Was Obama-Aktivisten ein Jahr nach dem Triumph denken

Was Obama-Aktivisten ein Jahr nach dem Triumph denken
"Change": Der Wechsel gestaltet sich zäher, als viele Obama-Anhänger erwartet hätten. Unsere Reporterin hat sich aufgemacht, die Stimmung an der Basis ein Jahr nach Amtsantritt zu erkunden.
19.01.2010
Von Anna Winkler-Benders

"Heute sage ich euch, dass die Herausforderungen, vor denen wir stehen, real sind. Sie sind ernsthaft und sie sind zahlreich. Sie werden nicht leicht oder kurzfristig zu meistern sein." Diese Worte sprach Barack Obama am 20. Januar 2009 bei seiner Amtseinführung. Über eine Million Menschen jubelten ihm auf der National Mall in Washington zu, viele Millionen verfolgten vor dem Fernseher begeistert seine Rede. "Change has come to America", stand auf der Internetseite des Weißen Hauses. Zu verdanken war der Wechsel auch zahllosen Freiwilligen, die sich im Wahlkampf für Obama und seine Vision vom "Change" eingesetzt und Wähler mobilisiert hatten.

Ein Jahr später ist klar: Die angekündigten Herausforderungen hätten kaum größer sein können. Gesundheitsreform, Bildungspolitik, Klimaschutz, zwei Kriege, dazu die größte Finanzkrise seit der 1929 ausgelösten Weltwirtschaftskrise - Kritiker werfen Obama mangelnde Ergebnisse vor. Aber nicht nur die einstigen politischen Gegner sind unzufrieden: Die Zustimmung zu Obamas Politik ist laut einer aktuellen Umfrage des Senders CBS mit 46 Prozent (bei 41 Prozent Missbilligung) auf einen Tiefpunkt gesunken. Was denken nun einstige Wahlkämpfer und Anhänger?

Facebook-Suche nach enttäuschten Wählern

Manche zeigen sich demonstrativ enttäuscht. Die Facebook-Gruppe "I Bet I Can Find 1.000.000 People Sorry They Voted for Obama" begibt sich auf die Suche nach einer Million enttäuschter Wähler. Andere warten mit ähnlichem Interesse und eigener Internetseite ( "I am sorry, I voted for Obama") auf und wollen gar vier Millionen Gleichgesinnte finden.

[linkbox:nid=10295;title=Fotogalerie zur Amtszeit von Obama]

Viele, die sich dort äußern, vermissen die versprochene Veränderung. Jared aus Illinois begründet seine Wahl: "Ich war total davon überzeugt, dass es einen echten Wandel geben wird." Inzwischen sei er desillusioniert, schreibt er: "Je mehr Dinge 'geändert' werden, desto mehr bleibt als alles beim Alten." Ähnlich äußert sich Arnold aus Maryland: "Es tut mir leid, dass ich für Obama gestimmt habe. Ich dachte, dass es sein Ziel wäre, das Land anders zu führen, und jetzt ist alles beim Alten. Ich bin mit Politikern fertig." Der Tenor der Kommentare ist eindeutig. Vom selbst gesteckten Ziel sind die Initiatoren aber noch weit entfernt. Bislang registrierten sich erst gut 4.000 frustrierte Ex-Obama-Fans.

"Er ist nur ein Mensch"

Auch wenn man sich unter Obamas ehemaligen Wahlkampf-Aktivisten umhört, tritt nicht so viel Frust zutage, wie mancher vielleicht erwarten würde. Zwar ist die Euphorie von vor einem Jahr einer gesunden Portion Realismus gewichen, aber verantwortlich für manche unerwartet zähen Probleme werden andere gemacht, nicht Barack Obama.

"Was soll er denn noch tun? Er ist nur ein Mensch", nimmt etwa Nicholas Watson den Präsidenten in Schutz. Watson engagierte sich im Wahlkampf als Freiwilliger für Obama - und hält heute noch tapfer dagegen, wenn andere Obama vorwerfen, er habe noch nichts erreicht und lasse sich mit Entscheidungen zu lange Zeit: "Ich schätze Obamas Führungsstil. Ich vertraue ihm. Gerade weil er bei so wichtigen Entscheidungen wie etwa dem Truppeneinsatz in Afghanistan nicht unüberlegt schnell vorprescht – wie einst George W. Bush." Zudem stehe Amerika kurz davor, erstmals in seiner Geschichte jedem eine Krankenversicherung zu ermöglichen, ergänzt der einstige Wahlkampfhelfer: "Durch Obamas Gesundheitsreform."

Frust über langsame Fortschritte? Ja, aber: "Dafür kann Obama nichts"

Diese Reform ist ein Prestigeprojekt Obamas - und ganz besonders umstritten. Viele Kompromisse sind in den Gesetzesentwurf bereits eingeflossen, weitere Änderungen stehen vermutlich noch an. Aber auch hier sind viele ehemalige Aktivisten der "Change"-Kampagne verständnisvoll. Etwa Jeanne Heifetz. "Na und? Um eine politische Entscheidung durchzubringen, muss man Kompromisse eingehen", sagt die New Yorkerin. Klar würde sie sich wünschen, dass manche Dinge, wie beispielsweise die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo schneller vollendet werden, erklärt Heifetz. Aber: "Das langwierige Verfahren liegt am politischen System Amerikas. Dafür kann Obama nichts."

Am 20. Januar 2009, bei der umjubelten Antrittsrede, war Jeanne Heifetz in Washington dabei. Auf dem Präsidentschaftsball der Helfer feierte die Demokratin ihren erfolgreichen, fast ein Jahr dauernden Einsatz für Obamas Wahlkampforganisation Obama for America (OFA, heute Organizing for America). Schnell sei klar gewesen, dass ihre Heimatstadt New York sicher an Obama gehen werde, erzählt sie rückblickend. Deshalb sei ihre Aufgabe gewesen, Anhänger in Pennsylvania zu mobilisieren.

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Anfangs habe sie private Mitfahrgelegenheiten in die dortige Bundeshauptstadt Philadelphia organisiert, um dort Basiswahlkampf zu machen. "Wir sind von Tür zu Tür. Haben vor allen Dingen Leute aufgesucht, die seit Jahren nicht mehr wählen waren, haben ihnen von Barack Obama erzählt und sie versucht zu überzeugen, sich für die Wahl registrieren zu lassen." Schnell wurden aus diesen Fahrten richtige Bustouren, da sich so viele Freiwillige engagieren wollten. Die letzten 15 Wochen vor der Wahl ist Heifetz jeden Samstag mit einem gemieteten Reisebus voller Obama-Begeisterter nach Philadelphia gefahren.
"Man musste einfach etwas tun. Acht Jahre George Bush! Ich fühlte mich verzweifelt und dachte, wenn wir jetzt nichts tun, dann ist das das Ende von Amerika."

Die Kampagne war erfolgreich - aber nach der Wahl ist vor der Wahl. Deshalb ist für die Obama-Aktivistin am Jahrestag der Inauguration keine Zeit für eine Party. Sie zitiert Obamas Ansprache zur Gesundheitsreform: "Wir erleben einen dieser seltenen Momente der Geschichte, an dem wir die Möglichkeit haben, unser Land zum Besseren zu ändern. Das ist niemals leicht. Und das fängt niemals in Washington an. Das fängt bei jedem Einzelnen selbst an."


Anna Winkler-Benders ist freie Journalistin und lebt in New York.