Ex oriente nix

Ex oriente nix

Wolfgang Lippert hat es nie gegeben: Thomas Gottschalk, ungekrönter König aller Schwiegersöhne, wird 60 Jahre alt.

Thomas Gottschalk wird heute 60. Auch von hier aus beste Wünsche, Gesundheit vor allem.

Das höchste Lied auf den Moderator stimmt Dieter Bartetzko in der FAZ (Seite 33) an, dessen Text auf dem Schlussakkord "Kein Clown – ein Held" endet. Dabei hätte man gerade von diesem Autor ob seines kenntnisreichen Verhältnisses zu deutschsprachiger Unterhaltungsmusik Skepsis befürchten müssen gegenüber jemandem, der HipHop 1980 auf sehr eigene Weise ins Deutsche übertragen hat.

Holger Kreitling, der auch Gottschalks Klaus-Kinski-Interview nicht vergessen hat, erinnert in der Welt an die mythische Gottschalk-Laufenberg-Sexauer-Übertragung des Sugarhill-Gang-Originals:

"Den allerersten Hip-Hop-Song 'Rapper's Delight' rappte er 1980 als 'Rappers Deutsch' mit zwei Radiokollegen: 'Ich bin der New-Wave-Man, Nicknack-Man, kein Guru, kein Banker, kein Freak. Leg' mich nicht auf irgendwas fest, ich hab' die Scheuklappen dick.' Auf frühen Bildern fuchtelt er im Studio mit der Faust und wippt mit den Ellbogen wie der unerfahrene Jungtänzer in einer Dorfdisco. Dieses Zappelige hat er sich behalten, sein juveniles Image fußt immer noch darauf."

Aber älter ist er geworden, und so gerät alles doch noch zur Heldengeschichte – von der Fernsehpreisverleihung-mit-Reich-Ranicki-Eklat bis zur Spenden-Show. Selbst die Butterfahrtisierung von "Wetten, dass...?" liest sich auf der FAZ-Medienseite wie der FAZ-Wirtschaftsteil vor der jeweils letzten Wirtschaftskrise:

"Wer wünschte seiner Tochter nicht einen Mann, der so ungezwungen, so weltläufig und bodenständig, verantwortungsbewusst und unabhängig ist, wie Gottschalk wirkt – und so geschickt (drei Unternehmen der Unterhaltungsbranche, seit 1991 glaubwürdiger Anchorman von Haribo, erfolgreiche Werbedoppel mit seinem Bruder) Vermögen anhäuft wie er."

Bernd Gäbler vielleicht? Der schreibt im Tagesspiegel über den "Konsens-Kobold":

"In Kooperation mit seinem geschäftstüchtigen Bruder Christoph ließ er zudem die Verwertungsketten allzu aufdringlich rasseln."

Dort wird auch Biografie relativ lakonisch abgehandelt:

"Seit 1976 ist er mit Thea verheiratet, das Paar hat zwei Söhne, Bodybuilding gibt dem Showmaster Spannkraft im groß gewachsenen Körper."

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Thomas Gottschalk wird 60 (Welt)##Thomas Gottschalk wird 60 (TSP)##Thomas Gottschalk wird 60 (SZ)##Das Intendanten-Zubrot (ND)]]

Leitmotiv der Glückwunschadressen an den Erfolgreichen bleibt aber das Geld. Bei Gäbler wird die Kontinuität, die Gottschalk verspricht, wie folgt bebildert:

"Gottschalk und 'Wetten, dass…?', das ist eines der größten Stabilitätsversprechen, die dieses Land noch hat. Kohl, Schröder und Merkel kommen und gehen, sogar der Euro wankt, aber Thomas Gottschalk bleibt."

Von Christopher Keil, der in der SZ gratuliert, hätte man gern weiter ausgeführt bekommen, was den "D-Mark-Humor" charakterisiert.

"Aber er hat auch einen - heute wegen des Altmännerwitzes, den er zuweilen reißt - unterschätzten, genialen Humor: einen D-Mark-Humor, der Ausdruck der 80er Jahre ist, Ausdruck auch von humanistischer Bildung und katholischer Erziehung."

Die Welt erinnert sich an einen früheren Geburtstag des Entertainers:

"Zum 30. Geburtstag besuchte ihn die Münchner 'Abendzeitung'. Als der Reporter mit dem Radiomoderator von Bayern 3 nach Hause ging, zog Thomas Gottschalk sich vor der Tür die Cowboystiefel aus und die Pantoffeln an. Drinnen wartete Ehefrau Thea, die ihm sodann verbot, irgendwie über Geld zu sprechen."

Marcus Bäcker kommt in seinem Beitrag in der Berliner Zeitung (Seite 30, nicht online) zu dem Schluss:

"Noch heute ist Gottschalk der Thommy, dem niemand wirklich böse sein kann."

Außer Wolfgang "Lippi" Lippert vielleicht. Denn der ist, scheint's, pünktlich zum Gottschalk-Geburtstag aus den Büchern der Fernsehgeschichte verschwunden. Seit 1987 moderiere der blond gelockte Bamberger "Wetten, dass...?", heißt es mehrfach, ohne die Unterbrechung von 1992/1993 zu erwähnen, in der die größte Samstagabendshow aller Zeiten in der Einheitseuphorie einem Ostdeutschen anvertraut wurde.

Vielleicht auch besser so, wie man einem Bericht in der SZ (Seite 13) entnehmen kann. Tobias Lehmkuhl war auf einer Veranstaltung im vormaligen Marxwalde, auf der einige Theaterkritiker und ein paar Theatermacher über das Theater sprachen.

