Die Symphonie der Schaufeln kann man lange hören, bevor man sie endlich sieht. Hundertfach trifft Metall auf Sand, sorgt für an- und abschwellendes Knirschen, untermalt von anfeuerndem Gesang und dem rhythmischem Klatschen, das entsteht, wenn eine Schippe Erde mit dumpfem Plopp wieder auf der Erde landet. Die Quelle dieser Komposition liegt versteckt hinter dem goldgelben Meer an Maispflanzen, einem gigantischen Labyrinth des Überflusses, denn überall reifen prächtige Kolben. Je näher man kommt, desto gewaltiger ist das Crescendo. 500 Frauen und Männer sind hier zugange, buddeln an einem Kanal von gigantischen Ausmaßen: 1,2 Kilometer lang, drei Meter tief, drei Meter breit.
"Früher waren die Leute dünn wie ein Grashalm"
Zeit für eine kurze Pause. Halgete Orano lehnt die Schaufel an einen Morenga-Baum, wischt sich mit dem T-Shirt den Staub vom verschwitzten Gesicht. "Früher hätten wir Probleme gehabt, Helfer zu finden, die so hart und so schnell arbeiten können wie wir heute. Die Leute waren dünn wie ein Grashalm." Halgete Orano ist zwar erst 30 Jahre alt, hat aber trotzdem bereits einen wichtigen Posten bei den Menschen vom Stamm der Konso. Der zurückhaltende Mann ist Vorsitzender der Bauernvereinigung im Gebiet von Jarso, das 16 Dörfer umfasst. Dass heute so viele Menschen hier heute buddeln, als ginge es um ihr Leben, hat damit zu tun, dass viele tausend Bauern vor einigen Jahren eine beispiellose Entscheidung getroffen haben. Sie haben Neuland betreten, im wahrsten Sinne des Wortes: Die Konso sind mit ihren Feldern umgezogen, von den Hügeln ins Flachland. Aber nicht ganz freiwillig.
"Wir sind bekannt dafür, dass wir selbst kargen Böden eine Ernte abringen", sagt Halgete Orano. Die Dörfer der Konso hängen wie Schwalbennester an den Bergkuppen, darunter liegen ihre Felder. Terrassenförmig angelegt nutzen sie das spärliche Regenwasser optimal aus und verhindern die Erosion der dünnen Humusschicht. Viele Generationen lang wuchs hier Mais und Sorghum, im Laufe der letzten Jahrzehnte allerdings immer schlechter: Dürren sorgten häufiger für Ernteausfälle als früher, der Boden war ausgelaugt. Hinzu kam, dass bei der Missionierung die traditionelle Familienplanung der Konso als rückständig und gottlos verteufelt worden war: Die Frauen bekamen mehr und mehr Kinder, im Schnitt sieben pro Familie. Und all litten sie dann an Hunger, erinnert sich Halgete Orano an seine Jugend: "Statt drei Mal am Tag wurde nur noch einmal gegessen. Und an manchen Tagen überhaupt nicht mehr."
Statt Gestrüpp und Ästen: Wehre aus Stahl und Beton
Die Konso sind aber auch dafür bekannt, dass sie sich nicht einfach geschlagen geben. "Wir haben versucht, auch auf unserem traditionellen Besitz im Flachland Mais anzubauen. Es war dort aber viel zu trocken – wir konnten nur Kühe und Ziegen grasen lassen." Die dortigen Flüsse Yanda und Segen führen nicht das ganze Jahr, sondern nur nach den beiden kurzen Regenzeiten Wasser – dann schießt ein wilder Strom ungenutzt in die Ebene. Mit Wehren aus Ästen und Gestrüpp versuchten die Bauern, das Wasser umzuleiten. Vergeblich.
Doch dann hörten sie, dass in der nahen Stadt ein Mann namens Toraito Kussia arbeitete, den viele noch von früher kannten – er war ihr Grundschullehrer gewesen. Inzwischen arbeitete Toraito Kussia für das Entwicklungsprogramm der Mekane Yesus Kirche, einem Zusammenschluss der lutherischen und reformierten Kirchen in Äthiopien. Vielleicht konnte ihr ehemaliger Lehrer dabei helfen, dauerhafte Wehre zu bauen?
