Toni wird wiederkommen, ganz sicher. "Bis Montag dann", verabschiedet sich Van Bo Le-Mentzel von ihm auf dem mit Parkplätzen gesäumten Mittelstreifen an der Yorckstraße. Für diesen Freitagabend haben allerdings Micha und Viktor den Schlafplatz in Le-Mentzels "Nothotel" im Berliner Stadtteil Kreuzberg reserviert. Es ist zweieinhalb Quadratmeter groß und hat Platz für einen, manchmal auch zwei Obdachlose.
"Wir bieten alles, was auch ein Hotel bietet", sagt der in Thailand geborene Architekt Le-Mentzel: Dazu zählen neben Schlafmöglichkeit und Toilette eine kleine Küche, Frühstück und Abendessen in Form von Brot und Konserven, eine Heizung und WLAN. Über Spotify können Gäste die Playlist "Elevator Music" hören. Nur den Schlafsack müssen sie selbst mitbringen. "PickUp House" heißt der Übernachtungsplatz für Obdachlose, montiert ist er auf der Ladefläche eines Lastwagens. Den Piaggio, den kleinsten Lastwagen überhaupt auf dem Markt, nutzt Van Bo Le-Mentzel auch als Familienauto. Manchmal fährt er damit seine Kinder zur Schule.
Als er das Minihotel an diesem Freitag inspiziert und für den nächsten Gast vorbereitet, ist er erleichtert: "Über solche Tage freue ich mich." Der vorangegangene Gast hat den Innenraum ordentlich hinterlassen: Die Trockentoilette unter der Sitzbank ist sauber, die kleine Küche in Richtung Fahrerhaus aufgeräumt, der Mülleimer geleert. "Manchmal findet man auch Erbrochenes oder Zigarettenkippen, das ist dann nicht so schön", berichtet der 47-Jährige. Sein Engagement für Obdachlose bremst das nicht. "Was ich hier mache, ist ein Job mit Sinn, ein Karma-Business", sagt er. Viele Leute fragten nach dem Sinn ihrer täglichen Arbeit, er erfahre ihn hier täglich: "Ein oder zwei Leute können in einem geschützten Raum übernachten und müssen nicht frieren."
Und mehr als das: Lampen spenden warmes gelbes Licht, die elektrische Heizung bollert, während draußen um die null Grad herrschen. Ein Klapptisch ist vorhanden, das Klappbett wirkt unter den gegebenen Umständen einigermaßen bequem. Die Grundfläche misst nur 2 mal 1,40 Meter. Aber das Nothotel ist für Obdachlose ein sicherer, abgeschlossener, sauberer und warmer Raum, sagt Le-Mentzel, der sich in der von ihm gegründeten Tiny Foundation schon lange mit Wohnraum auf minimaler Fläche beschäftigt.
Kein "totes Blech" auf dem Parkplatz
Vor gut zwei Jahren, am ersten Weihnachtsfeiertag 2022, hat Le-Mentzel die ersten Gäste aufgenommen. Als Architekt beschäftigt ihn ohnehin die Frage, wie der Raum in der Stadt optimal genutzt werden kann. Wohnen wird immer teurer - was kann man tun, fragte sich Van Bo während der Corona-Pandemie. Den Anwohnerparkplatz hat er für sein Auto ohnehin. Der kostet in Berlin gerade mal 20 Euro für zwei Jahre. Warum dort einfach in der Nacht "totes Blech" stehen lassen, wenn man mit dem Raum nicht noch einen Mehrwert erzeugen kann, fragte sich der Architekt.
Er habe zur Nutzung von knappem öffentlichen Raum einfach "eine neue Spielregel" eingeführt, sagt der 47-Jährige mit einem verschmitzten Lächeln. Er nutze seine zehn Quadratmeter Innenstadt nun für mehr als nur das Anwohnerparken. "Meine Eltern waren Flüchtlinge aus Vietnam und China, das hat meine Arbeit sehr beeinflusst", sagt Van Bo. Wo hat es jemand gut und warum? Das ist eine der Fragen, die ihn umtreiben. Freunde von der "Werkstatt für alles" bauten ihm das selbst entworfene Tiny House auf die Ladefläche seines Piaggio, inklusive Solarpaneele auf der Fahrerseite und Frischwassertank für zwölf Liter. Für die Notschlafplätze für Obdachlose bekommt Le-Mentzel Geld von der Berliner Kältehilfe: Pro Übernachtung gibt es 30 Euro. Oft bringt ein Gast noch einen Kumpel mit, um nicht allein schlafen zu müssen. Dann gibt es 60 Euro vom Senat.
Wer ins Nothotel möchte, drückt eine kleine Klingel an der Tür, gleich neben dem Außenkühlschrank. Über eine Kamera taucht der Interessent auf Van Bos Handy auf. Wenn alles passt, kann er das Hotel aus der Ferne öffnen. Um 18 Uhr abends wird eingecheckt, morgens um 9 Uhr muss ausgecheckt werden. An die 20 Stammgäste gebe es, darunter viele Frauen. Fünf Leute teilen sich aktuell das Saubermachen und Herrichten des Minihotels. Aktuell werkelt Le-Mentzel an einem zweiten Tiny House auf Rädern. Es solle ein bisschen größer werden als das erste, verrät er.
Toni hatte sich am Vortag schon alle Hinweise durchgelesen, als er das ungewöhnliche Auto auf dem Weg zur Beratungsstelle entdeckte. Der Wohnungslose ist froh, an diesem Freitagmorgen jemanden persönlich vom Minihotel anzutreffen. Aktuell lebe er in einem Tiny House, aber in einem schlechten: "Es ist nass, weil es überall reinregnet", erzählt der Mittfünfziger. Er habe auch schon länger im Görlitzer Park unter einer Plane geschlafen. Van Bos Minihotel erscheint ihm an diesem Wintertag wie ein kleines Paradies auf Rädern.