Der Film beginnt mit einer Rückkehr, die wie eine Ouvertüre die Handlung vorwegnimmt: Mutter und Tochter sorgen dafür, dass ein Löwenbaby in den Schoß seiner Familie zurückfindet. Der Einstieg lässt den typischen Afrika-Kitsch befürchten, den ARD und ZDF seit einigen Jahren immer wieder mal im Angebot haben; meist werden dabei Frauen von ihrer deutschen Vergangenheit eingeholt. Gänzlich anders verläuft diese Geschichte zwar nicht, aber immerhin warten die Autorinnen Annette Simon und Melanie Brügel mit einigen Überraschungen auf. Die erste ist der abrupte Abschied von der Hauptfigur: Charlotte, die eine Safari-Farm betreibt, stirbt bei einem Autounfall. Das ist durchaus verblüffend, schließlich wird sie von Katja Riemann verkörpert. Zwangsläufig rückt nun Paula Kalenberg ins Zentrum. Das klingt mutiger, als es ist: Die vor sechs Jahren durch "Die Wolke" bekannt gewordene junge Schauspielerin muss den Film keineswegs allein tragen, denn Katja Riemann kehrt zurück; und um sie herum tummelt sich plötzlich eine ganze Riege ziemlich namhafter Kollegen.
Österreichische Wurzeln
Die Handlung ist derart komplex, dass sie gut und gern auch für einen Zweiteiler gereicht hätte: Im Nachlass ihrer Mutter entdeckt die knapp 18 Jahre alte Stella, dass sie österreichische Wurzeln hat. Kurz entschlossen reist sie in die Steiermark, um ihre Familie kennen zu lernen und vielleicht sogar zu erfahren, wer ihr Vater ist. Die Löwenthals sind durch eine südafrikanische Diamantenmine zu erheblichem Wohlstand gekommen, von dem sie heute noch zehren. Doch der Patriarch, Albert (Friedrich von Thun), liegt im Sterben; um die Geschäfte kümmert sich sein Neffe Konstantin (Herbert Knaup). Wie vom Donner gerührt aber ist Stella, als sie ihrer Tante Charlotte begegnet: Sie ist die eineiige Zwillingsschwester ihrer Mutter.
Weil das Drehbuch neben dem familiären Drama auch noch eine Krimiebene enthält – ein Journalist (Fritz Karl) wirft Konstantin Löwenthal vor, er lasse Diamanten aus Afrika nach Italien schmuggeln –, kommen die Charaktere ebenso zu kurz wie Stellas Trauerarbeit; angesichts des Verlustes wirkt die Unbekümmertheit, mit der Paula Kalenberg den Teenager verkörpert, etwas befremdlich. Andererseits spielt sie Stella sehr glaubhaft; immerhin ist sie bereits Mitte zwanzig. Überzeugend verkörpert sie den jugendlichen Zorn, mit dem die junge Frau wie einst ihre nach Afrika geflohene Mutter alles ablehnt, wofür der Name Löwenthal steht.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Trotzdem hat Katja Riemann die zwar etwas kleinere, aber interessantere Rolle, denn Charlotte ist die tragische Figur der Geschichte: Der Vater hat stets die aufmüpfige Clarissa vorgezogen, und auch für ihren Mann (Thomas Sarbacher) war sie bloß der Ersatz für die Schwester, die er nicht haben konnte. Ein überraschend sehenswertes Familiendrama, das nie ins naheliegende Melodram abrutscht (Regie und Kamera: Xaver Schwarzenberger); wenn Stella ihrem Großvater aus Tolstois "Krieg und Frieden" vom "Riss in der Seele" vorliest, ist das durchaus bewegend.