"Betreff: Antisemitischer Vandalismus", so beginnt ein Schreiben des Apostolischen Nuntius Cesare Orsenigo vom 15. November 1938, in dem er Kardinal Pacelli von den NS-Pogromen in Berlin berichtet. "Die Zerstörung begann wie auf ein Stichwort", schreibt der katholische Theologe an den späteren Papst Pius XII. in Rom: "Der blinde Volkszorn folgte überall der gleichen Methode."
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Zum 75. Jahrestag der antijüdischen Pogrome vom 9. November 1938 dokumentiert das Berliner Centrum Judaicum historische Diplomatenberichte über die Gewalttaten in Berlin und anderen Orten. Auf 25 großen Tafeln werden von Dienstag an Auszüge aus Schreiben von Diplomaten aus 20 Staaten an ihre Ministerien vorgestellt. Die Ausstellung "Von Innen nach Außen" ist bis Mitte Mai 2014 zu sehen.
"Die brutalste Polizei der Welt"
Die Dokumente belegen vor allem Erschütterung über die Ereignisse, aber auch verharmlosende Darstellungen wie im Fall des irischen Gesandten Charles Bewley, der als Antisemit bekannt war und vor allem die Juden selbst für die Gewalttaten verantwortlich machte. Die in nur fünf Monaten erstellte Ausstellung dokumentiere auch einen neuen Forschungsstand, sagt Kurator Christian Dirks: "Viele der Berichte waren vorher nicht bekannt."
Fast alle der Diplomaten beschreiben in deutlichen Worten, was sich zugetragen hat: Tausende hätten sich an dem Spektakel "bestialisch ergötzt", während die Polizei wohlwollend zugesehen habe, meldet ein brasilianischer Diplomat am 21. November 1938 an sein Ministerium und ergänzt: "Es handelt sich übrigens um die schlagkräftigste, am straffsten organisierte, am perfektesten ausgerüstete und um die brutalste Polizei der Welt, mit den besten Voraussetzungen, jedweden Aufruhr im Volk unverzüglich zu unterdrücken."
Pogrome Auftakt zu einer neuen Dimension der Gewalt gegen Juden
"Die Menschen in diesem fanatisierten Pöbel waren keine Menschen mehr, sie hatten sich in wilde Tiere verwandelt und ihr menschliches Antlitz verloren", schreibt der lettische Gesandte am 26. November aus Berlin an sein Außenministerium. "Der Kurfürstendamm sah wie ein Schlachtfeld aus." Die "Wucht der Ereignisse" sei von den Diplomaten in alle Welt berichtet worden, betont Dirks. Damit sei belegt, dass auch den Zeitgenossen unmittelbar bewusst gewesen sei, dass die Pogrome Auftakt zu einer neuen Dimension der Gewalt gegen Juden waren.
Mit der Ausstellung werde ein neues Kapitel der Diplomatiegeschichte Deutschlands aufgeschlagen, heißt es weiter. Auch Folgen für das NS-Außenministerium, das in rund 100 Fällen auf sogenannte Interventionen anderer Staaten reagieren musste, weil auch deren Bürger bei den Pogromen zu Schaden gekommen waren, werden dokumentiert.
Außenministerium unterstützte Recherche
Das Berliner Auswärtige Amt hat die Ausstellung mit eigenen Recherchen und klassischen diplomatischen Mitteln unterstützt. So seien an Botschaften von rund 50 Ländern sogenannte Verbalnoten mit der Bitte um Unterstützung geschickt worden, sagt Sibylla Bendig, stellvertretende Sonderbeauftragte des Außenministeriums für Beziehungen zu jüdischen Organisationen. Die Botschaften sind verpflichtet, darauf auch zu reagieren.
In einem weiteren Schritt seien deutsche Vertretungen im Ausland angewiesen worden, sich vor Ort um Unterstützung von Recherchen in offiziellen Archiven zu bemühen, sagt Bendig. Als Ergebnis wurden zahlreiche CDs und Faksimiles historischer Dokumente übermittelt.
Auch der einzige dokumentierte Fall eines bei den Pogromen ermordeten ausländischen Juden wird in der Ausstellung vorgestellt: Der polnische Staatsbürger Chaim Both, Inhaber eines Herrenausstatter-Geschäfts in München-Sendling, wurde in der Nacht zum 10. November 1938 erschossen, als er nach einem Kinobesuch die SA bei der Verwüstung seiner Wohn- und Geschäftsräume überraschte. Der SA-Mann wird später vom obersten Parteigericht der NSDAP freigesprochen. Er habe nur den Willen der Führung in die Tat umgesetzt, heißt es in dem Urteil: "Dafür kann er nicht bestraft werden."
Die Ausstellung "Von Innen nach Außen - Die Novemberpogrome 1938 in Diplomatenberichten aus Deutschland" ist ab Dienstag bis zum 11. Mai 2014 sonntags bis donnerstags von 10 bis 18 Uhr, freitags von 10 bis 14 Uhr im Centrum Judaicum zu sehen.