Klirrend kalt soll es gewesen sein, an jenem Novemberdienstag im Jahr 1483. Vor den Türen der Petri-Pauli-Kirche in Eisleben findet sich eine kleine Gruppe ein. Ein Kind soll getauft werden. Der Säugling ist gerade einen Tag alt. Zu groß ist die Gefahr, dass sich ein Dämon des Kindes bemächtigen könnte, so der Volksglaube. Als physischer Schutz gegen das Böse dient bis zur Taufe ein Speichel-Erde-Gemisch, das die Ohren verklebt.
Nachdem der Exorzismus draußen gesprochen wird, kommt es in der Kirche zur Taufe. Der Kopf des Babys wird dreimal mit Wasser benetzt. Schließlich wird der Junge auf den Namen des Tagesheiligen getauft. Er heißt nun Martin, viele Jahre später gibt er sich den Nachnamen Luther. So könnte sich der Tag für den späteren Reformator Martin Luther abgespielt haben, sagt Pfarrerin Simone Carstens-Kant.
Festgottesdienst mit Margot Käßmann
Der damalige Schauplatz, die Petri-Pauli-Kirche, wird nach über einjährigen Bau- und Umgestaltungsarbeiten nun Ende April als "Zentrum Taufe" wiedereröffnet. Höhepunkt eines mehrtägigen Eröffnungsprogramms ist ein Festgottesdienst am Sonntag mit Lutherbotschafterin Margot Käßmann. Es ist der erste offizielle Auftritt der früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die zwei Tage vorher, am Freitag, in Berlin in ihr neues Amt eingeführt werden soll.
"Die Kirche war dringend renovierungsbedürftig", erklärt Carstens-Kant. Und so suchte man in Eisleben nach Ideen und Konzepten für die Kirche. Die Lutherdekade, die von der EKD ausgerufen worden war sollte dabei berücksichtigt werden. In Eisleben, einer kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt, befinden sich neben der Taufkirche auch Luthers Geburtshaus sowie sein Sterbehaus. Beide Gebäude sind Weltkulturerbe der UNESCO.
Im Mittelpunkt des sanierten Baus steht ein neues, in den Boden eingelassenes Taufbecken, über zwei Meter im Durchmesser und 70 Zentimeter tief. Foto: epd-bild/Steffen Schellhorn
Die Taufe soll "wieder mehr ins Bewusstsein geholt" werden, sagt Carstens-Kant zu dem Konzept. "Wir wollten Gemeindekirche bleiben, aber auch neue Zielgruppen reinholen." Das "Zentrum Taufe" soll dabei mit Tauferinnerungsgottesdiensten, Glaubensseminaren und Themenwochen neue Impulse geben. Diese Idee soll sich architektonisch widerspiegeln. Im Mittelpunkt des sanierten Baus steht ein neues, in den Boden eingelassenes Taufbecken, über zwei Meter im Durchmesser und 70 Zentimeter tief. "Wir haben in Ostdeutschland doppelt so viele Erwachsenentaufen wie in Westdeutschland, viele haben auch den Wunsch richtig untergetaucht zu werden", erklärt die Theologin.
Über dem graugrünen Grund des Beckens plätschert das Wasser in sanften Bewegungen. Es wird regelmäßig ausgewechselt. Eine Messanlage überprüft ständig den ph-Wert. Auf der Innenseite trägt das Taufbecken eine Inschrift. "Macht alle Menschen zu meinen Jüngern?" Die goldenen Lettern spiegeln sich im Nass. Nach den Umbauarbeiten erstreckt sich auf dem Kirchenboden eine sandfarbene Betonplatte, unterbrochen von konzentrischen Kreisen, die sich vom Taufbecken wie Wasserwellen nach einem Steinwurf wegbewegen. Um die Säulen sind schmale Kiesbetten angelegt. "Mit dem Abstand zum Mauerwerk soll das Neue betont werden", erklärt die Pfarrerin.
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Bänke aus unterschiedlichen Obstgehölzen sollen je nach Gelegenheit auf- und abgebaut werden können, ein Teil der alten Deckenbemalung im Chorraum von 1905 ist exemplarisch wieder offen gelegt. Das Vorhaben nach dem Entwurf eines Berliner Architektenbüros hat rund 1,8 Millionen Euro gekostet, darin eingeschlossen sind auch die Gelder für Sanierungsarbeiten an Gewölbe und Mauerwerk. Fördergeld kam unter anderem aus dem Investitionsprogramm Nationale UNESCO-Welterbestätten und dem Konjunkturpaket II.
"Dies war der Entwurf, der am sanftesten mit der spätgotischen Architektur umgeht", sagt Carstens-Kant. Dennoch wurden anfangs kritische Stimmen laut. Neben dem Vorwurf des Tauftourismus stießen sich viele an dem neuen Design der Kirche und warnten vor einem schädigenden Eingriff in die denkmalgeschützte Bausubstanz. "Die Älteren haben immer gesagt, das ist nicht mehr meine Kirche", sagt sie. Veränderung tue eben weh, aber gehöre zur Kirche dazu. Inzwischen seien viele von der Schönheit begeistert, sagt Carstens-Kant.