Der langjährige Thüringer Jugendpfarrer Walter Schilling ist tot. Der zu DDR-Zeiten als "Vater der Offenen Arbeit" mit Jugendlichen weit über die Grenzen seiner Landeskirche hinaus bekannt gewordene Pfarrer starb am Dienstag im Krankenhaus Saalfeld. Schilling litt zuletzt an Osteoporose und war nur noch selten bei Veranstaltungen zugegen, wie die Zeitschrift zur kritischen Aufarbeitung der SED-Diktatur "Horch und Guck" am Mittwoch in Berlin mitteilte.
"Walter Schilling hat die Botschaften des Evangeliums intensiv und kompromisslos gelebt, indem er sich aufrecht und engagiert für Freiheit und Menschenrechte eingesetzt hat", sagte die mitteldeutsche Landesbischöfin Ilse Junkermann. Sie würdigte den evangelischen Pfarrer als Vorbild und Mutmacher für viele Christen der DDR sowie als einen Wegbereiter für die Friedliche Revolution. Zudem habe er die Jugendarbeit revolutioniert und damit Maßstäbe gesetzt.
Ein Vordenker, Mutmacher und Ratgeber
Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, bezeichnete Schilling als einen "Vordenker, Mutmacher und Ratgeber für die Opposition in der DDR". "Walter Schilling konnte zuhören, ohne Schuld zuzuweisen. Er konnte Menschen einfach sehen, wie sie waren. Er wollte immer verstehen, warum Menschen so handeln, wie sie es tun", sagte Jahn. Er "steht für das aufrechte Leben in der DDR, für die Friedliche Revolution und die Aufarbeitung der Vergangenheit". Mit dieser Haltung habe er auch das vereinte Deutschland mit gestaltet, sagte Jahn.
Der sächsische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Lutz Rathenow, würdigte Schillings "Leidenschaftlichkeit und tiefe Freundlichkeit", die "ihn zum Mutmacher werden" ließen. Er sei ein "Energiespender für Jüngere" sowie ein "Inspirator, radikaler Vermittler und moderierender Radikaler" gewesen, sagte Rathenow.
Bekannt geworden war er unter anderem dadurch, dass er von 1968 bis zu Ruhestand 1995 in dem bei Saalfeld gelegenen Ort Braunsdorf in seinem Pfarrhaus junge Menschen aufnahm, die als unangepasst galten und von denen nicht wenige mit den SED-Behörden in Konflikt geraten waren.
Schilling wäre am 28. Februar 83 Jahre alt geworden. Nach Abitur und Theologiestudium in Münster, Heidelberg und Jena kam Schilling Mitte der 50er Jahre nach Braunsdorf, wo er als Kreisjugendpfarrer ab 1959 ein kirchliches Jugendheim aufbaute. Seit 1968 war er maßgeblich am Aufbau der offenen sozialdiakonischen Jugendarbeit in Thüringen beteiligt.
Mitinitiator der "Kirche von Unten"
Dabei stand er immer wieder unter massiver Beobachtung durch die DDR-Staatssicherheit, die 1974 die vorübergehende Schließung des Heimes erzwang. 1987 gehörte er zu den Initiatoren des "Kirchentags von unten" und der aus der "offenen Arbeit" hervorgegangenen "Kirche von unten". Im Herbst 1989 beriefen ihn die Oppositionsgruppen in Ost-Berlin in den Unabhängigen Untersuchungsausschuss für die Übergriffe von Polizei und Staatssicherheit bei den Feiern zum 40-jährigen Bestehen der DDR. 1995 erhielt Schilling den zum ersten Mal vergebenen Menschenrechtspreis der Stadt Weimar.