Die keynote speech kam von FAZ-Kritiker Gerhard Stadelmaier, der neueste Forschungsergebnisse zur nicht länger Regie-, sondern Regisseurstheater genannten Verfallsform der deutschen Bühne präsentieren konnte:

"Dieses Regisseurtheater, so Stadelmaier, sei ein Erbe der DDR, ihre Brutstätte die Ostberliner Volksbühne: Nicht Shakespeare oder Macbeth, sondern einzig was den selbstherrlichen Regisseuren durch die Birne rausche, 'ist das Drama'."

Leider hat statt Konsens-Gottschalk Manfred Osten (sic!) die Veranstaltung moderiert, über den Dirk Pilz in der Berliner (Seite 27) schreibt:

"Für ihn ist das Theater mit Goethe auf alle Zeiten an seinen glorreichen Schlusspunkt gelangt. Lustigerweise ließ er sich dennoch zum Podiumsleiter einer Diskussion über Gegenwartstheater bestellen.

Ist er der neue "Nicknack-Man"?


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+++ Was wird einst an Verheerung aus dem Westen gekommen sein? Die Schauspielerin Caroline Peters, die ab heute wieder als Kommissarin Sophie Haas in der Krimiserie "Mord mit Aussicht" (ARD, 20.15 Uhr) zu sehen ist, wird in der SZ wie folgt zitiert: "Beim Drehen von 'Mord mit Aussicht' kam ich mir vor wie der Ethnograf eines versunkenen Westdeutschlands. Ich lebe seit 1995 in Ostberlin, viele Sachen, die man aus seiner Jugend in den achtziger Jahren kennt, habe ich schon vergessen: Kaugummiautomaten, Glasbausteine, abwaschbare Tapeten oder Gartenzwerge in den Vorgärten. Das ist dort alles eins zu eins erhalten geblieben. Und es herrscht eine heruntergekommene Art von Armut. Man denkt sich da schon: Wow, der Westen wird irgendwann der neue Osten." Die Serie finden alle gut: "eine Perle im oft biederen deutschen Primetime-Krimiwesen" (TSP), "hätte man der ARD ja gar nicht zugetraut" (FR), "das Kunststück der komischen Serie" (FAZ, Seite 33). "Da spricht es für die ARD, dass sie (endlich mal) den Mut hat, abseits aller Quotenzwänge fortzufahren mit einem sperrigen Format" (KStA). +++

+++ Was macht eigentlich Wolfgang "Lippi" Lippert? Der beliebte Entertainer, der 1992 und 1993 die Samstagabendshow "Wetten, dass...?" moderierte, trat zuletzt als Sänger Abellin bei den Störtebeker-Festspielen auf Rügen in Erscheinung. Das könnte ihn doch für das Geburtstagsständchen zum 100. des FC St. Pauli prädestinieren. "Die Störtebekers" ist der SZ-Text (Seite 15), "Die Erben Störebekers" der TAZ-Text überschrieben, es geht um einen NDR-Film (heute, 22.30 Uhr). In der TAZ geht es mit einem nicht nur sprachlich etwas irritierenden Vergleich los: "Und Rosenfeld, der vor 30 Jahren für den FC St. Pauli kickte, ist Teil einer Legende, die fraglos einen Gegenentwurf zu den medialen Hochglanzmythen eines Cristiano Ronaldo darstellt." +++ "Keine übermäßig kritische Geschichtsaufarbeitung, aber auch kein öffentlich-rechtliches Fan-TV", meint der TSP. +++

+++ Im Osten sein Glück gefunden hat Thomas Anders, der jetzt auf RTL II zurück ist und in Russland so groß wie Dieter Bohlen bei RTL. Welt-Online hat mit ihm gesprochen. Ebenfalls zurück auf RTL II, ebenfalls aus Welt-Online: Verona Pooth. +++ Nicht so groß in Usbekistan: Meinungsfreiheit. TAZ berichtet über fragwürdige Kooperationen der Konrad-Adenauer-Stiftung. +++

+++ Der Streit zwischen den Nachrichtenagenturen goes on (FR). +++ Die SZ (Seite 15) relativiert den Antisemitismus-Vorwurf von Stephan Kramer, dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden, im Focus, ohne ihn nicht ernst zu nehmen: "Wie seriös ist es, vereinzelte, auf sehr heterogene Medien verteilte Vorfälle zu einem antisemitischen Trend zu erklären?" +++ In der Medienkolumne des Neuen Deutschland macht sich Heiko Hilker, MDR-Rundfunkrat, Gedanken über das Zuverdienstmanagement von öffentlich-rechtlichen Intendanten, die Tochter-Firmen gründen, in denen sie später als Aufsichtsräte entlohnt werden. +++ Kam es, wie es kommen sollte? Vergleichen Sie selbst: die gerelaunchte derwesten.de-Seite mit der Prognose von Thomas Knüwer. +++ Carta streamt heute von einer Konferenz mit dem Titel "The Future Face of Media" in Frankfurt/Main. Hochrangige Gäste auf im Line-up. +++ Und Rainer Stadler macht sich in seiner NZZ-Kolumne Gedanken übers Talkshowpersonal: "Gewiss, keiner hat einen privilegierten Zugang zur Wahrheit. Aber unter vernünftigen Bedingungen dürfte man gewissen Stimmen doch mehr Gewicht zuordnen." Weder Thomas Gottschalk noch Manfred Osten ist gemeint. +++


Neues Altpapier gibt's morgen wieder um 9 Uhr.
 

 

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