"Medienunternehmen verbreiten oft nur Propaganda"

"Medienunternehmen verbreiten oft nur Propaganda"
Jedes Jahr veröffentlicht das Project Censored 25 brisante, aber in den US-Medien nicht veröffentlichte Geschichten. Professor Peter Phillips leitete das Projekt an der kalifornischen Sonoma State University von 1996 bis vor wenigen Wochen. Weltweit, sagt Phillips, sei die Wahrheit zunehmend in Gefahr. Journalisten und ihre Geschichten würden immer häufiger beeinflusst.
05.02.2010
Von Daniel Drepper

evangelisch.de: Project Censored gibt es seit 34 Jahren. Ist die Mediendemokratie heute mehr gefährdet als bei dessen Gründung 1976?

Peter Phillips: 1976 dominierten 50 Unternehmen die Medien in den USA. Ben Bagdikian hatte das in seinem Buch The Media Monopoly beschrieben und wir waren damals wirklich geschockt, dass nur 50 Unternehmen die Kontrolle über die Medien hatten. Heute sind es noch 10 Unternehmen. Obwohl es 700 Tageszeitungen in den USA gibt, kommt fast der gesamte Inhalt von AP, der New York Times oder der Washington Post. Beim Fernsehen das Gleiche: CNN, NBC, FOX – der Inhalt ist fast überall gleich. Reporter gehen zum Weißen Haus oder zu den Pentagon-Pressekonferenzen, aber es gibt kaum noch Korrespondenten weltweit. Die New York Times hat zwei Tage gebraucht, um jemanden nach Haiti zu schicken. Dagegen sind wir super informiert, was Film- und Musikstars machen.

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evangelisch.de: Wie beurteilen Sie im Vergleich die Situation der Medien in Deutschland?

Phillips: Ich denke, das deutsche System ist vielfältiger. Zum Beispiel mit den subventionierten Fernsehstationen. Deutsche Reporter waren bei mir zu Hause, kamen extra bis nach Kalifornien, um mich zu interviewen. Ich war vermutlich öfter im deutschen Fernsehen, als im amerikanischen. Es gibt in Deutschland sicherlich stärkere, offenere und transparentere Medien. Aber es ist nicht perfekt. Es gibt die Initiative Nachrichtenaufklärung und Geschichten, die nicht veröffentlicht werden. Also ist es wichtig, dass es Universitäten und Medienmacher gibt, die engagiertes, investigatives Schreiben fördern. Damit transparent wird, was die mächtigen Leute tun.

evangelisch.de: Die Mittel dafür werden derzeit allerdings eher gekürzt. In Deutschland entstehen immer mehr große Medienkonzerne und Redaktionen müssen schließen.

Phillips: Das passiert weltweit. Deshalb sagen wir, dass die Wahrheit international in Not ist, nicht nur in Amerika. Große Medienunternehmen verbreiten in Wirklichkeit oft nur Propaganda und PR-Agenturen arbeiten mit Hunderttausenden Mitarbeitern in fast allen Ländern der Erde. Sie produzieren Nachrichten und benutzen private und staatliche Medien als reine Kanäle für ihre selbst kreierten Geschichten.

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evangelisch.de: In Ländern wie den USA oder Deutschland gibt es offiziell keine Zensur. Sie aber sprechen von „moderner Zensur“. Was meinen Sie damit?

Phillips: Das meint jegliche Einmischung in den freien Informationsfluss. Das kann strukturell sein, eine elektronische Beschränkung oder wenn man freiwillig eine Geschichte nicht schreibt beziehungsweise eine Geschichte, die den wichtigsten Teil der Story auslässt. Unter Zensur fällt nicht nur, dass die Regierung bestimmte Informationen verbietet. Es ist jede Einmischung in die volle Transparenz.

evangelisch.de: Wer oder was verursacht diese moderne Zensur?

Phillips: Große Unternehmen. Es gibt riesige, milliardenschwere Bankenkomplexe, große Waffenfirmen, Medienkonzerne – und sie sind in privaten Händen. Sie sind nicht transparent und sie treffen Entscheidungen mit dem Ziel, das meiste Geld zu machen und nicht, das Beste für die Menschen, für die Allgemeinheit, für das Land zu tun. Sie sind sehr untransparent und undemokratisch. Und sie sind verbunden mit der Regierung. Als Dick Cheney in die Regierung kam, wechselte er direkt vom Waffenkonzern Halliburton. Und nach dem 11. September, als der Krieg gegen den Terror begonnen hatte, stiegen die Halliburton-Aktien in den nächsten zwei Jahren um 1000 Prozent. Cheney machte unglaublich viel Geld durch seine Halliburton-Aktien, obwohl er nicht direkt für die Firma arbeitete. Außer, dass das Pentagon seine Ausgaben deutlich ausweitete und Halliburton zahlreiche Verträge bekam. Das müsste veröffentlicht werden und darüber sollte gesprochen werden. Aber wir sehen diese Geschichten nicht in den Medien.

evangelisch.de: In den USA gibt es derzeit Initiativen, die über Spenden oder private Stiftungen Recherche-Journalismus finanzieren. Auch ihr Institut sammelt Spenden. Ist das auf lange Sicht eine Zukunfts-Alternative?

Phillips: Nein, nein. Es muss strukturell sein. Es müssen demokratische Institutionen aufgebaut werden und Geld und Ressourcen dort hineingesteckt werden. Das kann nicht nur auf Spenden basieren. Es kann nicht sein, dass ein paar reiche Leute uns retten sollen. Menschen müssen ihre eigenen Regierungen kontrollieren. Und letztendlich auch ihre Unternehmen.

evangelisch.de: Ist sich die Mehrheit der Journalisten überhaupt im Klaren über ihre Aufgabe, Öffentlichkeit und damit Demokratie herzustellen?

Phillips: Einige sind es. Die meisten Menschen gehen zu Journalistenschulen, weil sie an die Aufgaben der Presse und das öffentliche Recht auf eine offene, transparente Gesellschaft glauben. Einige werden dann in politische Motive eingespannt, um bestimmte Dinge nicht zu sagen. Andere werden bezahlt, sogar von der CIA, um bestimmte Geschichten zu schreiben. Zum Großteil denke ich aber, dass Journalisten in sehr idealistischer Weise in den Beruf starten und sich dann dem System angleichen, weil sie lernen, welche Art von Geschichten veröffentlicht werden und welche nicht. Einige andere hören auf.

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evangelisch.de: Wenn sie drei Wünsche frei hätten, die Sie ausschließlich für die Zukunft des Journalismus einsetzen dürfen – welche drei wären das?

Phillips: Ich hätte total gerne kommunale Radiostationen und Zeitungen, finanziert aus Steuergeldern. Überall auf der Welt, verbunden über das Internet, damit sie ihre Geschichten untereinander teilen können. Gute Übersetzungsmaschinen würde ich mir wünschen, damit wir uns untereinander verstehen können. Und Universitäts-Professoren, welche die Situation analysieren, uns Richtlinien und Maßstäbe geben und in noch größerer Breite recherchieren können. Das könnte ein sehr demokratisches, transparentes System ergeben, durch das wir erfahren, welche Entscheidungen die Mächtigen treffen. Die Macht könnte so besser kontrolliert werden


Daniel Drepper ist freier Journalist und lebt in Drensteinfurt.