"Wir glauben alle an den gleichen Gott"

Foto: Forum für Interkulturellen Dialog Berlin
Der interreligiöse Chor bei dem Konzert in Berlin.
"Wir glauben alle an den gleichen Gott"
Das friedliche Miteinander der Religionen im türkischen Antakya, der selbsternannten Hauptstadt der Toleranz, macht Schule. Exportschlager ist der Chor der Zivilisationen, dessen Mitglieder den unterschiedlichsten Konfessionen innerhalb der drei großen monotheistische Weltreligionen angehören. Er ist damit ein gelungenes Beispiel für interreligiösen Dialog. Evangelisch.de war bei einem Auftritt in Berlin dabei.

Yilmaz Özfirat ist ein Profi auf der Bühne. Schwarzer Anzug, das dunkle Haar sorgfältig zurechtgelegt und ein freundliches aber bestimmtes Auftreten, wenn Menschen ihn nach einem Konzert belagern, ihn beglückwünschen oder ihm Visitenkarten zustecken. Er ist der musikalische Leiter des "Chors der Zivilisationen" aus dem dem türkischen Antakya, einer Großstadt in Südostanatolien.

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Ein Chor, dessen Sänger den drei großen monotheistische Weltreligionen angehören und den unterschiedlichsten Konfessionen innerhalb dieser Glaubensgemeinschaften.

2012 gehörten sie zu den 131 Nominierten für den Friedensnobelpreis und ihre bisherigen Auftrittsorte sind exklusiv: Unter anderem hat der Chor bei den Vereinten Nationen in New York gesungen, beim Europäischen Parlament in Straßburg und vor zwei Wochen erst im US-Kongress. In Berlin tritt der Chor nun im Haus der Kulturen der Welt auf. Tausend Besucher, wie in der Pressemitteilung angekündigt, sind es nicht, aber immerhin ist der riesige Saal so gut gefüllt, dass die leer gebliebenen Plätze kaum auffallen.

Interreligiöser Dialog weiter Reizthema in Berlin

Der größte Teil der Besucher sind türkischstämmige Deutsche, der kleinere Teil gehört augenscheinlich dem kulturell interessierten Berliner Bürgertum an. Doch es geht nicht nur um Musik an diesem Abend. Nach dem Angriff auf den Berliner Rabbiner Daniel Alter im Spätsommer und auch wegen vermehrter Übergriffe auf Moscheen in Berlin steht der interreligiöse Dialog weiterhin vorn auf der politischen Agenda.

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Ein Beispiel für diesen Dialog ist der Plan, ein gemeinsames Bet- und Lehrhaus für die drei Religionen in der historischen Mitte Berlins zu bauen. Dafür wird kräftig die Werbetrommel gerührt. Rabbiner Tovia Ben-Chorin bringt die Zuschauer zum Schmunzeln, als er in seinem Grußwort eingangs erwähnt, dass es ja wohl das Schlimmste für einen Rabbiner sei, nur ein paar Worte zu sagen. Aber er hält sich daran.

Und dann erscheint der Chor auf der Bühne - 34 von den insgesamt 130 Chormitgliedern. Die zehn Musiker und 24 Sängerinnen und Sänger sind eine imposante Erscheinung: Die Musiker sind ganz in schwarz gekleidet, die Sänger in langen, weißen Gewändern, ganz nach Vorbild eines Gospelchores. Wer von ihnen an welchen Propheten oder Erlöser glaubt oder immer noch auf ihn wartet, kann man nicht erkennen. Und das soll man auch nicht. "Wir sind alle gleich, wir glauben alle an den gleichen Gott." Das soll die Botschaft des Abends werden.

Kleine Anekdoten und politische Seitenhiebe

Chorleiter Özfirat, der Entertainer, wendet sich immer wieder mit kleinen Anekdoten an die Zuschauer, erzählt von seiner Schwierigkeit mit der deutschen Sprache und verteilt politische Seitenhiebe. So auch, als er sagt, dass die EU mit der Verleihung des Friedensnobelpreis an sie weniger anfangen könnte als der Chor, denn sie hätten das Geld wohl nötiger. Bundeskanzlerin Merkel widmet er dann auch ein Lied, so wie er jedes Lied einer bestimmten Gruppe schenkt: Der Übersetzerin, die am Bühnenrand sitzt, dem deutschen Publikum oder den Türken, die in Deutschland leben und gelebt haben.

