TV-Tipp des Tages: "Bis nichts mehr bleibt" (ARD)

TV-Tipp des Tages: "Bis nichts mehr bleibt" (ARD)
Erschütternd: Niki Stein schildert in seinem Film den authentischen Kampf eines Scientology-Aussteigers um sein Kind. Der Film verdeutlicht mit Nachdruck, wie perfekt die Gehirnwäsche funktioniert.
30.03.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Bis nichts mehr bleibt", 31. März, 20.15 Uhr im Ersten

Das Szenario erinnert lebhaft an George Orwells Roman "1984": Gepredigt wird die totale Freiheit, gefordert wird die totale Unterwerfung. Niki Stein schildert in seinem erschütternden Fernsehfilm den authentischen Kampf eines Scientology-Aussteigers um sein Kind.

Mit Felix Klare und Silke Bodenbender

"Bis nichts mehr bleibt" ist der treffende Titel dieses von teamWorx produzierten SWR-Films. Rahmenhandlung der Geschichte ist eine Gerichtsverhandlung, in der Frank Reiners (Felix Klare) seiner Frau Gine (Silke Bodenbender) das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter entziehen will. In Rückblenden wird erzählt, wie erst Frank und dann auch Gine in den Sog der Psycho-Sekte geraten, wie sie sich immer mehr darin verstricken, immer abhängiger werden; bis Frank beinahe zu spät erkennt, dass er seine Seele verkauft hat.

Welt der Sekte bleibt fremd

Gerade die Verknüpfung von Rahmen und Rückblende ist äußerst geschickt: Immer wieder wechselt der Film die Ebenen, um während des Prozesses bestimmte Bezeichnungen oder Entwicklungen zu erklären. Die Welt der Sekte bleibt dennoch fremd; ganze Dialoge der Mitglieder untereinander klingen wie sinnloses Kauderwelsch. Dass die Verhandlung dennoch mitunter wie Fußnotenfernsehen wirkt, weil Franks Anwältin (Suzanne von Borsody) aufs Stichwort die passende Interpretation liefert, lässt sich vermutlich nicht vermeiden.

Es kann jeden treffen

Entscheidend sind ohnehin die beiden Hauptfiguren. Das sympathische junge Pärchen soll signalisieren, dass nicht bloß weltfremde Spinner mit psychischen Problemen zu den potenziellen Opfern der Sekte gehören, sondern dass es jeden treffen kann. Frank studiert Architektur, hat Angst vor der Prüfung und leidet unter den erdrückenden Erwartungen seines Schwiegervaters (Robert Atzorn). Als ihn ein Freund der Familie (Kai Wiesinger) bei Scientology einführt, ist Frank dankbar, endlich ernst genommen zu werden. Dabei hat die Sekte eigentlich Gine im Visier, über die sie an das Geld ihres Vaters rankommen will.

Bloß Mittel zum Zweck

Felix Klare (Stuttgarter "Tatort"-Kommissar") verkörpert Franks Wandlung sehr nachvollziehbar: Erst macht sich der junge Mann über die seltsamen Tests lustig, aber dann wird er sich langsam seines neuen Selbstvertrauens bewusst. Als auch Gine in die Sekte eintritt und eine glänzende Scientology-Karriere hinlegt, während er bei Veranstaltungen die Stühle abräumen darf, dämmert Frank endlich, dass er bloß Mittel zum Zweck ist.

Die Botschaft ist klar

Obwohl Stein darauf verzichtet, Scientology zu dämonisieren, ist die Botschaft klar; der Film verdeutlicht mit Nachdruck, wie perfekt die Gehirnwäsche funktioniert. Ein klug geschriebenes, zurückhaltend inszeniertes Drama, das sich ganz auf die Wirkung der Schauspieler verlässt (in weiteren Rollen: Nina Kunzendorf, Sabine Postel, Victoria Trauttmansdorff). Stein macht es dem Publikum allerdings nicht leicht; erst recht nicht mit dem Schluss.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).