Friedensbewegung öffnet sich fürs Militärische

Friedenstaube
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Die Friedensarbeit in den Kirchen sei nach wie vor wichtig, betont der Politologe Thomas Müller-Färber.
Aufrüstung nötig?
Friedensbewegung öffnet sich fürs Militärische
Der Politologe Thomas Müller-Färber sieht in der christlichen Friedensbewegung eine zunehmende Bereitschaft, eine Aufrüstung als notwendig anzuerkennen.

"Die starke Friedensbotschaft des Evangeliums ist nach wie vor richtig", sagte der Studienleiter der Evangelischen Akademie Loccum dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Vorrang für das Zivile sei aber manchmal nicht möglich, "wenn man einem sehr aggressiven Akteur gegenübersteht".

Diese Diskursverschiebung in der Friedensbewegung komme relativ spät, sagte Müller-Färber. Russland sei zur extremen Gewalt entschlossen: "Das konnte man schon ab den 1990er Jahren in Tschetschenien mit dem Niederschießen ganzer Ortschaften sehen, später in Georgien und Syrien und heute in der Ukraine." Eine nachgiebige Haltung gegenüber Russland habe den Krieg in der Ukraine erst ermöglicht. "Da haben wir zu wenig auf die Osteuropäer und die Skandinavier gehört, die diese Entwicklung schon lange gesehen haben."

Müller-Färber vermutete eine der Ursachen für dieses "verzögerte Wahrnehmen" aufseiten der Friedensbewegung in biografischen Gründen. "Die Prime Time der Friedensbewegung waren die 1980er und 1990er Jahre", erklärte er. Viele der heutigen Akteure seien schon während der großen Demonstrationen während des Kalten Kriegs aktiv gewesen. Damals allerdings hätten andere Rahmenbedingungen gegolten.

So sei die alte Sowjetunion lange nicht so aggressiv aufgetreten wie Russland heute. Zudem habe die alte Bundesrepublik als "Frontstaat, der unbedingt gesichert werden musste" eine viel stärkere Rückabsicherung durch die USA gehabt. "Das hat erlaubt, die eigene Verantwortung für den Selbstschutz wegzudrücken", erklärte der Politologe. Hinzu seien Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg gekommen: eine Verbindung von Militär und Täterschaft sowie die Erwartung, dass alles vernichtet werde, wenn es zum Krieg komme. "Auch deswegen haben russische Nukleardrohungen in Deutschland bis heute so einen großen Resonanzraum", analysierte Müller-Färber.

Zudem sei der Blick zurück oft verklärend, mutmaßte der Studienleiter. Während des Kalten Kriegs sei die Friedensbewegung gar nicht so einflussreich gewesen. Trotz der Demonstrationen gegen die Nato-Nachrüstung sei diese Nachrüstung gekommen. "Die Friedensarbeit wurde erst dann wirkungsvoll, als es zur Annäherung von Ost und West kam", sagte er. Die große Zeit der Rüstungskontrolle, der Zunahme von Demokratie und der zivilen Konfliktbearbeitung seien dann die 1990er Jahre gewesen.

Die Friedensarbeit in den Kirchen sei aber trotzdem nach wie vor wichtig, betonte Müller-Färber: "Es kann ja eine Zeit kommen, in der das Militärische nicht mehr zielführend ist." Um diesen Zeitpunkt zu erkennen, müsse man über die militärische Logik beständig nachdenken. Als Orte für diese Nachdenklichkeit funktionierten die Kirchen sehr gut.