"Charter in den Tod": Frankreich schiebt Afghanen ab

"Charter in den Tod": Frankreich schiebt Afghanen ab
Der "Charter nach Kabul" hat Paris verlassen. Frankreich und Großbritannien haben zum ersten Mal seit Jahren wieder Migranten in das kriegszerrissene Land abgeschoben.
22.10.2009
Von Ulrike Koltermann

Erst sollten es etwa 20 sein, am Ende waren es nur drei Männer, die aus der Gegend von Kabul stammen. Die sozialistische Opposition und zahlreiche Hilfsorganisationen sind empört. Die Organisation SôS sprach von einem "Charter in den Tod". "Die Sicherheit der Migranten kann in Afghanistan nicht gewährleistet werden, die Rückführung verstößt gegen das Asylrecht", betonen die Sozialisten.

Einwanderungsminister Eric Besson, der in seinem früheren politischen Leben selbst zur Führung der Sozialisten gehörte, hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass Frankreich wieder nach Afghanistan abschieben wollte. Er will Schleppern und Migranten gleichermaßen die Botschaft übermitteln: Frankreich meint es ernst. Wer weder Papiere noch Recht auf Asyl hat, der wird zurückgeführt, notfalls auch unter Zwang. Dabei achte Frankreich aber darauf, dass nur in sogenannte "sichere Zonen" in Afghanistan abgeschoben werde, betonte Besson.

"Wenn sie mich abschieben, komme ich gleich wieder"

"Die Afghanen, die nach Europa kommen, fliehen vor dem Krieg gegen die Taliban", betont Pierre Henry, Leiter von France Terre d'Asile. "Letztlich sind die Flüchtlinge auch eine Folge unserer militärischen Präsenz in der Region", fügte er hinzu. Die Zahl der Afghanen, die in Frankreich Zuflucht suchen, habe in den vergangenen Monaten stark zugenommen. Genaue Statistiken gibt es nicht. Anfangs kamen vor allem junge Männer, jetzt sind es auch ganze Familien und zahlreiche unbegleitete Minderjährige. Im vergangenen Jahr hat die Organisation etwa 500 afghanische Kinder und Jugendliche unter 18 aufgegriffen. Etwa ein Zehntel von ihnen kam in Heimen oder Gastfamilien unter, die übrigen verschwanden wieder.

"Wenn sie mich abschieben, dann komme ich gleich wieder", sagt ein 20-Jähriger aus Kabul, der sich seit einigen Wochen in Paris ohne feste Unterkunft durchschlägt. "Zu Hause ist Krieg. Ich will studieren und Geld verdienen", fügt der junge Mann hinzu, der von seiner Familie Geld bekommen hat, um die Schlepper zu bezahlen. Einen großen Teil der Reise hat er in einem Karton versteckt auf der Ladefläche eines Lastwagens verbracht. Jetzt schläft er unter einer Brücke am Ufer des Pariser Kanals und verbringt die Tage mit seinen afghanischen Freunden in einem kleinen öffentlichen Park. Auf einen Asylantrag verzichtet er, denn den müsste er - mit wenig Aussicht auf Erfolg - in Griechenland stellen.

Hilfsorganisationen: Asylrecht in Europa vereinheitlichen

Um politisches Asyl zu bekommen, reicht es nicht aus, einem Kriegsland wie Afghanistan entflohen zu sein. Asylbewerber müssen nachweisen, dass sie in ihrer Heimat verfolgt und bei ihrer Rückkehr bedroht werden. Nach dem sogenannten Dublin-Abkommen müssen Flüchtlinge den Antrag in dem Land stellen, in dem sie in die EU eingereist sind. Für Afghanen ist dies oft Griechenland oder Italien, wo die überlasteten Behörden mit der Bearbeitung kaum nachkommen.

Viele Hilfsorganisationen fordern deswegen, das Asylrecht in Europa zu vereinheitlichen. So lange dies nicht der Fall sei, sollten die Flüchtlinge aus Afghanistan angesichts der Lage in ihrem Land zumindest geduldet werden - so wie in den 90er Jahren die Balkanflüchtlinge. 

dpa