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Es folgt der Moment, den man vielleicht als den musikalischen Höhepunkt des Abends bezeichnen kann. "Ich werde sie zum Weinen bringen", sagt Özfirat noch, dann wird es still. Man hört leise Trommeln und eine Nay, die türkische Querflöte. Die junge Frau mit dem langen schwarzen Haar, von der er bei der Probe noch sagte, sie sei eine Edith Piaf, tritt als Solosängerin aus der Reihe hervor, schließt die Augen und beginnt.

Mit glasklarer Stimme schmettert sie einen Ton voller Wehmut ins Publikum, das kaum zu atmen wagt. Ein Sehnsuchtsruf, der einen wünschen lässt, der Sprache mächtig zu sein, in der gesungen wird. Bülbül Kasidesi, die Nachtigall-Hymne, ist ein sunnitisches Lied und Teil des Repertoires, das aus alevitischem, jüdischem, christlichem, orthodoxen und kurdischem Liedgut besteht und in verschiedenen Sprachen gesungen wird: auf arabisch, türkisch, aserbaidschanisch, kurdisch und hebräisch.

Nebeneinander der Religionen ist in Antakya selbstverständlich

Als das Lied zu Ende ist sagt Özfirat über die Sängerin: "Sie hat uns Leben eingehaucht mit ihrer Stimme und ihrem Beruf." Die Interpretin lächelt. Im Alltag ist sie Krankenschwester. Ein ganz normaler Beruf, so wie alle Mitglieder im Chor ihn haben. Sie sind Lehrer, Wissenschaftler, Studenten, Geistliche oder Juweliere. Letzteres wohl ein durchaus üblicher Broterwerb in Antakya. In dieser kleinen Metropole, 30 Kilometer von der türkisch-syrischen Grenze entfernt, gab es schon immer ein Nebeneinander der Sprachen und der Religionen.

Die vielleicht älteste christliche Kirche überhaupt, die St.-Petrus Grotte, steht in Antakya, dem früheren Antiochien - genauso wie andere Gotteshäuser, die im Laufe der Geschichte von allen drei Weltreligionen genutzt wurden. In der gesamten Türkei gibt es viele sakrale Orte, an denen Muslime, Juden und Christen in nebeneinander stehenden Gebäuden beten. "Sie teilen sich eine Wand", erklärt der Chorleiter. Vielleicht inspiriert von der Idee des Bet- und Lehrhauses in Berlin fällt ihm dann doch noch ein, wofür er das Geld, das mit dem Friedensnobelpreis einhergeht, verwenden würde: Für ein Haus mit drei Türen.

Antakya bezeichnet sich selbst als Hauptstadt der Toleranz. Als die Region 2007 eine Tourismuswoche ins Leben rief, lag es nahe, aus der Geschichte zu schöpfen. So entstand der Chor. Abend für Abend zog der ehemalige Musiklehrer Özfirat los und versuchte einzelne Gruppen von dem Projekt zu überzeugen. Es funktionierte. Heute finden täglich Proben statt, die mehr sind als rein musikalische Pflichtübung. Man trifft sich, trinkt Tee oder Kaffee und tauscht sich aus.

"I love all the people in the world!"

Es ist ein soziales Netzwerk entstanden, das aus friedfertigen Nachbarn Freunde gemacht hat. Wie zum Beispiel der pensionierte Lehrer Selim Diser, ein Alevit, und Dimitri, Priester der Griechisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien. Zutiefst überzeugt sind beide von der Idee des Chores. Schon früher hätten sich Antakyier unterschiedlicher Religionen gekannt. "Man hat seine Einkäufe bei den Christen gemacht und die bei uns", sagt der Alevit. Wie Brüder und Schwestern sei man doch. Und es solle endlich Frieden in der Welt herrschen. Der kleine Mann im hellblauen Wollpulli, mit den fein geschnittenen Gesichtszügen schäumt über vor Begeisterung für das Chorprojekt. "I love all the people in the world!"

Vielleicht weil der Krieg in Syrien so nah ist und dort das Miteinander oder Nebeneinander der Religionen auf dem Spiel steht und auch weil in Deutschland der gemeinsame Weg noch weit zu sein scheint, fällt es schwer zu glauben, dass es so einfach sein kann. Als der Chorleiter gegen Ende des Abends ein Lied den Kurden widmet und inbrünstig erklärt, dass Kurden und Türken Geschwister seien, brandet Applaus auf und es offenbart sich, dass die Trennungslinie in der Türkei weniger zwischen den Religionen verläuft, als vielmehr zwischen den Ethnien. Es gibt also noch viel Arbeit für den Chor, auch im eigenen Land.