Aus dieser Idee ist ein gigantisches Projekt entstanden. Ingenieure haben zuerst die Flüsse vermessen, dann sechs Wehre aus Stahl und Beton sowie ein daran anschließendes Netz an Kanälen geplant. "Wir haben die Experten der Regierung eingebunden und unser ganzes Netzwerk an Fachkräften genutzt", sagt Toraito Kussia. Anders als bei Dämmen werden die Flüsse so nicht komplett gestaut, sondern nur eine genau berechnete Menge Wasser auf das Ackerland umgeleitet.
Für jedes Wehr ist eine Bauern-Kooperative zuständig
Fast 50 Kilometer Kanäle haben die Bauern dafür in Handarbeit gegraben und bewässern inzwischen 4.000 Hektar Land, das sie vorher nicht für Maisanbau nutzen konnten. Weil das Projekt so erfolgreich läuft, sollen nun 2.000 weitere Hektar hinzukommen, die den Bauern aus Jarso und denen aus dem Birbirsa-Distrikt gehören. Toraito Kussia kann verstehen, wenn es Besuchern angesichts der Dimensionen schwindlig wird: "Am Ende werden wir durch unser Programm direkt und indirekt die Ernährung von etwa 100.000 Menschen sichern."
Und das nicht kurzfristig, sondern nachhaltig. Denn mit dem Bau der Anlagen ist es nicht getan, sie müssen auch gepflegt werden. "Jedes Wehr hat seine eigene Kooperative – die Bauern sind für die Instandhaltung selbst verantwortlich. Jedes Jahr vor der Regenzeit treffen wir uns für einen Arbeitseinsatz, um die Kanäle auszubessern", sagt Halgete Orano von der Bauernvereinigung. Selbst für Reparaturen, die von den Bauern nicht selbst erledigt werden können, soll künftig gesorgt sein: Die Kooperativen haben Bankkonten angelegt, auf die jeder einen Beitrag einzahlt. Eines Tages, so die Idee, könnten sich diese Kooperativen auch um die gemeinsame Vermarktung der Ernte kümmern.
Schulungen und neue Produkte
Denn so imposant sie auch sind: Die Wehre und das System von Kanälen sind nur ein Teil des Projekts. In Gärtnereien trainieren Bauern den Anbau von Gemüse und Früchten. "Ob Kohl, Tomaten oder Sesam: Viele Pflanzen sind unbekannt, weil es nie genügend Wasser gab, um sie anzubauen. Jetzt können wir damit experimentieren", erklärt Vorarbeiter Johannes Berisha. Er veredelt auch Orangenbäumchen, damit später die Erträge höher sind.
Zwar werden Mais und Sorghum auch künftig die "cash crops" der Konso bleiben. "Für Sesam und Chili lassen sich auf dem Markt aber gute Preise erzielen", sagt der Fachmann. "Wir ermuntern die Bauern deswegen, ihren Anbau zu diversifizieren." In Schulungen bringt er seinen Landsleuten auch bei, wie sie Schädlinge bekämpfen und Kompost als natürlichen Dünger verwenden können.
Lernen, das sich lohnt. "Mein neuer Hektar Land hat mir 100 Säcke Mais à 90 Kilo eingebracht – zum Essen braucht meine Familie aber nur zehn Säcke. Den Rest kann ich verkaufen", sagt Galuto Gahano aus dem Dorf Baya Ea. Der 55-Jährige bezahlt dank des guten Ertrags inzwischen sogar Helfer, die ihn beim Unkraut jäten und der Ernte unterstützen. Seine sieben Kinder schickt der Bauer nämlich lieber in die Schule – und das nicht nur, um Lesen und Schreiben zu lernen. "Sind ihre Noten gut, dann schicke ich sie später auch aufs College." Gilt das auch für Asamenech, Aberash und Genzebe, seine drei Mädchen? Galuto Gahano runzelt die Stirn, scheint sich über die Frage zu wundern. "Sie bekommen genauso viel zu essen wie meine Jungs. Und ich mache auch hier keinen Unterschied – schließlich ist Bildung mein wichtigstes Geschenk an sie."
"Brot für die Welt" ist eine seit 1959 bestehende Hilfsaktion der evangelischen Landes- und Freikirchen. Sie fördert durch eine Vielzahl von Projekten in den armen Regionen der Erde nachhaltige Entwicklung - in enger Kooperation mit einheimischen Kirchen und Nichtregierungsorganisationen.
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