erntet zumeist einen Sturm von Desinteresse.
Hans Leyendecker, der in der SZ auch darüber informiert, dass sich die Mehrarbeit nicht auf die Bezüge Illners auswirken soll ("Mehr Geld bekomme sie für den Nebenjob nicht, heißt es in Mainz"), verspricht sich von der Personalie durchaus etwas:
"Im 'heute-journal' werde die Neue 'vor allem mit Interviews neue Akzente setzen', teilte jetzt das ZDF mit. Vielleicht ist das keine Übertreibung: 'Wer in einem Interview nur noch die Bestätigung dafür sucht, was er ohnehin schon zu wissen glaubt, muss es eigentlich erst gar nicht führen', stellte Illner einst ... fest."
Vielleicht animiert Maybrit Illner aber auch deshalb die Schreiblaune von Journalisten, weil sie ein sympathisches Wesen und eine nicht uninteressante Biografie hat.
"Wie man eine Nachricht schreibt, was ein Bericht ist, hat sie schon als junge Journalistin gelernt."
Schreibt Leyendecker über die Moderatorin, was bemerkenswert ist, weil Illners Ausbildungsstätte, die Leipziger Karl-Marx-Universität in den achtziger Jahren, bislang eher selten als Schule grundlegender journalistischer Techniken wahrgenommen wurde.
Die Welt kann Illners einstiger Parteimitgliedschaft nicht verschweigen:
"Frey holte sie einst zum Frühstücksfernsehen, er stellte sie 1992, trotz einigem internen Unbehagen gegenüber dem früheren SED-Mitglied, als Moderatorin ein (gemeinsam mit der Legende Cherno Jobatey)."
Ist aber sonst sehr begeistert (wie auch noch nie jemand Cherno Jobatey eine "Legende" genannt hat):
"Illner hatte das Freche des Berlinerischen vom Dialekt in die Semantik verschoben."
Der KSTA sieht das nicht anders:
"Illners Stil ist eigenwillig, das war bisher immer ein Vorteil für die Journalistin."
Eigenwillig war auch Jörg Kachelmann, der am Sonntag Gesprächsthema bei "Anne Will" war. Was die Fernsehkritik weiterhin beschäftigt. Die Wahrnehmungen unterscheiden sich dabei.
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Maybrit Illners Biografie (Welt)##Maybrit Illner verdient nicht mehr (SZ)##Jörg Kachelmann schreibt an Alice Schwarzer (Blog)##Journalisten in Mexiko (NZZ)##Apps sind bald wieder durch (FAZ)]]
Während Nils Minkmar, der für die FAZ voll des Lobes für Alice Schwarzer ist, in der Schwarzer-Gisela-Friedrichsen-Beef den Schwarzer-Satz: "Sie sind schon ein dreister Vogel!" gehört haben will, tönte es aus dem Text von Bernd Gäbler im Tagesspiegel: "Sie sind ja ein heißer Vogel."
Wie auch immer. Alice Schwarzer hat, wie Meedia.de bemerkt hat, die Sendung in ihrem Blog nachbereitet und kann dabei, wie weiland Ede Zimmermann, auf erste Zuschauerreaktionen zurückgreifen.
"Eine Stunde nach der Will-Sendung, also um Mitternacht, mailte Jörg Kachelmann an meine Sekretärin. Er erinnerte daran, dass wir ihn vor drei Jahren um einen Kommentar zum EMMA-Jubiläumsbuch gebeten hatten und wollte sich nun schon mal 'höchstvorsorglich darum bewerben', die Redaktion zu besuchen. Um zu berichten, 'wie sich vier Monate unschuldig im Knast so anfühlen'. Der 'geschätzten Kollegin Schwarzer' ließ er 'schöne Grüße' ausrichten."
Die geschätzte Kollegin grüßt zurück:
"Und übrigens: Auch nette Männer vergewaltigen manchmal, Kollege Kachelmann. Leider."
