Luthers Judenhass: Ein Denkmal bekommt Risse

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Johannes Reuchlin, Ulrich von Hutten und Martin Luther (von links) als Patrone der Freiheit. Der Humanist Reuchlin hatte in seinem Werk "Augenspiegel" 1510 die Verbrennung des Talmud abgelehnt und diesem eine positive Rolle zum Verstehen des christlichen Glaubens zugewiesen. Holzschnitt aus Thomas Murner, History von den fier Ketzren Prediger ordens, Straßburg 1521.
Luthers Judenhass: Ein Denkmal bekommt Risse
Dass Martin Luther sich antisemitisch geäußert hat, steht außer Frage. Doch wie stark wirkte sein Judenhass in den Jahrhunderten nach der Reformation, und vor allem: Wie groß war Luthers Bedeutung für den Vernichtungsantisemitismus der Nationalsozialisten? Eine Hamburger Tagung versuchte sich an Antworten.
22.11.2013
René Martens

"Hier stehe ich, ich kann nicht anders" lautete einer der berühmtesten Aussprüche Martin Luthers. Der Satz war diese Woche auch Titel einer Veranstaltung in der Evangelischen Akademie der Nordkirche. Der Untertitel: "Martin Luther, die Juden und die Kirche". Es ging um Luthers judenkritische Schriften. Konnte der Reformator da auch nicht anders? Wie soll die evangelische Kirche heute im Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 mit dem Antijudaismus des Wittenbergers umgehen? Ihn einfach als Zeitgeist abtun?

###mehr-artikel###Es gelte "erstlich, dass man ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer anstecke", schrieb Luther, "zum zweiten, dass man ihre Häuser dergleichen zerbreche und zerstöre" und des Weiteren in einem sieben Punkte umfassenden Liste, dass man ihnen "alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold nehme", So heißt es in dem 1543 publiziertem Werk "Von den Juden und ihren Lügen", einer seiner einschlägigen judenfeindlichen Schriften.

Luthers Hasstiraden und Mordaufrufe gegen die Juden seien zwar "weitgehend bekannt", wie es die Akademie in der Ankündigung der Veranstaltung formulierte. Andererseits ist das Buch "Luthers 'Judenschriften'. Ein Beitrag zu ihrer historischen Kontextualisierung", das Standardwerk des Reformationshistorikers Thomas Kaufmann, der auch in Hamburg referierte, erst 2011 erschienen. Pastor Ulrich Hentschel, Studienleiter der Evangelischen Akademie und Moderator der Veranstaltung, bemerkte zudem: Wenn er in letzter Zeit mit Kirchgängern über Luthers Antisemitismus gesprochen habe, sei eine vage "Da war doch mal was"-Haltung zutagegetreten. Die "Kenntnisse über die Radikalität seiner Positionen und ihrer Wirkungsgeschichte" seien aber gering.

Auf dem Weg zum Reformationsjubiläum

Unter dem Schlagwort "Was tun?" hatten die Veranstalter die Frage aufgeworfen, wie heute umzugehen sei mit Luthers Antijudaismus. Diese wollten Mitglieder aus dem Auditorium vor allem gewendet wissen auf die Vorbereitungen zum 500-jährigen Reformationsjubiläum - und die 2017 möglicherweise bevorstehende "Luther-Euphorie", wie es ein Besucher ausdrückte.

Peter Zamory, in der Jüdischen Gemeinde Hamburg Sprecher des Egalitären Minjan, einer liberalen Gruppierung, sagte, wie die evangelische Kirche im Vorfeld der Feierlichkeiten von 2017 mit Luthers Judenhass umgehe, sei der "Lackmustest für den jüdisch-christlichen Dialog". Kaufmann merkte dazu leicht ironisch an, "dass sich das evangelische Christentum in Bezug auf das Reformationsjubiläum einheitlich präsentieren" werde, sei ohnehin nicht zu erwarten.

Der jüdische Politikwissenschaftler Micha Brumlik, der sich neben dem Kirchenhistoriker Kaufmann mit Luthers antijudaistischen Schriften im Kontext ihrer Zeit befasste, sagte, er als Jude wolle der Kirche keine Ratschläge geben, sondern die Frage lieber "als deutscher Staatsbürger" beantworten. Die Reformation sei "ein gesamteuropäisches Ereignis" gewesen. Ihm liege viel daran, dass das "stärker artikuliert" werde. Ihn packe aber schon jetzt das Unbehagen, dass alles "auf ein nationales Ereignis hinsteuert".

Kontroverse zwischen Wallmann und Käßmann

Die mit Blick auf Reformationsbotschafterin Margot Käßmann formulierte Kritik, die evangelische Kirche messe den antijudaistischen Spätschriften Luthers zu viel Bedeutung bei, die kürzlich der Bochumer Kirchenhistoriker Johannes Wallmann vorgebracht hat, fand keine Zustimmung bei der Hamburger Veranstaltung. Allerdings war auch Kritik an Käßmann zu vernehmen. Manfred Gailus, Berliner Historiker und Herausgeber mehrerer Bücher zum Thema Nationalsozialismus und Kirche, sagte, wer wie Käßmann jüngst in der "FAZ" auf die beliebte "Metaphorik von Licht und Schatten" zurückgreife, mache es sich angesichts der Bedeutung von Luthers Antijudaismus "zu einfach".

Während Gailus in Hamburg über die Wirkungsgeschichte von Luthers Judenfeindlichkeit im völkischen Protestantismus der NS-Zeit sprach, reichte der Vortrag von Stephan Linck, der im Kieler Landeskirchenamt im Dezernat Theologie und Publizistik tätig ist, am weitesten in die Gegenwart hinein. Er hat gerade den ersten Teil der zweibändigen Studie "Neue Anfänge? Der Umgang der Evangelischen Kirche mit der NS-Vergangenheit und ihr Verhältnis zum Judentum. Die Landeskirchen in Nordelbien" vorgelegt.

Häufig kam bei der Veranstaltung die Frage auf, inwieweit Luthers Judenhass als "Abstützung" der Nazi-Ideologie diente oder ob er für diese sekundär war. Gailus sagte dazu, eine deutsch-völkische Rezeption von Luthers einschlägigen Schriften habe es "nicht von 1933 an gegeben", vielmehr habe sich erst sukzessive ein "bemerkenswertes Luther-Revival" entwickelt. In seinem Abschlusswort hob der Historiker hervor: "Das Denkmal Luther bekommt Risse, das Bild wandelt sich." An die evangelischen Christen im Auditorium appellierte er, mit Blick auf 2017 nicht nur "zuzuschauen", sondern sich in die "Erinnerungsarbeit einzumischen".