Neue Phase in Kopenhagen und Nervosität in Berlin: Nach neun Tagen auf Delegationsebene und informellen Gesprächen begannen am Dienstag die Umweltminister mit ihren eigentlichen Verhandlungen bei dem Mammuttreffen. Sie bereiten alles für die Staats- und Regierungschefs vor, die am Freitag dann den Durchbruch für ein globalen Klimaabkommen schaffen sollen. In Berlin zeigte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel angesichts der immer knapper werdenden Zeit nervös. Sie dringt auf eine Einigung über die Begrenzung der Erderwärmung auf höchstens zwei Grad.
Bei der feierlichen Eröffnung der offiziellen Ministerrunde in Anwesenheit des britischen Thronfolgers Prinz Charles sagte UN- Generalsekretär Ban Ki Moon: "Unsere Zukunft beginnt hier in Kopenhagen. Wir können nicht ein weiteres Jahr überlegen. Natur verhandelt nicht".
"Wir wissen, dass uns die Zeit knapp wird", sagte Merkel in Berlin. "Deshalb ist große Ernsthaftigkeit gefragt." "Ich will nicht verhehlen, dass ich schon etwas nervös bin, ob wir das alles schaffen.» Die Kanzlerin stimmte sich mit US-Präsident Barack Obama, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und dem britischen Premierminister Gordon Brown auf einer Videokonferenz für die Gipfelrunde ab. Umweltminister Norbert Röttgen blickte am Dienstag etwas optimistischer in die Zukunft. Er sieht gute Chancen für ein Ergebnis auf dem Klimagipfel. "Nach meiner Einschätzung sind wir noch im Plan, um am Freitag zu einem Ergebnis zu kommen", sagte er. Aus Verhandlungskreisen verlautete, dass am Mittwoch ein neuer Textentwurf für das Abkommen vorgelegt werden soll.
USA weisen Kritik zurück
Die US-Delegation wies am Dienstag mit Rechenbeispielen Kritik an ihren Reduktionszielen zurück. Die USA würden in ihren Reduktionszielen in fünf von sechs Punkten die EU überbieten oder zumindest gleichziehen, sagte US-Delegationsleiter Todd Stern. Die USA wollen den Ausstoß von Treibhausgasen im Vergleich zum Jahr 2005 um 17 Prozent zurückfahren, die EU dagegen strebt eine Verringerung um 20 bis 30 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 an. Auf dieses Jahr umgerechnet würden die US-Reduktionsziele nach Angaben von Wissenschaftlern nur etwa 4 Prozent ausmachen. Stern erklärte, inzwischen halte praktisch nur noch die EU an dem Referenzjahr 1990 fest. Für die USA aber mache 2005 mehr Sinn, auch unter dem Aspekt, dass US-Präsident Barack Obama noch nicht so lange im Weißen Haus sei und was er nun tun könne. Stern betonte, die USA wollten ihre Emissionen auch schnell weiter zurückfahren - bis 2025 um 30 Prozent und bis 2030 um 42 Prozent. Dies wären im Vergleich zu 1990 18 beziehungsweise 33 Prozent.
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Verhandlungsteilnehmer machten klar, dass es kaum Aussicht gibt, am Referenzjahr 1990 zu rütteln. EU-Umweltkommissar Stavros Dimas forderte in Kopenhagen die gleiche Rechtsgrundlage für alle Industrieländer, inklusive der USA. "Wir sind für eine einzige Übereinkunft mit der Übertragung der Grundlagen des Kyoto-Protokolls und den Mechanismen."
Europa wies unterdessen beim UN-Klimagipfel Vorwürfe der Entwicklungsländer zurück, der Westen wolle die Verbindlichkeit der geplanten neuen Klimaziele aufweichen. "Wir sind hier, weil wir für alle rechtsverbindliche Ziele wollen, von nichts anderem reden wir", sagte der EU-Verhandlungsführer und schwedische Umweltminister Andreas Carlgren. China und die USA müssten mehr Zugeständnisse machen, forderte er. Die chinesische Delegation ihrerseits warf der EU eine unfaire Verhandlungstaktik vor. "Die EU-Delegationen präsentierten uns einen inakzeptablen 'de-facto-Vorschlag'", sagte Verhandlungsführer Yu Qingtai. Tokio wird nach Berichten japanischer Medien vom Dienstag bis 2012 rund 6,9 Milliarden Euro in den internationalen Klima-Fonds für Entwicklungsländer einzahlen, knapp 500 Millionen mehr als ursprünglich geplant. Regierungschef Yukio Hatayama wolle diese internationale Verpflichtung Japans am Freitag in Kopenhagen offiziell bekanntgeben, berichtete die Zeitung "Tokyo Shimbun".
