TV-Tipp: "Tatort: Im Wahn"

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21. April, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Im Wahn"
"Im Wahn" verbreitet ästhetisch sowie akustisch subkutanes Unbehagen (Kamera: Martin Langer, Musik: Anette Focks) und ist neben der grundsätzlichen Debatte rund um das Thema Künstliche Intelligenz auch darstellerisch reizvoll, zumal Falke und Feldmann durch die Göttinger Kollegin Schmitz (Florence Kasumba) unterstützt werden. 

Künstliche Intelligenz, heißt es oft, werde unser Dasein auf eine Weise revolutionieren, die die menschliche Vorstellungskraft übersteigt. Das könnte verheißungsvoll klingen, wenn es nicht so viele berühmte dystopische Geschichten gäbe, in denen allzu kluge Maschinen lieber herrschen als dienen wollen. Auch im Krimi existiert seit einiger Zeit ein Subgenre, das vor dem Einsatz von Algorithmen bei Ermittlungen warnt. Darum geht es auch in diesem "Tatort", "Im Wahn", der den Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) wieder mal nach Hannover führt. 

Der Film beginnt in einem Fußgängertunnel in der Nähe des Hauptbahnhofs. Die Kamera pickt sich einzelne Gesichter aus der Menschenmenge heraus. Plötzlich bricht ein Mann zusammen: Jemand hat seine Oberschenkelarterie durchtrennt. Ein Obdachloser sieht den Täter fliehen, läuft ihm hinterher und wird ebenfalls erstochen. Die Kripochefin lässt die Ermittlungen durch eine KI-gestützte Investigations-Software der britischen Firma Kroisos unterstützen.

Das Programm erfasst sämtliche Personen, deren Smartphones zum Zeitpunkt der Tat in der entsprechenden Funkzelle waren, und beginnt dann eine umfangreiche Recherche, für die Menschen vermutlich Jahre brauchen würden. Kroisos analysiert die Bewegungsprofile der letzten Wochen, bezieht außerdem etwaige Nachrichten in digitalen Netzwerken sowie behördliche Kontakte der letzten Jahre mit ein und spuckt prompt einen Namen aus. 

Das klingt nach Science-Fiction, ist aber sogar hierzulande im Grunde ein alter Hut: Die hessische Polizei nutzt schon seit Jahren eine vergleichbare Analysesoftware der US-Firma Palantir (Tolkien-Fans kennen den Begriff: So heißen die "sehenden Steine" in seinen Geschichten aus Mittelerde). Für einen Ermittler der alten Schule wie Falke ist die Vorstellung, eine maschinelle Intelligenz könne seine Arbeit gründlicher und vor allem viel schneller erledigen, natürlich ein Graus. Aber selbst wenn er Finn Jennewein (Thomas Niehaus), den Repräsentanten des Unternehmens, genauso unsympathisch findet wie dessen KI: René Kowalski (Mirco Kreibich) ist ganz offenkundig der Mörder. 

Der Mann ist wegen seiner Wahnvorstellungen in psychiatrischer Behandlung, die Wände seines Dachzimmers im früheren Elternhaus sind über und über mit sinnlosen Kritzeleien bedeckt. Als er die Bundespolizistin und die zuständige einheimische Kollegin Yael Feldmann (Peri Baumeister) kommen sieht, versucht er, übers Dach zu flüchten, und stürzt in den Tod. Selbst wenn sein Motiv, einen offenbar unbescholtenen Pendler zu ermorden, völlig ungewiss ist: Der Fall scheint geklärt. Falke ist trotzdem skeptisch.

Das ändert sich erst, als die kriminaltechnische Untersuchung von Kleidung und Schuhen keinen Zweifel mehr zulässt: Kowalski war der Täter. Die Kripochefin triumphiert: Nun steht der Einführung der zunächst nur probeweise getesteten KI nichts mehr im Wege.  Zu diesem Zeitpunkt ist der Film allerdings erst dreißig Minuten alt, es muss sich also noch etwas ereignen, das die Handlung in eine ganz neue Richtung lenkt: Kurz nach Kowalskis Tod kommt es zu einem weiteren Mord, wieder in unmittelbarer Bahnhofsnähe und nach derart identischem Muster, dass es sich unmöglich um eine Nachahmungstat handeln kann.

Jetzt ist selbst die KI ratlos; der mutmaßliche Islamist, den sie als zweiten Täter anbietet, war’s jedenfalls nicht. Autor Georg Lippert betont jedoch, er habe die Künstliche Intelligenz nicht verteufeln wollen. Tatsächlich verbirgt sich hinter der unerwarteten Handlungswendung ein weiteres Verbrechen, über dessen Hintergründe der Journalist Moritz Staub (Garry Fischmann) aufklären könnte, aber Falke hat den KI-Kritiker abgewimmelt; und nun kann ihm Staub nicht mehr helfen. 

Die Schweizerin Viviane Andereggen hat ihre Regiekarriere 2015 mit der formidablen NDR-Komödie "Simon sagt auf Wiedersehen zu seiner Vorhaut" begonnen und seither einige mehr als sehenswerte Filme gedreht, darunter auch den vielversprechenden Auftakt mit dem damals neuen "Tatort"-Duo aus der Schweiz ("Züri brännt", 2020); 2023 hat sie für die Netflix-Serie "Kleo" den Grimme-Preis bekommen. "Im Wahn" hat naturgemäß weniger Action zu bieten, verbreitet aber ästhetisch sowie akustisch subkutanes Unbehagen (Kamera: Martin Langer, Musik: Anette Focks) und ist neben der grundsätzlichen Debatte rund um das Thema Künstliche Intelligenz auch darstellerisch reizvoll, zumal Falke und Feldmann durch die Göttinger Kollegin Schmitz (Florence Kasumba) unterstützt werden.