In Ägypten gilt nur ein geringer Prozentsatz der Menschen als Christ:innen. Die meisten von ihnen sind koptisch-orthodox. Christ:innen erleben in Ägypten durchaus Diskriminierung und Gewalt. Welche Rolle spielen christliche Feiertage in der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung in Ägypten?
Die genaue Zahl der Christ:innen in Ägypten ist nicht exakt zu beziffern. Die Kirche spricht aufgrund der Taufregister von einem Prozentsatz von 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung. Über 90 Prozent der Christ:innen Ägyptens sind orthodox. Auch die katholische Kirche, die evangelische Kirche sowie andere christliche Konfessionen, sowie Sekten, sind vertreten und bilden eine relativ kleine Minderheit der gesamten koptischen Christ:innen.
Durch den jetzigen Staatspräsidenten Abdel Fattah El Sisi erfahren die Christ:innen eine bedeutend bessere Zeit als in der Ära des Vorgängers Mursi. Der Präsident Sisi besucht und gratuliert den Christ*innen persönlich durch seine Anwesenheit in den Gottesdiensten, die von Papst Tawadros II., Oberhaupt der koptischen Kirche weltweit, geleitet werden. Das Weihnachtsfest wurde zu einem Nationalfeiertag aller Ägypter:innen erklärt. Sonntags dürfen die Christ:innen später zur Arbeit gehen und nach dem Gottesdienst mit dem Dienst beginnen. Manche Marienprozessionen in Oberägypten werden sowohl von Christ:innen als auch von Muslim:innen gefeiert.
Ebenfalls die St. Georg-Festtage (23. April). Die ägyptische Regierung hat inzwischen ein großes Interesse an der Route der Heiligen Familie durch Ägypten (Mätthäus 2,12-23), besonderes das Ministerium für Tourismus. Christliche Tourist:innen und Pilger:innen werden ausdrücklich eingeladen, auf den Spuren der Heiligen Familie durch Ägypten zu pilgern. Man bezeichnet Ägypten teilweise sogar als zweites Jerusalem.
Die Koptische Kirche gilt als eine der ältesten Kirchen. Haben sich Einflüsse oder Glaubenspraktiken der frühen koptischen Christ:innen in die heutige Glaubenspraxis der Gläubigen erhalten? Welche? Wie sehen diese Praktiken aus?
Die koptische Kirche ist die älteste Kirche der Welt. Als die Heilige Familie Zuflucht in Ägypten suchte und in der geographischen Mitte Ägyptens länger als ein halbes Jahr blieb, segnete das Kindlein Jesus Christus einen Steinblock und machte daraus ein Altar. In dem Buch Isayas (Jesaja), Kapitel 19, Vers 19 lesen wir: "Mitten in Ägypten wird ein Altar stehen, der dem Herrn geweiht ist, […]." Wahrhaftig befindet sich bei Assuit nicht nur ein Altar, sondern auch eine Kirche und sogar ein Kloster der Mutter Gottes Maria, bekannt als Deer Al Moharak. Damit erfüllt sich die Prophezeiung aus dem Buch Isayas.
Die Stationen der Aufenthalte der Heiligen Familie in Ägypten bilden bis jetzt lebendige Orte des Glaubens und sind Zentren der Inspiration, an denen man Kraft und Segen auftanken kann. Dort sind Kirchen und Klöster entstanden, die Glaubenskraft ausstrahlen. Unsere Kirche ist der Ursprung der monastischen Tradition. Die Klöster bilden die Lunge der Kirche. Wir haben lebendige und pulsierende Klöster sowohl in der Wüste als auch in den Städten. Sie zeigen ein Wachstum und blühen regelrecht auf.
