Seine Amtszeit dauerte nur 54 Tage. George Entwistle, Generaldirektor der britischen BBC, ist am Wochenende zurückgetreten - und hat die Rundfunkanstalt damit noch tiefer in die Führungskrise gestürzt. Kommissarisch leitet nun der bisherige Radiodirektor Tim Davie die BBC.
In der renommierten TV-Sendung "Newsnight" hatte zuvor ein Missbrauchsopfer berichtet, wie es als Kind in einem walisischen Kinderheim vergewaltigt wurde. Die BBC behauptete, bei dem Täter handele es sich um einen konservativen Politiker aus der Thatcher-Ära, was sich später als falsch erwies. Zwar hatte der Sender den Politiker nicht namentlich genannt, aber im Internet kursierte schon während der Ausstrahlung der Name des Politikers. Das Opfer sagte nach der Ausstrahlung, es handele sich um eine Verwechslung. Der Politiker sei nicht der Mann, der die Vergewaltigung begangen habe.
Entwistle wurde noch am Samstag in einem BBC-Radiointerview von einem seiner Moderatoren gegrillt, wie es zu dem fehlerhaften Beitrag kommen konnte. Dabei gab er keine gute Figur ab. Er habe erst nach der Ausstrahlung von dem Beitrag erfahren, sagte Entwistle. Am Abend der Ausstrahlung sei er nicht zu Hause gewesen. Auch Zeitungsberichte von Samstag über die Sendung kannte er nicht. Nicht einmal zwölf Stunden später trat Entwistle zurück. Vor dem Hintergrund der inakzeptablen journalistischen Standards des "Newsnight"-Beitrags habe er sich zu dem Schritt entschieden, erklärte er. Der BBC-Generaldirektor ist er gleichzeitig Chefredakteur und damit für das gesamte Programm verantwortlich.
Sturz wegen mangelnder journalistischer Neugierde
"Entwistle ist über seine mangelnde journalistische Neugierde gestürzt", analysierte die britische Zeitung "Independent" und spielte dabei auch auf seine Führungsschwäche bei der Aufklärung des Savile-Skandals an. Der im vergangenen Jahr verstorbene BBC-Moderator Jimmy Savile soll während seiner Karriere beim Sender Hunderte Kinder missbraucht haben, was aber erst vor einigen Wochen bekannt wurde. Die Polizei ermittelt. Entwistle wurde vorgeworfen, zu zögerlich zu handeln und nicht genug Interesse an den Vorgängen zu zeigen. Vor einem parlamentarischen Ausschuss, vor dem Entwistle zum Fall Savile aussagen musste, wirkte er uninformiert und wenig engagiert.
Viele Beobachter fragten sich, warum Entwistle von seinen Mitarbeitern, nicht zuletzt von der Nachrichtenchefin Helen Boaden, nicht besser informiert wurde. Vor dem Hintergrund des Savile-Skandals überrascht es sehr, dass ohne sein Wissen ein Beitrag zu sexuellem Missbrauch geplant war, der einen Politiker belastete. Dies ist wohl auch einer der Gründe, warum die Nachrichtenchefin und ihr Stellvertreter Steve Mitchell seit Montag ihre Ämter ruhen lassen. Die BBC steht eine personelle Umstrukturierung bevor. Es wird zudem diskutiert, ob man den Posten des Generaldirektors und des Chefredakteurs nicht besser trennen sollte.
563.000 Euro "Belohnung" für Führungsschwäche
Der Rücktritt Entwistles stößt auch auf Kritik. Der bekannte BBC-Moderator David Dimbleby sagte, der Rücktritt zeige, dass Entwistle für die Position ungeeignet gewesen sei: "Die Tatsachte, dass er sich entschieden hat, zurückzutreten, anstatt zu kämpfen, zeigt, dass er die falsche Wahl als Generaldirektor war." Als Generaldirektor müsse er für die Organisation und die Mitarbeiter kämpfen - sie seien oft unterbezahlt, arbeiteten hart und stünden unter Druck. Jetzt seien sie verwirrt vom Management über ihnen.
Entwistle, der 23 Jahre lang für die BBC gearbeitet hat, erhält mit seinem Abgang eine Abfindung von 450.000 Pfund (rund 563.000 Euro). Das entspricht dem Gehalt eines Jahres. Premierminister David Cameron sagte, angesichts der Umstände sei die Zahlung schwer zu rechtfertigen. Andere Abgeordnete sprachen davon, dass Entwistle mit dem Geld für seine Führungsschwäche auch noch belohnt würde.