Mit einem konstruktiven Vorschlag wartet Ralf Mielke in der Berliner am Ende seines Textes auf:
"Die erschütterndste Aussage kam an diesem Abend vom ehemaligen Staatsanwalt Karge. Der sagte, er könnte seiner Tochter nach einer Vergewaltigung eigentlich nicht empfehlen, zur Polizei zu gehen. Wegen der dort zu erwartenden Befragungen und Prozeduren. Vielleicht wäre das mal ein Thema für eine der nächsten Sendungen."
Die Süddeutsche informiert derweil über die Bewegungen bei Kachelmanns Firma Meteomedia, die die Vermutung nahe legen, Kachelmann könne dort in Zukunft eine eher kleinere Rolle spielen:
"In den kommenden Wochen soll eine Entscheidung getroffen werden, die das operative Geschäft von der Person Kachelmann trennt."
Wie dieser Vorgang zu benennen ist, wird sich zeigen. Uns schwant lediglich, dass die Metapher, die Nils Minkmar in der FAZ verwendet hat, nicht so recht passen will.
"Einstweilen ist er einfach wegretuschiert, wie die Kommunisten es mit unliebsam gewordenen Genossen taten, die von Gruppenbildern nachträglich eliminiert werden mussten."
Wegretuschieren wäre im Fernsehen vielleicht möglich, bietet sich bei so etwas Tagesaktuellem wie dem Wetterbericht aber vielleicht eher nicht an. Außerdem dürfte die Zahl an Kommunisten, die bekanntlich zur Taufe alle Schere, Pritt-Stift und die neueste Photoshop-Version erhalten, das Notfallbesteck des weltgewandten Retuscheurs, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eher überschaubar sein.
Altpapierkorb
+++ ZDF-Intendant Markus Schächter wird zur Illner-Fornoff-Nominierung übrigens mit dem schönen Satz zitiert: "Ich freue mich sehr, dass wir die wichtigen Positionen in unseren beiden Nachrichten-Flaggschiffen mit herausragenden eigenen Leuten besetzen können." +++ Was wirkliche Zwangslagen sind, kann man derweil in der NZZ erfahren. In China entschuldigt sich die Polizei bei einem Journalisten, den sie wegen "kritischer Berichterstattung" eigentlich verhaften wollte. +++ In Mexiko sind vier von einem Drogenkartell entführte Journalisten freigekommen. +++
+++ Die Berliner berichtet über die "ultrakonservative" Gratiszeitung Israel Hayom (Israel heute), die für Journalismus Lobhudeleien auf Regierungschef Netanjahu hält. +++ In der TAZ empört sich Ilija Trojanow über die Kooperation von Google und CIA. +++ Die NZZ betitelt einen Text, in dem es um Preisabsprachen zwischen zwei big playern des Business geht, mit dem schönen Satz: "Amazon und Apple bei E-Books unter einer Decke?" +++ Daniel Bouhs sieht in der TAZ Schwächen bei der RTL-App. +++ FAZ-"Netzökonom" Holger Schmidt weiß dagegen bereits, dass Apps bald nicht mehr der heißeste Scheiß sein werden. +++ Carta hat gelesen, dass WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus ein Stück vom Kuchen der Rundfunkabgaben für die Websites des Verlags haben will. +++
+++ Das ist vielleicht die Innovation, die eine Studie, von der die FTD mörder-exklusiv weiß, ganz anders hätte aussehen lassen. Deren Botschaft: "Deutschlands Zeitungen und Zeitschriften drohen den Anschluss ans digitale Zeitalter zu verlieren. Konservativ denkende Spitzen in den Verlagen zögerten einerseits Investitionen in digitale Versionen ihrer Printprodukte zu lange hinaus." Besonders schön an diesem Bericht sind allerdings die Namen derer, die die Studie gemacht haben: "'Das größte Problem sind die verlagsinternen Befindlichkeiten', sagte Achim Himmelreich, Partner bei Mücke Sturm." +++ Das nennen wir einen überzeugenden Markenauftritt. +++
Neues Altpapier gibt es morgen wieder gegen 9 Uhr.