Viele Jugendliche verbringen Teile ihres Jahresurlaubes in den Klöstern (Kloster auf Zeit). Die Klöster sind auch ein Vorbild in der Ernährung, Bewahrung der Schöpfung und Umwelt. Inzwischen gibt es Klöster in den USA, in Australien und in Europa, sowohl für Mönche als auch für Nonnen. Da die koptische Kirche eine Kirche der Märtyrer:innen ist, verbindet uns das Synaxarion (liturgisches Buch, das u. a. Kurzviten der Heiligen enthält, deren Feiern begangen werden sollen) täglich mit dem Leben der Vorväter, die ihr Leben wegen des Glaubens geopfert haben. Für die Märtyrer*innen des 20. und 21. Jahrhunderts hat die koptische Kirche den 15. Februar jeden Jahres als Gedenktag bestimmt. Die koptische Sprache wird in der Kirche gepflegt und in der Sonntagschule unterrichtet. Sogar in Deutschland kann man Koptisch und Koptologie studieren.
Die Kirchenmelodie wird von Generation zu Generation weitergegeben. Die Sakramente werden ebenfalls ohne Veränderungen praktiziert, wie etwa die Babytaufe, Babyfirmung und die Babykommunion. Das Beichtsakrament ohne Beichtstuhl ist auch erforderlich in unserem christlichen Leben. Die Segnung der Häuser und Krankensalbung werden ebenso praktiziert, vor allem während des Fastens vor Ostern. Vor jedem Gottesdienst wird mindestens neun Stunden gefastet. Jeden Mittwoch (Tag der Verkündung des Urteils gegen Christus)und jeden Freitag (Tag der Kreuzigung Christi) wird vegan gegessen. Die Priesterweihe wird sowohl für zölibatäre als auch für verheiratete Priester vom Papst oder Bischof gespendet.
Nach wie vor richten wir uns während der Liturgie am Altar nach Osten. Aus Osten kommt die Sonne und Jesus Christus ist unsere Sonne. Die koptische Kirche kennt keine vergleichbaren Reformationen, wie in den Katholischen Konzilen, und betrachtet den ursprünglichen Zustand in der Apostolischen Zeit als die Reformation. Die Reformation stellt für uns eine Rückkehr zur Tradition der Apostolischen Zeit dar.
Wird Ostern in irgendeiner Weise öffentlich gefeiert oder wird im öffentlichen Raum offensichtlich? Wenn ja, wie?
Ostern wird in den Kirchen mit einem langen Gottesdienst und einer Prozession mit der Ikone der Auferstehung innerhalb des Altars und des Hauptschiffes der Kirche gefeiert.
Wie wird Ostern in den christlichen Gemeinden gefeiert? Welche besonderen Gottesdienste, Rituale oder ähnliches gibt es?
Die Vorbereitungen auf das Osterfest sind sehr groß und intensiv: strenges Fasten 55 Tage lang, nur veganes Essen nach einer bestimmten Zeit der Nüchternheit. Die Karwoche ist die Spitze der Askese mit intensiven Gebeten, Singen, Metanoia und Fasten. Die Osternacht (von Karsamstag auf Ostersonntag) ist lang und fröhlich, sie wird auch Nacht des Lichts genannt. Die Kirche wird weiß geschmückt mit Flaggen des auferstandenen, gesiegten Christi. Der Gottesdienst ist wie ein Theaterstück, das in der Kirche durchgeführt wird. Die Kirche wird verdunkelt, ein Dialog beginnt.
Durch Beleuchtung und kräftiges Schlagen der Zimbel und der Triangel wird die Auferstehung symbolisiert. Dies beeinflusst auch die Sinne der Kinder, die auf diese Weise für die wunderbare Auferstehung sensibilisiert werden. Fröhliches Essen miteinander in den Familien oder in den Gemeinden gehört zu der Feierlichkeit. An die Kinder werden Geschenke verteilt. Die Kirche denkt an die Armen und verteilt Lebensmittel und Kleider an die Bedürftigen. Die Kirchen werden weiß geschmückt und zeigen 50 Tage lang nach der Auferstehung fröhliche, helle Beleuchtung. In dieser Zeit wird das Fasten am Mittwoch und Freitag aufgehoben.
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