TV-Tipp: "Tatort: Zugzwang"

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27. April, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Zugzwang"
In Robert Löhrs Drehbuch zu "Zugzwang" spielen Schach und eine Schach-Spielerin zentrale Rollen. Die Handlung beginnt mit einem vermeintlichen Suizid, und im Grunde hat der Film schon mit dieser dank der kräftigen Farben sehr wirkungsvollen Auftaktszene gewonnen.

Schach ist als Filmthema so alt wie das Kino. Das "königliche Spiel" wird unter anderem gern genutzt, um die überdurchschnittliche Intelligenz eines Schurken zu belegen. Geschichten, in denen die 32 Figuren auf den 64 Feldern im Mittelpunkt stehen, sind seltener, aber dafür umso prominenter, allen voran Stefan Zweigs erst vor wenigen Jahren wieder verfilmte Erzählung "Schachnovelle". "Das Damengambit" (2020) gilt gar als eine der erfolgreichsten Netflix-Serien überhaupt.

In Robert Löhrs Drehbuch zu "Zugzwang" spielen das Spiel und eine Spielerin ebenfalls zentrale Rollen. Die Handlung beginnt mit einem vermeintlichen Suizid, und im Grunde hat der Film schon mit dieser dank der kräftigen Farben sehr wirkungsvollen Auftaktszene gewonnen: Eine Frau treibt am späten Abend scheinbar leblos im dampfenden Außenpool eines Nobelhotels in den Alpen. Sie verlässt das Becken, greift sich eine Flasche Champagner, geht aufs Dach, beugt sich über die Brüstung und stürzt in die Tiefe. 

Mit Hilfe eines simplen Kniffs sorgt Löhr dafür, dass die Münchener Polizei quasi bereits vor Ort ist: In dem Hotel findet ein mit internationaler Prominenz besetztes Schachturnier statt. Rechtsmediziner Steinbrecher (Robert Joseph Bartl) ist Schach-Enthusiast und kann auf diese Weise die im Rahmen einer Amtshilfe gerufenen Kollegen Leitmayr und Batic (Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec) sowie das Publikum über die Rahmenbedingungen des Wettbewerbs aufklären.

Statt "Zugzwang" könnte der Krimi auch "Dame schlägt König" heißen: Natalie Laurent (Roxane Duran) wird nachgesagt, als erste Frau gegen einen (bislang in der Tat stets männlichen) Weltmeister gewinnen zu können. Um den amtierenden Titelträger herausfordern zu dürfen, muss die gern provokant auftretende Französin jedoch dieses Turnier gewinnen. Allerdings kursieren hartnäckige Gerüchte, sie habe bei früheren Online-Partien betrogen. Lilit Kayserian, die Frau aus dem Pool, war mehr als bloß Natalies Sekundantin, wollte jedoch angeblich gegen eine hohe Summe Beweise für den Betrug liefern. 

Schon allein dieser Hintergrund wäre faszinierend, aber Löhr, der für die Münchener bereits die sehenswerte Episode "Königinnen" (2023) geschrieben hat, setzt noch eins drauf, denn es kommt zu weiteren zum Teil tödlichen Vorfällen. Im Umfeld der Opfer fand sich jeweils ein Turm. Die phallische Komponente dieser Schachfigur ist offenkundig. Im Zusammenhang mit Natalie Laurent wird jedoch eine andere Metapher draus. Ein Zeitschriftcover zeigt sie mit einem übergroßen auf den Kopf gestellten Turm: Die Französin revolutioniert die Schachwelt. Gerade beim Blitzschach dient der umgedrehte Turm gern als Ersatzfigur für eine Zweitdame. 

Löhrs wendungsreiches Drehbuch hat viele solcher Details zu bieten, aber "Zugzwang" ist nicht nur aus diesem Grund ein großes Krimivergnügen. Der Schauplatz und die damit verbundene Einheit von Zeit und Ort sorgen für eine klassische Agatha-Christie-Konstellation, denn der Mörder oder die Mörderin gehören auf jeden Fall zu den Hotelgästen. Favorit der Kommissare ist der Präsident des Weltverbands, ein Chauvinist alter Schule, der Schach als Männersache betrachtet.

Husam Chadats demonstrativ breitbeinige Verkörperung dieses misogynen Zeitgenossen am Rand der Karikatur ist eine riskante, aber erfolgreiche Gratwanderung: Kamran Hasanov leidet unter ausgeprägtem Verfolgungswahn und sieht sich von Feinden umzingelt wie ein König unmittelbar vor dem Schachmatt. Tatsächlich ist Turnierveranstalter Kändler (Robert Dölle), der den imposanten Rechtsmediziner vielleicht auch wegen der identischen Frisur für den Einsatzleiter hält, ziemlich scharf auf den Posten des Aserbaidschaners. Nicht zuletzt dank der Inszenierung durch Nina Vukovic, deren Name spätestens seit der grandiosen ZDF-Serie "Der Schatten" (2023) eine Garantie für Topniveau ist, gelingt auch dem Krimi die Balance: Gerade die erste Hälfte ist höchst unterhaltsam.

Die Stimmung ändert sich jedoch schlagartig, als es zu einem tragischen Todesfall kommt; jetzt nehmen die Kommissare den Fall persönlich. Reizvoll ist auch der Drehort: Der Film ist auf Schloss Elmau entstanden. Weil ein Störsender Betrugsversuche per Funk verhindern soll, müssen die Kommissare zum Telefonieren nach draußen gehen; das winterliche Wettersteingebirge, gern im Nebel, bildet einen reizvollen Kontrast zu den luxuriösen Innenaufnahmen. Die Bildgestaltung (Clemens Messow) ist ohnehin ein Genuss. Der Krimi erfordert allerdings eine hohe Konzentration, und das nicht nur wegen des großen Erklärungsbedarfs: Viele Gespräche sind auf Englisch und mit Untertiteln versehen.