Arnold Schwarzenegger ist angetan
Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger (62) zeigte sich vom Geist des Klimagipfels angetan. "Kopenhagen gibt uns die Chance, die Welt wieder mit anderen Augen zu sehen", sagte er. Auch wenn die 115 Staats- und Regierungschefs am Freitag kein weitgehendes Klimaschutzabkommen erreichen würden, werde die weltweite Bewegung für weniger Treibhausgase weitergehen. "Die Wirklichkeit wird die nationalen Regierungen mit ihren Regeln überholen."
Nach einer Studie der Organisation Climate Interactive reichen die bisherigen Zusagen auf dem Klimagipfel nicht aus, um den Temperaturanstieg zu begrenzen. Demnach würde die Temperatur nach den bisherigen Vorgaben bis zum Jahr 2100 um 3,9 Grad ansteigen. Das Ziel sei eine Begrenzung des Temperaturanstiegs um 1,5 bis 2 Grad. Ohne jede Änderung des bisherigen Verhaltens würde die Temperatur um 4,8 Grad ansteigen.
In seiner Botschaft zum katholischen Weltfriedenstag am 1. Januar bezeichnete der Papst die Bewahrung der Schöpfung als Voraussetzung für die Sicherung des Friedens. "Gefahren, die vom nachlässigen - wenn nicht missbräuchlichen - Umgang mit der Erde herrühren", seien nicht weniger besorgniserregend als Kriege, Terrorismus und Menschenrechtsverletzungen, betonte er. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, sagte, jeder einzelne sei gefragt, "mit seinem Lebensstil und seinen politischen Einflussmöglichkeiten einen Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung und damit einen Beitrag zum Frieden zu leisten".
"Ökonomie des Genug"
Der Generalsekretär des Weltkirchenrats, Samuel Kobia, mahnte in Kopenhagen, die reichen Staaten trügen die historische Verantwortung für die Erderwärmung. Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Katrin Göring-Eckardt, sagte: "Der Klimagipfel von Kopenhagen muss ein Erfolg werden." Die evangelische Kirche plädiere für eine "Ökonomie des Genug".
An der Konferenz nehmen mittlerweile 193 Staaten teil. Umwelt- und Entwicklungsorganisationen beklagten, die Konferenzleitung habe "undemokratische" Restriktionen erlassen. Nach einem Beschluss der UN und der dänischen Konferenzpräsidentschaft dürfen ab Donnerstag nur noch 1.000 Aktivisten ins Konferenzzentrum. Am Freitag, wenn Obama erwartet wird, erhalten nur noch 90 Vertreter der Zivilgesellschaft Einlass. In der ersten Gipfelwoche gehörten nach UN-Angaben mehr als die Hälfte der 15.000 Teilnehmer nichtstaatlichen Organisationen an.
Seit Montag herrschen bei der Registrierung für die UN-Konferenz chaotische Zustände. Teilnehmer, die erst zur zweiten Woche des Gipfels angereist waren, mussten zum Teil stundenlang in der Kälte ausharren, bevor sie ins Konferenzgebäude kamen. Nach UN-Angaben sind insgesamt 45.000 Delegierte und Beobachter für den Gipfel nach Kopenhagen gereist, das Konferenzzentrum fasst allerdings nur 15.000 Menschen. In der Stadt gab es in der Nacht zum Dienstag schwere Krawalle, mehr als 200 Personen wurden festgenommen. Die Polizei rückte in der alternativen Siedlung "Freistadt Christiana" ein, wo dänische und internationale Umweltaktivisten ein Fest veranstalteten.